Ansichten eines Informatikers

Von flatulenten Furzkriegen und 8-Bit-Sounds

Hadmut
25.5.2025 5:38

Zwei Museumsbesuche.

Heute Gestern war schlechtes Wetter: Temperatursturz und Dauerregen, teils stark.

Was macht man, wenn es regnet wie aus Eimern? Man geht halt ins Museum.

Ich war neulich schon auf der kleinen Museums- und Behördeninsel in der Flussgabelung im Technik-Museum, das sehr schön gemacht, aber eher für Kinder ist. Ich wollte damals schon ins direkt beanachbarte National Museum of Art, es war aber zu spät, die waren kurz vor dem Schließen. Also dachte ich mir, heute ist der passende Tag. Was es da zu sehen gibt? Keine Ahnung, ich lass’ mich einfach überraschen.

Kwanabe Kyosai

Auf dem Weg dahin kam ich an einem Kunstmuseum vorbei, das ich noch gar nicht auf dem Plan hatte:

Das Nakanoshima Kosetsu Museum, auch ein Kunstmuseum. Eigentlich wollte ich da gar nicht hin, aber egal: Da ich sowieso nicht weiß, was ausgestellt wird, ist mir eigentlich jedes Kunstmuseum gleich und es wird den ganzen Tag regnen. Also rein.

Fotografieren und Filmen streng verboten. Vorrübergehende Ausstellung.

Ich musste mir die die Ausstellung zweimal ansehen, weil ich anfangs gar nicht verstand, worum – genauer gesagt, um wen – es da ging. Kawanabe Kyosai. Nie gehört. Sagt mir gar nichts. Aber nun habe ich den Eintritt gezahlt, also schaue ich es mir auch an.

Ein Maler, Zeichner, heute würde man sagen Karikaturist, heute würde er wohl Mangas machen. Der hätte wohl auch für das MAD-Magazin gezeichnet. Hat von 1831 bis 1889 gelebt, hat also selbst das Ende des feudalen Japans in der Edo-Zeit und den Übergang zur modernen Gesellschaft miterlebt, und war damals wohl der bekannteste und beliebtestes Zeichner. Die Ausstellung wird kuratiert von seiner Urenkelin, die lebt noch und ist Direktorin eines eigenen Gedenkmuseums für ihn.

Das war eine hochinteressante Ausstellung, weil sie zeigte, wie sich im feudalen Japan die Kunst entwickelte, welche Techniken man lernte, wie die Ausbildung aussah, und dass man seine künstlerischen Ambitionen oft hinter den Wünschen des Shoguns und seiner feudalen Hierarchie zurückstellen musste, weil Kunst damals oft Auftragsarbeiten waren. Man brauchte irgendetwas und gab das in Auftrag. Im Prinzip das, was heute die PR- und Medienagenturen für die Politik machen.

Dabei gabe es da Schulen, die dafür verantwortlich waren, dass es da einen eigenen, sehr typischen Stil der Japan-Kunst gab.

Kyosai war offenbar so eine Art Universalgenie, denn der beherrschte alle Techniken und Genres, der konnte und machte alles. Und eckte auch an. Einmal wurde der wohl mal eingebuchtet wegen zu derber Kritik an der Obrigkeit. Und er habe deshalb auch mal seinen Namen geändert, von Kyosai nach Kyosai, gleicher Klang, andere Schriftzeichen. Vorher hatte er ein Zeichen, das irgendwas wie der Verrückte bedeutete, und nach dem Streit hat er ein anderes verwendet.

Kunst hat der gemacht, Karpfen, Schönheiten und Prinzessinnen gezeichnet, die dann auch nicht ganz vollständig bekleidet, Kriegsszenen und so weiter und so fort. Ein universeller Illustrator, der auch Spott zeichnete, der hätte auch im Simplizissimus vorkommen können.

Und dann musste ich echt an mich halten, um in diesem Edel-Museum ganz vornehmer Art, in dem alles ganz still und leise war und eigene Stille-Wächterinnen herumschlichen, laut loszulachen:

Der hat zwei bandartige, also zum Aufwickeln, horizontal sehr breite Szenen gemacht, in dem die Leute in Furzwettbewerben aufeinander losgehen und dabei in obszönen Verrenkungen und splitternackt, Volleinblick in den Südpol, furzen und sich gegenseitig wegfurzen, wie ich es noch nie gesehen habe. So ein Wandbild, in dem sich Leute bekriegen, indem sie furzen wie bekloppt, und dazu den nackten Arsch hinhalten und im Comic-Stil einander wegblasen udn bekriegen.

Sowas habe ich noch nie gesehen. Und das so lustig und obszön gezeichnet, dass ich laut hätte loslachen können. Die beiden Spulen mit dem zwei Bändern nur ein kleines Stückchen aufgerollt, aber an der Wand eine Kopie zum Anschauen. Wenn man das so etwa 20 cm hoch ausdruckt, ist das Gesamtbild aus beiden Teilen etwa 10 Meter breit. Nur Furzkrieg.

Beide Bahnen sind von ihm signiert aber in einer Bahn fliegen seine Schriftzeichen davon, weil einer davor steht und sie wegfurzt.

Der Mann war richtig gut.

Im Museumsshop gab es zwar (teure) Bücher zu kaufen, aber den Furzkrieg habe ich darin nicht entdeckt. Jetzt muss ich mal schauen, ob ich das irgendwo auftreiben kann.

Das Nakanoshima Museum of Art

Eigentlich wollte ich ins National Museum of Art, und kam heute von der anderen Seite, kam da ans Nakanoshima Museum of Art, und dachte das muss es sein, denn schließlich heißt die Gegend da Nakanoshima. Habe mich noch gewundert, weil ich das Gebäude ganz anders und kleiner in Erinnerung hatte, und erst später gemerkt, dass ich wieder im falschen Museum war.

Da ich aber ohnehin nicht wusste, was ausgestellt wird (es ging im National Museum of Art um irgendwas mit moderner Kunst) ist das ohnehin egal, es geht einfach um moderne Kunst.

Ich kam also ins falsche Museum und wunderte mich sehr, warum das von innen so ganz anders aussah als ich das vor ein paar Tagen von außen gesehen hatte (klar, wenn man in einem anderen Museum ist …) und fand es noch erstaunlicher, dass man mir dort erklärte, dass sie da gar keine ständigen Ausstellungen haben, sondern nur wechselnde. Und sie zur Zeit zwei Ausstellungen haben, von denen ich nicht verstand, worum es ging:

und dachte mir, na gut, schauen wir uns Anime an.

Völlig falsch. War was ganz anderes.

Und zum zweiten Mal an diesem Tag bin ich in eine Kunstausstellung, von der ich mangels Sprachkenntnissen vorher nicht wusste, was ich mir ansehe, und hinterher froh darüber war, weil ich mir das, wenn ich den Text verstanden hätte, vermutlich nicht angesehen hätte, und dann hinterher froh war, es doch getan zu haben.

Die Ausstellung ging um Capcom, einen Hersteller von Computerspielen.

Der Eintritt war übrigens recht teuer, weshalb ich mich zunächst geärgert hatte, weil man zuerst all die Spiele und Spielefiguren sieht, die die gemacht haben. Ich dachte schon, Oh, Mist, Computerspiele interessieren mich überhaupt nicht, und die einzelnen Figuren schon gar nicht. Und dafür jetzt viel Geld ausgegeben.

Das wurde dann aber richtig interessant, weil sie einem gezeigt haben, wie das gemacht wird, wie sich das evolutionär entwickelt hat.

Beispielsweise haben sei einen großen Raum mit ganz vielen Lautsprechern rundherum und von oben, in dem sie per Beamer Ausschnitte aus Videospielen aus der Frühzeit bis heute zeigen und dabei jeweils anzeigen und vorspielen, wie sich der Sound entwickelt hat: Ganz am Anfang einfaches 8-Bit-Gedudel, Mono, ein Lautsprecher. Dann Stereo und so weiter bis Dolby Version weiß der Kuckuck was, wo man hinter sich hört, dass jemand von hinten hereinkommt oder irgendwas von oben angeflogen kommt.

Oder solche Dinge wie Transparenz, wie man diese im Laufe der Zeit verbessert hat, am Beispiel des Feuers eines Feuerspuckers: Ursprünglich gar keien Transparenz, da war Feuer einfach gelb und rot. Dann hat man es durch Flickern versucht, also zeitlich abwechselnd Bilder des Feuers und des Hintergrunds gezeigt, um Transparenz anzudeuten. Dann hat man es gerastert, also räumlich abwechselnd Pixel des Feuers und Pixel des Hintergrunds gezeigt (wo man dann aber leicht gar nichts mehr erkennt), dann hat man den Hintergrund auf das Feuer draufgemalt, und so weiter, bis man mit modernen Maschinen endlich gute Transparenz berechnen kann.

Oder wie Menschen in Anzügen mit Markierungen die Kampfbewegungen vor Kameras vorführen, die dann digitalisiert und auf die 3D-Modelle der Helden übertragen werden.

Oder überhaupt, wie sich die Helden graphisch verbessert haben, von winzigen Pixelwölkchen und Sprites bis zu realistischen, dreidimensionalen, hochauflösenden Renderings.

Man konnte sich vor Kameras stellen, die dann die eigenen Bewegungen – an einem Stand des Gesichts, an einem anderen des Körpers – erkennen und in Echtzeit auf einen Videospielhelden übertragen.

Man konnte auch Original-Notizen und -Zeichnungen sehen, auf denen die Designer vorher auf Millimeterpapier und handschriftlichen Textnotizen die Spiele planen und wie verblüffend gut die das schon mit einem Bleistift auf Papier zeichnen können.

Überhaupt hat mich beeindruckt,

  • wie gut die zeichnen können,
  • welches hohe Wissen in Anatomie und Kampfkunst die haben,

denn die machen sich Gedanken und da gibt es auch genau Anleitungen, wie jeder einzelne Muskel zu berücksichtigen ist. Selbst dann nämlich, wenn man so ein mit Muskeln bepacktes Riesenmonster oder so eine Superkampfsau hat, muss das, selbst dann, wenn es Muskeln hat, die es in der Realität nicht gibt, real aussehen und sich grundsätzlich an der Muskulator von Mensch (und manchmal Tier) orientieren, um glaubwürdig zu sein.

Auch Kampfkünste müssen die beherrschen, denn nicht nur die Schauspieler, die das für die Digitalisierung vorturnen, müssen gut in Kampfkünsten sein (und das oft ins Absurde übertreiben, viel dynamischer erscheinen lassen, beispielsweise bei Ausfallschritten nach vorne das Becken viel weiter nach vorne schieben und das Knie des vorderen Beines ganz eng anwinkeln, was man in einem echten Kampf nicht tun würde, damit das möglichst dynamisch und Anime-mäßig aussieht. Ich habe in einem Entwurf eines Spiels auf Millimeterpapier im Text zwischendrin eine Bleistiftzeichnung eines Karatekämpfers gesehen habe, die komplett korrekt und realistisch aussah, wie man im Karate wirklich dasteht. Das muss jemand gezeichnet haben, der viel Ahnung von Karate hat – und Spiele entwirft.

Oder die Evolution der Kamera von der „objektive“ festen Kamera, die etwa von der Zimmerdecke herabblickt, zu beweglichen 1st Person oder 3rd Person-Kameras, also aus Sicht des Hauptakteurs oder einer fiktiven ihm folgenden Person gedreht sind.

Sie haben auch Interviews mit Mitarbeitern von Capcom, Designern, Programmierern usw.

Es gab eine Zeit, in der man 2D-Spiele als erledigt ansah und dachte, nur noch 3D ist relevant. Ein leitender Zeichner und Designer sollte 3D machen, und hat sich – obwohl Erfahrung in 3D, der konnte das – dagegen entschieden, hat dann doch nochmal 2D machen wollen, um zu sehen, wie weit er mit seinen Fähigkeiten kommt.

Daraus wurde dann das – mir bisher völlig unbekannte – Spiel Ace Attorney, was wohl anfangs mit 2D-Graphik wider Erwarten doch sehr große Erfolge hatte und eine 2D-Renaissance eingeleitet habe, schließlich in den späteren Version dann aber doch auf 3D gemacht wurde.

Es gab auch einige Ausblicke, in denen auch vieles in Lebensgröße mit Beamern abläuft. Ich war in einem virtuellen Resident Evil Set, das einfach nur leere, dunkle Räume mit weißen Wänden war, wozu man aber eine virtuelle Taschenlampe bekam (ein Handgriff wie ein Laserschwert, das auf irgendeine Weise die genau Position im 3D-Raum vermisst und meldet und ein Beamer dann die Wand so anleuchtet, als würde man im Schein der Taschenlampe da etwas sehen – und da sah man dann (von Beamern an die Wände geworfene) Mauern, Türen und ab und zu auch Zombies, die sich da bewegten. Also quasi ein Gang durch eine animierte Geisterbahn. War nur ein Ansatz, aber zeigt, wo es hingeht: Man spielt das Spiel nicht mehr am Bildschirm, sondern geht durch das Spielset, ist quasi mittendrin. Oder VR-Brillen.

Beide zusammen

Mir ist da klar geworden, gerade in der Kombination der beiden Ausstellungen, dass Japan prädestiniert für Computerspiele und Anime ist, weil sie zwei historische Entwicklungen haben:

  • großartige Zeichenkunst, auch mit Witz und Spott,
  • Kampfkunst

Ich hatte ja vor ein paar Tagen schon über das Anime-Museum in Kyoto berichtet, in dem man auch gut sehen kann, dass diese Anime- und Zeichenkunst eine Geschichte von bis zu 400 Jahren hat, die frühesten erhaltenen Beispiel aus dem – weiß nicht mehr genau – 16. oder 17. Jahrhundert stammen, und dieser moderne Glupschaugenstil Anfang der 70er Jahre aufkam, dann wieder nachließ und dann seinen Siegeszug antrat, und sich dann solche Zeichnungen auch an Kinder wandten.

Beides, diese Historie des spöttischen Zeichnens und die enge Verbindung mit Kampfkunst haben wir in Deutschland so eben nicht.

Deshalb kommt das alles aus Japan und nicht aus Deutschland.

In der Capcom-Ausstellung war Fotografieren an wenigen (allerdings uninteressanten) Stellen erlaubt, Videoaufnahmen wurden mir aber sofort untersagt.