Mengenlehre
Aus den linken Krisenvorstädten der Mathematik.
Leserzuschrift:
Warum Schulbücher ggf nur für einen Jahrgang gehen
Hallo Herr Danisch,
ich bin 68 geboren und 74 in Hamburg eingeschult worden. Wir waren das erste Schuljahr, dass Mathe mit Mengenlehre begonnen hat. Dafür brauchten wir “natürlich” nagelneue Schulbücher.
Dumm ist nur, dass sie während des Schuljahrs wohl erkannt haben, dass man einem Erstklässler nicht erst mit Mengenlehre (1+1=1) Mathe erklären kann, um ihm dann zu sagen, dass 1+1=2 ist. Deswegen wurde das Ganze wieder eingestampft und die nächsten Erstklässler haben wieder mit “normaler” Mathe angefangen.
Da das an uns ausgegebene Mathebuch nicht mehr weiter verwendet werden konnte, hat man es uns geschenkt – und sich selbst die Entsorgungskosten erspart.Gruß
[Name]PS: Ich habe lange, sehr sehr lange, nach einer Anwendung für Mengenlehre gesucht und erst ca. mit 40 in einem Gespräche mit einem Kollegen erkannt, dass SQL und dessen Abfrageergebnisse gut mit Mengenlehre zu erklären sind.
Mehr Anwendungsbeispiele habe ich aber bis heute noch nicht gefunden.
Oh, ja, die Mengenlehre.
Ich bin 1972 eingeschult wurden, und ich kann mich noch erinnern, dass wir damals – ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob gleich zu Anfang oder dann später – einen „Mengenlehre-Kasten“ kaufen mussten, der damals schon sehr teuer war. Ein Plastikkasten, innen mit Stegen, damit die Teile schön aufgeräumt bleiben, und darin Plastikscheiben
- Quadrat, Dreieck, Kreis
- in vier Farben, ich glaube, es waren rot, grün, blau und gelb
- groß und klein
- mit und ohne Loch
Ich kann mich noch erinnern, dass ich das Mistding zum Rumspielen mit den Fingern ganz nett fand, aber verflucht habe, weil es nicht zu blieb, aufging und die Teile im Ranzen herumflogen, wenn ich nicht noch ein Gummiband drum machte.
Ah, hier, so ein Ding war das.
Und ich kann mich erinnern, dass wir das Ding nur einmal verwendet haben, weil man musste, weil wir das alle blöd fanden und nicht wussten, was wir damit machen sollten, weil wir damals in der Grundschule schon „Menge der gelben und dreieckigen“ lächerlich einfach und langweilig fanden. Wir wussten damals schon nicht, wozu das gut sein soll. Und der Lehrer sagte, er auch nicht, aber das sei halt nun mal Lehrplan. Wir fanden uns als Erstklässler schon unterfordert.
Aus heutiger Sicht würde ich sogar sagen, dass das weniger mit Mengenlehre, sondern mit Aussagenlogik zu tun hatte, auch wenn das eng verwandt ist:
Finde alle Elemente, für die die Aussage 1 und die Aussage 2, oder aber die Aussage 3 zutreffend ist.
Mengenlehre kann man damit eigentlich nicht machen, weil man beispielsweise eben nur ein einziges kleines gelbes Dreieck ohne Loch hat, und man damit nicht zwei Mengen, die der Gelben und die der Dreiecke darstellen und die Schnittmenge bilden kann. Sondern man hat einen Kasten voll Zeugs und kann dann auf verschiedene Weisen alle die Elemente suchen, die gelb und dreieckig, aber nicht groß sind. Letztlich nämlich sind die Eigenschaften der Plastikscheiben Prädikate aus der Aussagenlogik, während Mengen nicht notwendigerweise durch Eigenschaften definiert sind. Ich kann auch Mengen mit Elementen definieren, die keine gemeinsame Eigenschaft haben.
Im Prinzip nämlich ging es da mehr um Prädikatenlogik als um Mengenlehre, was aber weder Kinder dieses Alters verstehen konnten, noch die politischen Lehrplanidioten verstehen konnten.
Deshalb fällt es auch so schwer, darin einen Sinn zu finden. Es war fachlich einfach falsch, und Mengenlehre wurde total überschätzt, weil irgendwelche linken Geisteswissenschaftler dachten, sie hätten endlich was in der Mathematik gefunden, was sogar sie verstehen. Sie haben es aber nicht verstanden.
Und das ist auch der Grund, warum der Leser meinte, das in SQL wiedergefunden zu haben. Relationale Datenbanken kann man zwar auch als Mengen betrachten, weil jede Relation (=Tabellenzeile) theoretisch ein n-Tupel aus Elementen jeweils einer Definitionsmenge ist, und die Datenbank die Menge aller in ihr enthaltenen n-Tupel ist. Praktisch ist das aber nutzlos. SQL-Abfragen sind daher von ihrer Logik her keine Mengenoperationen, sondern prädikatenlogische Filter.
Mengenlehre ist so ein typisches Beispiel für eine pädagogische Schnapsidee, weil die Lehrpläne ab den 70ern zunehmend von Idioten gemacht wurden. Ich hatte den Eindruck, dass es da mehr darum ging, buntes Plastik in den Unterricht zu bringen, weil die 70er die Ära waren, in der alles aus Plastik sein musste, auch die Plastikstühle aufkamen und Fernseher nicht mehr aus Holz, sondern aus buntem Plastik waren. Ich hatte damals schon den Eindruck, rückblickend noch viel mehr, dass das Motiv dahinter eher war, dass sich irgendwer überlegt hatte, wie man denn buntes Plastik im Unterricht unterbringen könnte, weil das gerade so in Mode war (wer kann sich noch an die Pril-Blumen erinnern?), und man das dann an den Haaren herangezogen hatte.
Zweifellos hatte sich der Hersteller dieser Plastikkästen daran eine goldene Nase verdient. Sicherlich parteinah.