Ein Shitstorm für einen Putin-Artikel?
Eine Leserin meint, das gäbe sicher einen großen Shitstorm.
Ich bin mir da nicht so sicher.
Eine Leserin weist mich auf diesen Artikel bei Apollo über Putin hin und meint, das gäbe wieder einen großen Shitstorm: Putin verstehen, aber richtig.
Ich glaube aber nicht, dass die Putin richtig verstanden haben. Sie stellen Putin als irrationalen Machtmenschen dar.
Wofür Putin jetzt noch kämpft, das ist aus unserer Sicht kaum zu verstehen – es ist vermutlich eine Mischung aus historischer Mission und Größenwahn, Disziplinierung und Mobilisierung der eigenen Bevölkerung, der Zwangslage einer ausgerichteten Wirtschaft und Gesellschaft, der Sorge vor dem Fazit der Geschichtsbücher, der symbolische Erhalt von Russland als Supermacht. Genau hier liegt das Problem dieser Friedensverhandlungen und genau hier liegt die Ursache, warum es einfach keinen Millimeter weitergeht, obwohl Trump Putin sehr weit entgegengekommen ist und selbst Selenskyj auf seine Linie gezwungen hat. Es dürfte noch sehr kompliziert werden.
Und ich glaube, das ist falsch.
Ich will nicht sagen, dass ich es besser wüsste. Ich kenne Putin ja nicht persönlich und habe von Russland keine Ahnung. Aber ich bin da einfach anderer Meinung. Ich schätze Putin deutlich anders ein.
Ich halte Putin für einen egozentrischen Narzissten, der zwar seinen Machtapparat aufrecht erhält und politisch durchaus ein überdurchschnittlich gewiefter Taktiker ist (was nicht schwer ist, weil unsere Politiker den Durchschnitt nach unten ziehen), aber ich halte ihn nicht für einen Kriegsstrategen.
Ich glaube, dass Putin diesen Krieg nicht – oder zumindest nicht so – angefangen hätte, wenn er vorher gewusst hätte, worauf er sich da einlässt. Putin dachte, Frechheit siegt, und Frechheit habe er genug, er müsse da nur mal ein paar Militärfahrzeuge hinschicken und würde mit Blumen und Jubel empfangen. Der hatte da wohl eine Aktion von einer Woche vorgesehen, ohne eigene Tote und ohne nennenswerte Verluste. Mal kurz zeigen, wer hier Herr im Hause ist, und die Ukrainer würden ja sowieso zu ihm wollen. Eine völlige Fehleinschätzung.
Und dann ist er Opfer seines eigenen Egos geworden.
Dann hat sich die Situation so hochgeschaukelt, und weil er sich niemals einen Fehler eingestehen oder gar öffentlich zugeben würde, keinen Rückzieher machen kann, hat der die Situation einfach akzeptiert, als hätte er sich so entschieden. Der tut so, als sei er ein großer Kriegsherr, indem er die Situation einfach mitspielt, weil es ihn auch nicht wirklich stört, dass es anders läuft als gedacht. Das ist halt Abenteuer.
Und diese Situation, dass er sich selbst und anderen gegenüber so tun muss, als wäre das alles Absicht und gewollt, als wäre er voll Herr der Lage und habe das alles so geplant, erzwingt auch sein aktuelles Verhalten.
Objektiv betrachtet wäre es für Russland besser, auf Trump einzugehen, die eroberten Teile der Ukraine zu behalten und den – materiell und personell teuren – Krieg zu beenden.
Aber: Warum sollte er das tun? Was hat er davon?
Ist der Krieg vorbei, kommt unweigerlich die Bilanz: Was hat es gekostet, was hat es gebracht? War es das wert? (Nein.)
Und ist der Krieg vorbei, kann man auch nicht einfach so wieder mit Krieg anfangen.
Außerdem ist die Wirtschaft in Russland zwar nur unter der Decke, nach vielen Berichten aber doch so kaputt, dass nur noch weiterer Krieg die Wirtschaft am Laufen halten wird.
Meine Vermutung ist, dass Putin sich im Krieg bequem eingerichtet hat und ihn deshalb einfach weiterlaufen lässt, weil es ihn viel mehr stören würde, mit dem Krieg aufzuhören. Dann nämlich müsste er Wirtschaft machen, die Schäden ersetzen, sich überlegen, was er jetzt macht. Dann stünde sein Ego in Frage, begegnete der Narzisst Kritik.
Ich halte es deshalb für falsch, Putin mit unseren Maßstäben zu bewerten und alles für „irrational“ zu erklären, was nicht in unsere Weltsicht passt. Ich glaube, dass man sich umgekehrt in Putins Situation versetzen muss.
Und da gibt es, vereinfacht gesprochen, derzeit zwei Optionen:
- Weitermachen
- Aufhören
Weiter zu machen ist etwas, was er aus seiner Sicht unter Kontrolle hat. Das hat drei Jahre gut funktioniert und ihn sogar gestärkt, das gefällt ihm und bringt ihm keine Schwierigkeiten, weil die Arbeit seine Militärs für ihn machen. Im Prinzip muss der nur da sitzen, sich die Erfolge berichten lassen, und ab und zu mal zur allgemeinen Gaudi einen Kritiker wie Prigoschin liquidieren.
Würde er aber aufhören, dann müsste er jetzt wieder regieren und Probleme lösen, bei denen er nur schlecht aussehen kann. Und vielleicht würden ihn dann die Chinesen fallen lassen, denn ich habe den Verdacht, dass ihn die Chinesen auch nur deshalb unterstützen, weil sie ihn als Präzedenzfall brauchen, um sich Taiwan zu nehmen. Das würde den Chinesen gar nicht passen, wenn Putin das mit der Ukraine nicht hinbekommt, denn sie brauchen das Argument „wenn sich Putin die Ukraine nehmen darf, dürfen wir auch Taiwan nehmen“.
Würde Putin einen Rückzieher machen, würde es wie ein Fehler aussehen. Wie ein sehr teurer Fehler, denn es gab viele Tote, das hat viel gekostet und er hat eine Menge Kriegszeug geschrottet, das noch aus der Sowjetunion stammte und nicht mehr ohne weiteres zu ersetzen ist. Bedenkt, dass Russland zwar als Flächenland sehr groß ist, aber „nur“ 143,5 Millionen Einwohner (laut Wikipedia) hat. Das ist nicht einmal doppelt soviel wie Deutschland. Dazu gehört außerdem, dass ein erheblicher Teil der russischen Bevölkerung eine einfache Landbevölkerung ist. Es gibt hochgebildete Russen und Top-Ingenieure, auch hervorragende Informatiker – aber das ist eben nur ein Teil der Bevökerung.
Und Deutschland – mal so als Maßstab genommen – bekommt militärisch oder überhaupt produktiv gerade sehr wenig hin. Nicht mal den Bahnverkehr.
So ein Krieg ist keine Kleinigkeit für Russland. Die machen gerne auf Supermacht, aber daran ist auch viel Bluff.
Ich glaube nicht, dass hinter diesem Krieg eine irrationale Großmannssucht steht.
Ich glaube, dass hinter diesem Krieg die – in gewisser Weise durchaus rationale – Überlegung steht, dass es Putin mit Krieg besser geht als ohne.
Seit er Krieg macht, ist er permanent in den Medien und durfte sogar – wer darf das schon – im Panzer des US-Präsidenten mitfahren. Habt Ihr gesehen, wie der sich da gefreut hat?
Meines Erachtens ist das Problem nicht irrationaler Größenwahn, sondern der schlichte Umstand, dass es zwar nicht Russland, aber Putin mit Krieg gerade besser geht als ohne. Denn auch wenn er den Krieg so sicherlich nicht wollte – wer will schon von der viel kleineren Ukraine derartig aufgerieben werden – wird sich Putin sicherlich schlicht und einfach überlegen, wie es weitergeht. Und da ist es für ihn sicherlich viel einfacher, mit dem Krieg einfach weiterzumachen, als damit aufzuhören und dann einen Haufen Probleme zu haben.
Deshalb funktioniert solche Bauchpinselei wie die von Trump nicht, weil er damit effektiv Putin für den Krieg belohnt.
Ich glaube, dass der Krieg nur aufhört, wenn entweder Putin stirbt (macht ja aber noch einen halbwegs fitten Eindruck, obwohl der in der Anfangsphase ja wirkte, als wäre der mit Aufputschmitteln vollgempumpt, was dafür spricht, dass er anfangs Probleme hatte, sich in die Situation einzufinden), oder der Krieg so teuer in irgendwas, etwa Kosten, wird, dass es trotz allem das geringere Übel wäre, aufzuhören.
Unser Problem – und auch das von Apollo – ist, dass wir dazu neigen, uns selbst zum Maßstab zu machen und jeden für irrational zu halten, der nicht agiert wie wir selbst. Ich glaube aber, dass wenn man Putin verstehen will, einem die eigene Position und das eigene Weltbild gar nichts bringen, sondern man versuchen muss, das aus Putins Position zu sehen. Im Englischen gibt es dafür schöne Redewendungen wie “to put oneself in someone else’s shoes” oder auch “to see things through someone else’s eyes”. Spieltheorie. Man muss sich in dessen Lage denken, überlegen, welche Entscheidungsmöglichkeiten er hat, und die dann – nicht nur oder auch gar nicht staatsmännisch nach Russlands Nutzen, sondern egozentrisch – gegeneinander abwägen.
Putin ist egozentrisch, narzisstisch, korrupt, kein Kriegsstratege, und in mancherlei Hinsicht wohl auch naiv oder oberflächlich, orientiert an der Macht des Faktischen. Er unterliegt sicherlich der Illusion, sich für einen Kriegsherren zu halten, weil er es mit der Ukraine aufnimmt. Aber zwei Eigenschaften kann man ihm gerade nicht nachsagen: Er ist nicht irrational. Und er ist nicht größenwahnsinnig.
Er ist im Gegenteil rational und in mancher Hinsicht sogar überrealistisch (und damit prinzipien- und morallos). Ich halte ihn für ein Produkt jahrzehntelangen korrupten Denkens. Wenn alles um Eigennutz und eigene Interessen geht und man sich an keine Regeln hält, sondern alles danach beurteilt, ob es einem persönlich nutzt oder nicht, ist das die Konsequenz. Das kennt man auch vom Feminismus, von der „feministischen Theorie“. Da geht es auch nicht darum, ob sie stimmt oder gesellschaftlich schadet. Da geht es alleine darum, ob man persönlich dadurch mehr Geld auf dem Konto hat. Und das ist weder irrational, noch größenwahnsinnig.