Über Fernsehspiele, Tiefenunschärfe, lügende Staatsanwälte und die Tücke des § 100j Strafprozessordnung
Mir ist ein Lapsus unterlaufen, und der hat einen Grund.
Sorry, Leute, ich habe gerade viel zu viele Dinge gleichzeitig um die Ohren und war auch noch übermüdet.
Im Artikel von vergangener Nacht über „Geschworinnen“ ist mir ein Fehler unterlaufen, und einige Leser haben ihn bemerkt und – teils derbe – gerügt. Ich hatte doch beschrieben, dass mir als Kind schon aufgefallen war, dass diese „Fernsehspiele“, die damals noch so üblich und häufig waren, die es heute nicht mehr gibt, irgendwie komisch aussehen, und zwar so komisch, dass wenn man reinschaltete, schon auf den ersten Blick, noch bevor man auch nur ein Wort verstande hatte, wusste „Fernsehspiel“. Ich habe lange überlegt, vor dem Fernseher gesessen, gewundert, warum das so ist. Warum sieht man auf den erste Blick, dass das kein normaler Film, sondern ein „deutsches Fernsehspiel“ ist?
Es hat nicht eine einzelne Ursache, sondern viele Komponenten. Diese Fernsehspiele waren ihrer Entstehung nach abgefilmte Theateraufführung. Man hat das dann so weiterentwickelt, dass man mit Fernsehkameras theatermäßig aufgebaute Studiokulissen abgefilmt hat, den amerikanischen Sitcoms nicht unähnlich, und dann eben für eine Kamera statt für ein Saalpublikum „gespielt“.
Und dabei kamen eben bestimmte Aspekte zum Tragen:
- eine völlig platte, schattenfreie, hundertprozentige Ausleuchtung
- die Bildrate von Fernsehkameras – viele stören sich auch im Kino an modernen digitalen Filmen die mit 48 oder 96 (oder anderem, es gibt da gerade alles mögliche) Frames per Seconds daherkommen, weil das eben wie „Fernsehspiel“ und nicht wie „Kino“ daherkommt, weil man sich einfach daran gewöhnt hat, dass Kino so ganz leicht ruckelnd mit 24 Bildern pro Sekunde daherkommt. In der Frühzeit des Kintopps waren es noch 16 Bilder pro Sekunde, aber das war gar zu ruckelig, weshalb man auf 24 erhöht und für Jahrzehnte dabei geblieben ist.
- ein oft lächerlicher Studioaufbau, bei dem man in ein Zimmer hineinblickt, wie es eben nur geht, wenn eine Wand fehlt, theaterähnlich eben, und teilweise noch mit den theatermäßigen Verzerrungen: Im Theater sind Zimmer oft nicht flach, horizontal gebaut, weil man sonst vom tiefersitzenden Publikum aus den Boden und die Füße der Schauspieler nicht mehr sehen würde. Obwohl das Publikum tiefer als die Bühne sitzt, soll es sich ja als Betrachter von oben fühlen, weshalb man das Zimmer kippt, den Boden nach hinten ansteigen lässt, damit man auch von den Publikumsplätzen „reinschauen“ kann, und baut das Zimmer oft so, dass es sich nach hinten verjüngt (so konisch-kegelförmig), damit es perspektivisch so aussieht, als sei der Zuschauer ganz nah dran oder drin, obwohl er weit weg sitzt.
Das hat man bei Fernsehspiel zwar nicht so stark, weil man den Standort der Kamera frei wählen kann und nicht ein tiefersitzendes Publikum ansprechen muss, aber das Prinzip fand da auch Anwendung, und es sieht halt immer künstlich aus, wenn man ein Zimmer auf einer Bühne aufbaut und das Flutlicht von oben kommt, wie es in Zimmern eben nicht von oben kommen kann, sondern da entweder punktförmig von Lampen oder tagsüber seitlich von den Fenstern kommt.
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Und vor allem: Die Bildschärfe.
Während man sich bei Kinofilmen große Mühe gibt, für jede Einstellung die Schärfe genau zu wählen, Schärfeübergänge zu machen, damit zu spielen, eigene Kameraassistenten zu beschäftigen, die nur für die Schärfenachstellung zuständig sind, gibt es das bei Fernsehkameras in dieser Form nicht. Die haben zwar eine Entfernungseinstellung in Form eines Drehrades am Griff, aber damit geht das nicht so und ist auch nicht so üblich, im Fernsehen spielt man nicht dauernd mit der Schärfe herum, weil man es auch nicht wiederholen kann, wenn es schief geht.
Deshalb lassen die bei Fernsehspielen die Kamera oft so, dass einfach von vorne bis hinten alles scharf ist, weil sie ja auch genug Licht draufdonnern können. Die hängen einfach genug Scheinwerfer auf, damit es so knallhell ist, dass die Blende so klein ist, dass alles von vorne bis hinten scharf erscheint. Was unnatürlich aussieht, weil es in der Realität nicht mal das Auge so kann.
Und beim Beschreiben des letzten Aspektes ist mir übermüdet und spätnachts ein Fehler unterlaufen. Ich hatte geschrieben:
Nicht nur die fernsehtypische Bildwiederholrate (im Gegensatz zu Kino), sondern die platte Studioausleuchtung, bei der einfach von oben ganz viel Licht kommt und fertig, nichts subtil, und die geschlossenen Blenden wegen des vielen Lichts, die kaum noch Schärfentiefe zulassen.
Also zwar richtig geacht, aber falschherum geschrieben, weil die Schärfentiefe ja total ist, und nicht gering.
Der Grund war, dass ich zunächst Tiefenunschärfe geschrieben hatte. Weil ich den Begriff von früher noch als „Tiefenschärfe“ kenne. Dann ist mir aber eingefallen, verdammt, Tiefenschärfe kann man nicht schreiben, weil dann sofort all die Pedanten und Besserwisser Sturm laufen und erklären, dass man „Tiefenschärfe“ nicht mehr sagen darf, es heiße doch längst „Schärfentiefe“ – was ich für unsinnig, weil kein Stück zutreffender halte. Aber Besserwisser sind nicht aufzuhalten, wenn sie mal etwas zum Besserwissen gefunden haben.
Glaubt Ihr nicht?
Schreibt mal „Schraubenzieher“. Dann könnt Ihr was erleben, was Ihr darüber belehrt werdet, dass es nach DIN irgendwas „Schraubendreher“ heißt, weil man damit ja Schrauben dreht und nicht zieht. Oder sagt mal „Zollstock“.
Einer belagerte mich mal länger, weil ich nicht korrekt zwischen „mehrfach“ und „mehrmals“ differenzierte, obwohl nach meiner Auffassung das nicht disjunkt, sondern mehrmals ein Spezialfall von mehrfach ist.
Aber wenn die Leute sich einmal an einer Haarspalterei, an einer Rechthaberei festgebissen haben, kennen sie kein halten mehr.
Deshalb dachte ich, verdammt, nein, Tiefenschärfe darf man nicht verwenden und habe das nachträglich, aber noch vor dem Veröffentlichen aufgrund dieses Gedankens in „Schärfentiefe“ geändert, um keinen Shitstorm loszutreten. Dabei war ich dann gedanklich aber bei der Besserwisserpedanterie und nicht mehr bei der Aussage des Satzes, wobei mir das „un“ verloren ging. Ich dachte nämlich noch „Schärfenuntiefe“ geht auch nicht, das hört sich nach Seefahrt an. Und dann ist mir im Zustand der Übermüdung das „un“ gedanklich verloren gegangen, weil mir noch durch den Kopf ging, dass der neubesserwisserische Begriff der „Schärfentiefe“ eben schlecht ist, weil man da das „un“ nicht gut drin unterbringen kann. Denn Fotografie handelt ja nicht nur von Schärfe, sondern spielt mit Unschärfe, aber Unschärfentiefe ist auch Quatsch.
Jedenfalls habe ich mir dadurch den nächsten Shitstorm eingehandelt.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich reichlich Leser habe, die nur lesen, um den nächsten Schreibfehler zu finden.
Lügende Staatsanwälte
Kommen wir zu der Frage, warum ich eigentlich übermüdet bin und zuviel um die Ohren habe.
Der Grund ist, dass ich noch nebenbei mehrere Rechtsstreitigkeiten auszutragen habe, die sich alle rund um das Thema Kontensperre/-spionage drehen.
Und dabei habe ich gestern eine Staatsanwältin beim Lügen ertappt.
Ich lasse das ja gerade gerichtlich überprüfen, und allein schon das Einreichen des Antrags hat wieder zu Mehrarbeit gemacht, weil das beim Amtsgericht erst irgendwie verschütt ging und nur verspätet bearbeitet wurde, und sich dann herausstellte, dass da zwei Verfahren nebeneinander liefen, das nämlich einmal an eine Ermittlungsrichterin ging (weil das ein Ermittlungsthema ist und der Richter für die Überprüfung zuständig ist, der auch für eine Anordnung zuständig wäre) und einmal an eine Strafrichterin (weil das Verfahren schon bei Gericht war und deshalb nicht mehr Ermittlungs-, sondern Strafrichter zuständig sind).
Das nun wieder führte dazu, dass die Ermittlungsrichterin bereits eine Stellungnahme der Staatanwaltschaft eingeholt hatte, während die Strafrichterin – zeitlich später – mitteilte, dass das dauere, weil man erst die Akte aus dem Archiv holen lassen müsse, um sie dann der Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme vorzulegen.
Wie also kann eine Staatsanwältin, die am Fall nicht beteiligt war und ihn nicht kennt, Stellung zum Fall nehmen, wenn sie die Akte noch gar nicht bekommen hat?
Lösung:
Es kam ja auch nur frei erfundener Mist dabei heraus.
Sie faselte einen von § 100j StPO und einer Bestandsdatenabfrage, und Bestandsdatenabfragen seien ja kein tiefer Grundrechtseingriff.
Nur ist das völliger Quatsch:
- eine Bestandsdatenabfrage kam im ganzen Verfahren nicht vor – Meine Identität und Anschrift stand ja im Impressum und ich habe ja sofort bestätigt, dass der fragliche Artikel von mir stammte.
- es gab auch im ganzen Verfahren keine § 100j-Anfrage.
- § 100j StPO bezieht sich auf Telekommunikation und Digitale Dienste, nicht auf Banken.
- § 100j StPO ist kein eigenes Auskunfts- und Ermittlungsrecht, sondern nur die Inanspruchnahme der Auskunftspflichten nach §§ 173, 174 TKG über die nach § 172 TKG erhobenen Bestandsdaten. Banken unterliegen aber nicht dem TKG.
- § 100j erlaubt keine Abfrage von Verkehrsdaten oder -inhalten, wenn man schon in der Analogie bleiben wollte.
- § 100j erlaubt nicht, den Kommunikationsanbieter zu bedrohen, damit er rechtswidrig das Maul hält.
- § 100j erlaubt auch keine willkürlichen Abfragen, sondern setzt ebenfalls einen nachprüfbaren Ermittlungszweck und einen Zusammenhang mit der Tat voraus.
Und so weiter und so fort.
Die Staatsanwaltschaft hat also einfach willkürlichen Bullshit von sich gegeben, irgendein Phantasiegefasel, was mit dem Fall überhaupt nichts zu tun hat, und darauf spekuliert, damit durchzukommen, weil die Richter es nicht merken.
Die lügen, dass sich die Balken biegen.
Und nebenbei zeigt es, dass die Rechtskunde der Staatsanwältin von § 100j StPO mangelhaft ist. Ich kenne diese Abfragen. Ich habe mal eine Beauskunftung und Vorratsdatenspeicherung geleitet und die Eingangsprüfung für Hunderte solcher Anträge gemacht und sie beauskunften lassen (oder manchmal eben auch nicht).
Und damit sind wir dann eigentlich wieder beim Thema der 12 Geschworenen, nämlich dass man dem Vortrag der Staatsanwaltschaft an das Gericht nicht glauben kann und darf, sondern jedes einzelne Wort überdenken und nachprüfen muss.
Aber ich habe halt gerade ein paar Baustellen zuviel gleichzeitig. Da kann nachts um zwei mal so ein Fehler passieren, dass beim Wechseln von Tiefenunschärfe zu Schärfentiefe das „un“ unter den Tisch fiel.