Schertz gegen Steinhöfel
Zum anwaltlichen Umgehungsverbot.
Ich habe eben einen Brief von einem absoluten Könner, einer juristischen Lichtgestalt sui generis erhalten. Lesen und staunen. Frau Köbberling, seine high-profile Mandantin, ist eine SPD-Landtagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz, die sich wegen Verleumdung strafbar gemacht hat. pic.twitter.com/sKPtPWHQpk
— Steinhoefel (@Steinhoefel) August 18, 2025
Oh, ich liebe das anwaltliche Berufsrecht.
Schertz bezieht sich da auf § 12 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte):
§ 12
Umgehungsverbot(1) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürfen nicht ohne Einwilligung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte anderer Beteiligter mit diesen unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln.
(2) 1Dieses Verbot gilt nicht bei Gefahr im Verzuge. 2Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte anderer Beteiligter sind unverzüglich zu unterrichten; von schriftlichen Mitteilungen ist ihnen eine Abschrift unverzüglich zu übersenden.
Leider ist der Sachverhalt nicht völlig ersichtlich, weil die Formulierung von Steinhöfel offen lässt, ob er selbst oder ein anderer Anwalt seiner Kanzlei in der Sache tätig war und Vollmacht hat.
Dennoch würde ich in diesem Punkt eher auf Steinhöfel wetten, denn Gesetzestexte zu lesen ist halt auch nicht alles.
Man muss auch Verfassungsgerichtsurteile lesen.
Zuerst 1 BvR 2272/00 Beschluss vom 12. Juli 2001, Rn. 10 ff.
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bb) Durch das Verbot, ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Kontakt aufzunehmen oder zu verhandeln, wird der betroffene Rechtsanwalt in seiner Berufsausübung berührt, da er gezwungen wird, Gespräche und Verhandlungen stets mit dem Gegenanwalt zu führen, sofern der gegnerische Anwalt nicht seine Einwilligung zu einem abweichenden Verfahren gibt. Eine solche Regelung ist nur statthaft, soweit sie sich durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen lässt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 61, 291 <312>; 76, 171 <190 f.>).
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Diese Anforderungen erfüllt § 12 Abs. 1 BORA. Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts dient vor allem dem Schutz des anwaltlich vertretenen gegnerischen Mandanten und damit dem Gemeinwohlinteresse an der Funktionsfähigkeit einer geordneten Rechtspflege und an einem fairen Verfahren (vgl. Feuerich/Braun, a.a.O., § 12 BORA Rn. 1; Hartung/Holl, a.a.O., § 12 BORA Rn. 2). Wer einen Rechtsanwalt beauftragt, soll jederzeit und unter allen Umständen dessen Sachverstand bei Verhandlungen mit der Gegenseite nutzen können. Auch bei der Entscheidung darüber, ob im Einzelfall der anwaltliche Beistand entbehrlich erscheint, soll daher zunächst der Rat des eigenen Rechtsanwalts mitsprechen. Allein hierdurch kann gewährleistet werden, dass spätere Konflikte über rechtserhebliche Äußerungen oder taktische Fehler vermieden werden, die zunächst das Vertrauensverhältnis und schließlich die Rechtsprechung belasten.
Und dann Beschluss des Ersten Senats vom 25. November 2008 – 1 BvR 848/07 –, Rn. 44 ff.
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b) Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts beachtet auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist geeignet, das angestrebte Ziel einer geordneten Rechtspflege insbesondere durch den Schutz der Rechtsuchenden vor Überrumpelung zu erreichen. Ein weniger belastendes, aber gleichermaßen wirksames Mittel ist nicht ersichtlich. Wird schließlich das Gewicht des verfolgten Gemeinwohlziels der vergleichsweise geringen Belastung gegenübergestellt, die mit dem Verbot des unmittelbaren Kontakts zum anwaltlich vertretenen Gegner verbunden ist, so zeigt sich, dass das Umgehungsverbot den betroffenen Rechtsanwälten grundsätzlich auch zumutbar ist.
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2. Ungeachtet der hiernach verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden rechtlichen Grundlage verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Auslegung des Umgehungsverbots, die der Erteilung der Rüge zugrunde liegt, berücksichtigt nicht hinreichend Bedeutung und Tragweite der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung. Für die daneben von dem Beschwerdeführer gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Anwaltsgericht ist hingegen nichts ersichtlich.
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a) Der Zweck des Umgehungsverbots, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insbesondere durch den Schutz des gegnerischen Mandanten vor Überrumpelung zu fördern, liegt sowohl der Satzungsermächtigung als auch der Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit zugrunde. Hingegen lässt sich der Bundesrechtsanwaltsordnung keine Ermächtigung entnehmen, Berufspflichten zur Stärkung der Kollegialität unter Rechtsanwälten so auszugestalten, dass die primären Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis zum Mandanten zurückgedrängt oder abgeschwächt werden (vgl. BVerfGE 101, 312 <328 f.>).
[…]
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aa) Soll, wie das Anwaltsgericht meint, schon allein der Vorwurf mangelnder Kollegialität für die Missbilligung des beruflichen Verhaltens des Beschwerdeführers durch Erteilung einer Rüge genügen, so bleibt die begrenzte Reichweite des Satzungsrechts und damit auch des § 12 Abs. 1 BORA außer Betracht. Denn die strikte Einhaltung des Umgehungsverbots hätte von dem Beschwerdeführer verlangt, in der mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichsverhandlungen mit der Antragsgegnerin zu führen und insbesondere keinen Prozessvergleich abzuschließen. Dies hätte jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs widersprochen. Zur Wahrung der rechtlichen Interessen seines Mandanten war der Beschwerdeführer vertraglich verpflichtet; für ein Zurückdrängen seiner Verpflichtungen aus dem Mandatsverhältnis kann § 12 Abs. 1 BORA keine Grundlage bieten. Unter diesen Umständen scheidet eine berufsrechtliche Ahndung allein als Sanktion unkollegialen Verhaltens aus. Allenfalls in Verbindung mit dem Regelungszweck der Förderung einer geordneten Rechtspflege insbesondere durch den Schutz des gegnerischen Mandanten vor Benachteiligung könnte die Wahrung der Kollegialität unter Rechtsanwälten eine solche Maßnahme im vorliegenden Fall rechtfertigen. Ob solcher Schutz hier geboten war, hat das Anwaltsgericht indessen bewusst offen gelassen.
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bb) In der gegebenen Situation lag ein Schutzbedürfnis auch nicht ohne weiteres nahe. Dem Beschwerdeführer wird die Umgehung des Gegenanwalts bei Abschluss eines Prozessvergleichs in einer Wohnungseigentumssache vorgeworfen. Insoweit war bereits unter der Geltung des hier maßgeblichen früheren Verfahrensrechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 43 WEG in der Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26. März 2007, BGBl I S. 370) anerkannt, dass auf den gerichtlichen Vergleich in einer Wohnungseigentumssache die Grundsätze der Zivilprozessordnung über den Prozessvergleich entsprechende Anwendung finden (vgl. Engelhardt, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 4. Aufl. 2004, § 44 WEG Rn. 3). Auch im vorliegenden Fall hatte demnach das Gericht, das am Zustandekommen des Prozessvergleichs namentlich durch den von ihm unterbreiteten Vergleichsvorschlag und die notwendige Protokollierung beteiligt war, darauf zu achten, dass ein unerfahrener und ungewandter Beteiligter nicht benachteiligt wurde (vgl. Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 3, 3. Aufl. 2007, § 794 Rn. 43). Angesichts dieser ebenfalls auf Schutz vor Übervorteilung zielenden Obliegenheit des Gerichts und des Umstandes, dass es sich um eine in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht ersichtlich einfach gelagerte Rechtssache handelte, die auch für die gegnerische Mandantin nicht von schwerwiegender Bedeutung war, drängt sich ein gleichwohl bestehendes zusätzliches Schutzbedürfnis durch das Umgehungsverbot zumindest nicht auf.
Heißt:
§ 12 BORA verbietet dem Wortlaut nach dem Anwalt (falls Steinhöfel hier überhaupt der Anwalt war) zwar jegliche Kontaktaufnahme mit der anwaltlichen Gegenseite. Weil aber die Vorschrift in die Berufsfreiheit des Anwaltes eingegreift (und Grundrechte eben stärker als normale Gesetze sind), ist diese Vorschrift zwar grundsätzlich verfassungsverträglich, muss aber immer am Schutzzweck ausgelegt werden, nämlich die Partei vor Überrumpelung durch den Gegenanwalt ohne eigene Rechtsberatung zu schützen und „die sachgerechte und zügige Erledigung einer Rechtssache zu fördern“. Es geht also darum, die Gegenseite vor unüberlegten Erklärungen, Vertragsabschlüssen usw. zu schützen.
- Die von Steinhöfen angesprochene Rechtsssache scheint erledigt zu sein.
- Überrumpelung ist auch nicht ersichtlich.
- Es ist auch nicht „unmittelbar“, weil die ja auf den Tweet nicht sofort reagieren muss, und nichts sie davon abhält, anwaltlichen Rat einzuholen.
- Damit ist der Schutzzweck nicht erfüllt bzw. die Schutzbedürtigkeit nicht erkennbar.
- Selbst wenn Steinhöfel für seinen Mandanten tätig würde, darf er ja (BVerfG) immer noch die Rechte seines Mandanten wahren. Und eine Nachricht an den Gegenwalt hätte eben nicht dieselbe Öffentlichkeitswirkung wie eine solche Zurechtweisung, die alle sehen. Eine Kontaktaufnahme mit dem Gegenanwalt kann das nicht ersetzen, weil der Gegenanwalt ja wiederum daran gehindert ist, seine eigene Mandantin öffentlich zurechtzuweisen.
- Außerdem erweckt die Formulierung hier bei mir den Eindruck, als würde Steinhöfel da möglicherweise in eigener Sache tätig, weil es ja um eine „verleumderische und ehrabschneidende Kampagne“ geht, und dazu müsste man jetzt den fraglichen Tweet erst einmal finden und lesen, aber das könnte Steinhöfel durchaus auch persönlich nehmen und in eigener Sache tätig werden. Und solange ihm keine Vertretungserklärung vorliegt, dass Schertz die Dame auch gegen Steinhöfel vertritt, gälte das Umgehungsverbot dann auch gar nicht.
Es ist zwar nicht so ganz klar und einfach, und sicherlich mal wieder typisch juristische Ansichtssache, aber zumindest soweit ich den Sachverhalt hier aus diesem Tweet entnehmen kann, würde ich in der Angelegenheit auf Steinhöfel setzen. Es gibt zwar den recht simplen Wortlaut des § 12 BORA, aber nach BVerfG greift der in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein und muss deshalb am Schutzzweck ausgelegt sein. Und den Schutzzweck sehe ich hier nicht. Nichts und niemand hat die Damen davon abgehalten, sich an ihre Kanzlei zu wenden „Der Steinhöfel hat mich auf Twitter angemacht…“. Worin sollte also die Überrumpelung und Übervorteilung liegen sollen?
Und wie anders hätte Steinhöfel da die Interessen seines Mandanten vertreten können?
Wäre es besser (und gleich wirksam?) gewesen, wenn der Mandant Reichelt das selbst getan hätte? Ich glaube nicht.
Ich sehe Steinhöfel da in der besseren Rechtsposition, auch wenn das nach dem Wortlaut des § 12 BORA überraschend erscheint.
Unterlassungsanspruch
Für fraglich halte ich außerdem, ob es über die Anzeige bei der Anwaltskammer und dem anwaltsgerichtlichen Verfahren hinaus überhaupt einen Unterlassungsanspruch gibt. Denn erstens ist das kein Vertragsverhältnis, aus dem heraus man das verlangen kann, und auch (anders als bei BGB-Verletzungen) kein Schutzrecht der Mandantin, sondern nur ein Verstoß gegen die Berufsordnung. Dritte können nicht einfach einen Anwalt auf Einhaltung der Berufsordnung in Anspruch nehmen, solange sie dabei keine eigene geschützte Rechtsposition wie Eigentum o.ä. haben.
Ein weiterer Fehler ist, dass er da „Köbberling ./. Reichelt“ angibt. Er geht aber nicht gegen Reichelt, sondern gegen Steinhöfel vor. Das halte ich zumindest mal für fragwürdig und nachlesensbedürftig, ob ein Mandat auch den gegnerischen Anwalt als Unterlassungsgegner beinhaltet, ich glaube nämlich nicht. Das dürfte eine neue Rechtsangelegenheit sein, und da müsste er wohl vorlegen, dass er neu mandatiert und bevöllmächtigt ist. In eigener Sache Schertz ./. Steinhöfel kann er da aber auch nicht tätig werden, weil, wie das BVerfG, die Vorschrift nicht Kollegen schützt.
Wenn Steinhöfel den jetzt ärgern will, dann würde er negative Feststellungsklage erheben. Und meiner Einschätzung nach auch durchbekommen.
Das wäre für Schertz peinlich und auch mit Kosten für ihn oder die Mandantin verbunden.
Lustig. Fruchtig. Unterhaltsam.