Ansichten eines Informatikers

Von Sommerzeitansichten und bröselnden Birnen

Hadmut
30.10.2021 0:55

Uuuuh. Zwei Leserreaktionen.

Nun schreibe ich relativ wenig zur Sommerzeit, kurzes Artikelchen, bekam auch Zuschriften, positiv und zustimmend, aber zwei ablehnende (einer lehnt meinen Artikel ab, der andere die Sommerzeit) möchte ich doch aufgreifen.

Guten Abend Herr Danisch,

nach dem Artikel über die Zeitumstellung zweifele ich langsam an Ihrem Verstand, da sich solche sinnbefreiten Artikel in letzter Zeit häufen.

Mit freundlichen Grüßen ein Leser Ihres Blogs

Was per se unlogisch ist, denn wenn mein Verstand so gelitten hätte, dass ich nicht mehr merkte, was ich für einen Käse schreibe – kann man ja nie ausschließen, dass man selbst so verblödet, dass man es selbst nicht merkt, wir werden ja alle nicht jünger, das müssen immer andere beurteilen. Aber wenn er meint, dass das bei mir der Fall wäre, dann würde die Mail ja auch nichts bringen. Als ob jemand, dem die Birne bröselt, spontan gesunde, wenn er solcherlei Zuschrift erhalte.

Die andere lautet

Hallo Herr Danisch,

ich sehe das sehr speziell.
Aus meiner Sicht ist die Einführung von Zeitzonen – später der Sommer-/Winterzeit – der erste global erfolgreich Angriff durch Krämer und Kommerz auf das Individuum in der Gesellschaft. Es ist der Raub eines individuellen, geographisch bedingten und daher eigentlich unanfechtbaren Bezugspunktes, der Ortszeit. Wie man es auch begründen mag, Normierungen sind oftmals sinnvoll, doch sie können auch zum Einfallstor für uniformiertes Denken werden, besonders dann, wenn solche Regelungen sich leise etablieren, weil scheinbar niemand etwas verliert. Ich habe das mal weiter ausgesponnen, aber das können Sie vermutlich um einiges besser als ich.

Es gab übrigens gestern spät im BR-TV (? habe gazappt, bin nicht sicher) eine kurze Satire zu dem Thema, wie begreife ich die Anleitung mit dem Raus- und Rein, muss ich die Uhr mit reinnehmen oder wer sponsort die Gartenmöbel, wenn ich keinen Garten habe? In s/w, sowas wie low key, herrlich verzweifelt.

Mit freundlichen Grüßen

Gut, dass dem Bayerischen Rundfunk ziemlich die Birne bröselt und er es selbst nicht merkt, wissen wir ja, seit die Anfang 2020 COVID-19 zum harmlosen Hirngespinst Rechter erklärt haben, dass die aufbauschen, um die Grenzen gegen Migration zu schließen. Wobei ich bis heute keine Erklärung der Bayernfunker gehört habe, warum die dann so still und leise die Positionen gewechselt haben (bei mir immer die „Corona-Rochade“ genannt) und ohne jegliche Erklärung oder Erläuterung dann auf die Gegenmeinung umgeschwenkt sind, dass Corona gefährlich und lockdowngebietend sei und die Rechten nunmehr Corona-Leugner. Generell scheint es in Bayern birnlich ziemlich zu bröseln, denn dass deren Minister, voran deren Digiteuse Doro Bär, nichts digitalisiert bekommen, merken sie ja auch nicht. Die CSU ist im Digitalen was der BR im Coronalen.

Den Absatz mit dem Angriff auf das Inviduum halte ich aber, mit Verlaub, für Humbug.

Ich glaube keineswegs, dass der Mensch da einen individuelle, geographisch bedingten und „unanfechtbaren“ Bezugspunkt hat, der die Ortszeit sein soll. Ich bezweifle, dass eine nennenswerte Zahl von Leuten überhaupt weiß, was eine Ortszeit ist. Irgendwo haben sie mal in Fußgängerzonen gefragt, warum wir eigentlich Jahreszeiten oder Schaltjahre mit 29. Februar haben, das alle 100 Jahre ausfällt, dann aber alle 400 Jahre nicht. Erbärmlich.

Oder dass wir die Ortszeit bis 1893 hatten und man sie dann durch die einheitliche Mitteleuropäische Zeit ersetzt hat, weil es bis dahin einfacher war, wenn jedes Kaff seine eigene Zeit hatte, und sich nach dem höchsten Stand der Sonne als Taktgeber richtete, weil halt physikalisch-natürlich vorgegeben und lokal zu messen, also ohne die Notwendigkeit einer damals noch technisch schwierigen Synchronisation. Seit man aber Eisenbahnnetze aufbaute und Fahrpläne brauchte, trieben einen die Ortszeiten in die Verzweiflung, weil man den Zug verpasste.

Insofern haben wir seit rund 130 Jahren keine Ortszeit mehr, und mir wäre nicht bekannt, dass dadurch irgendwelche Leiden oder Identitätsverluste eingetreten wären. In meiner Jugend wurde die ursprünglich mal eingeführte und wieder abgeschaffte Sommerzeit wieder eingeführt und viele Leute wehrten sich dagegen, sagten Tod und Siechtum voraus – woraufhin andere daran erinnerten, dass man, was erstere oft nicht wussten oder nicht bedacht hatten – schon mal Sommerzeit gehabt habe, ohne dass größere Schäden zu beklagen gewesen wären. Man neigt dazu, jede Änderung zum Weltuntergang zu erklären.

Insofern hat man den „individuellen Bezugspunkt“ bereit 1893 geraubt, und die Frage wäre, wieviele Leute sich mittags mit Sextant oder wenigstens einer Sonnenuhr draußen aufhalten, um überhaupt bemerken zu können, wo die Sonne gerade steht. Viele Leute wissen ja auch nicht, dass die Sonne auf der Südhalbkugel (scheinbar) andersherum läuft, mittags im Norden steht, sich der Schatten andersherum dreht.

Das halte ich jetzt nicht für so schlimm, aber zu unterstellen, dass die Ortszeit ein individueller, unanfechtbarer Bezugspunkt sei, halte ich unvertretbar, vor allem, weil wir sie seit rund 130 Jahren nicht mehr haben. Und mir auch nicht bekannt wäre, dass sich jemand über die Ortszeit definiert oder seine Uhr auf die Ortszeit einstellt.

Dann dürfte man ja auch nicht in andere Länder mit anderer Zeitzone reisen.