Der alte Japaner im Waschsalon
Ein interkulturelles Detail.
Ich hatte vergangene Nacht das Waschsalon-Video gepostet, leider habe ich gerade so viel Arbeit am Hals und so viele Dinge zu tun, dass ich kaum damit hinterher komme, die Japan-Reisevideos zusammenzuschnippeln, von den vielen Fotos gar nicht zu reden.
Was im Video nicht dran kommt, ist, dass ich da auch noch einige Erlebnisse hatte. Ich war zweimal in diesem Waschsalon zum Wäschewaschen. Zuerst saß ich da, wo ich das Video beim Sprechen aufgenommen habe, nämlich an der hinteren Wand vor der Waschmaschine, die brauchte so, weiß nicht mehr, ich glaube 30 oder 40 Minuten. Und danach saß ich dann an dem Tisch an der Wand mit den Warnschildern, die man eingangs sieht, am Wäschetrockner. Der brauchte pro Durchlauf 10 Minuten. Nach den ersten 10 habe ich die Sachen rausgenommen, die dann schon trocken waren, und der Rest war nach weiteren 10 Minuten trocken.
Also war ich da beidesmal so ungefähr eine Stunde beschäftigt, und ab und zu kamen da auch andere Leute rein. Mal andere Touristen, mit denen ich mich auf englisch über die Sehenswürdigkeiten unterhalten habe. Mal ein junger japanischer Mann, der mir gerne helfen wollte, die Waschmaschinen zu bedienen (die großen bediente man über einen zentralen Bildschirm), obwohl ich damit klar kam und die kleine Maschine, die ich benutzt habe, per Münzeinwurf und Tasten bedient wurde.
Als ich das zweite Mal dort war und das Video schon aufgenommen hatte, fiel mir auf, dass viele Japaner den Salon wohl nur für große Sachen benutzen, weil sie sehr kleine Wohnungen und deshalb oft auch nur kleine Waschmaschinen haben, denn ich habe im Kaufhaus dort nicht nur Waschmaschinen in Normgröße, sondern auch kleinere Exemplare gesehen. Und um dann Decken oder Teppiche zu waschen, die in die kleinen Maschinen nicht passen, gehen sie dann in den Waschsalon mit den großen Maschinen, die man im Video sieht.
Wie ich da also am Waschen war, hatte ich einen alten Japaner beobachtet. Wie das blanke Klischee, ein ganz schmaler, schmächtiger Mann, dessen Körpersilhouette rechteckig schmal wirkte, so ein ganz typisches angeknittertes altes-Japaner-Gesicht, alles sehr sauber, tadellos, gebügelt, der da mit so einer riesigen – ja, ich weiß gar nicht, was das war, eine Art Teppich oder Doppelbett-Tagesdecke so kamelhaarfarben mit langen wolligen Fäden, im Prinzip potthässlich – ankam, die er in einer der Riesenwaschmaschinen – die gleich kombiniert mit Wäschetrockner waren, also in einem Durchgang gewaschen und getrocknet haben – und die da gewaschen hat, aber während des Waschens nicht da gelieben war, sondern später wieder kam.
Als er die Decke zum Waschen brachte, saß ich noch hinten auf dem Stuhl bei der Waschmaschine, wo ich beim ersten Besuch auch das Video aufgenommen hatte. Er ignorierte mich aber völlig, als wäre ich gar nicht da. Das war mir auch bei anderen Japanern aufgefallen, die normalerweise immer sehr freundlich und höflich sind, aber anscheinend den Waschsalon als eine Art Intim-Angelegenheit ansehen und sich da so ignorieren wie in der Badeanstalt. Wie auch immer, der Mann tat, als existierte ich gar nicht.
Als er mit dem Einladen seiner Decke fertig war und unweigerlich mal ungefähr in meine Richtung schaute, dachte ich, das probiere ich jetzt mal, stand so dreiviertel auf, verbeugte mich vor ihm und rief fröhlich und mit anschließendem Lächeln „Konnichiwa“.
Der stand da, fassungslos, als wäre ein Geist vor ihm erschienen und glotzte mich ungläubig an.
Ich hatte und habe keine Ahnung, ob ich mich daneben benommen oder lächerlich gemacht habe, oder ihn blamiert hatte, weil er mich nicht gegrüßt hatte, die Situation war irgendwie, als hätte er sein Gesicht gerade so verloren, dass es scheppernd auf den Boden gefallen wäre. Aber ich bin ja Europäer, wir sehen das nicht so eng. Und mit Schweigen hat noch keiner kommuniziert.
Er sagte dann so zweimal schnell und gedämpft, als fehle ihm das Verständnis für die Situation „Konnichiwa, Konnichiwa“ mit angedeutetem Nicken, das kam so als „Ja, natürlich, Guten Tag, Guten Tag“ bei mir an. Als hätte ich ihn gerade bei der totalen Blamage erwischt oder wie auch immer. Egal, ich freudestrahlen, lächelnd, grinsend, nochmal verbeugend, völkerverständigend.
Er dann weg, gegangen. Wohnte wohl in der Nähe.
Weile später, als meine Wäsche gewaschen war und ich dann wieder am Eingang bei den Wäschetrocknern saß, kam er wieder, weil seine Decke fertig war. Beachtete mich wieder nicht.
Dann scheiterte das kleine, alte Männchen aber daran, die große, schwere Decke beim Ausladen zu bändigen und wieder in die Tasche zu verfrachten. Die war einfach zu groß und zu unhandlich.
Also gab ich wieder den Europäer – hatte sowieso Langeweile und nichts zu tun – stand auf, und ging auf ihn zu.
Er guckte mich noch fassungsloser an als zuvor.
Sprechen ging nicht, er kein Englisch, ich kein Japanisch.
Also gestikulierte ich ihm, dass ich ihm jetzt beim Zusammenlegen helfe, weil das mit vier Händen eben geht, weil Tücher und Decken, wenn man sie faltet, nun einmal rechteckig sind und damit vier Ecken haben, wie man das eben so macht. Zwei Leute nehmen sich je zwei Ecken, Hände auseinander, auseinandergehen, bis das Tuch oder die Decke straff ist, dann einmal zusammenlegen und das wiederholen, bis das Ding in handlichem Format ist.
Blankes Entsetzen in seinem Gesicht. Die ganze Situation entsetzlich.
In meinem Kopf der Gedanke: Mach jetzt bloß keine Rückzieher, sonst sieht es nach Fehler aus und wird richtig peinlich. Die Situation ist nur geradeaus vorwärts zu lösen. Ich also breit grinsend, Frohsinn, Hurra, wir legen jetzt die Decke zusammen, und er hat mitgemacht, es aber auch sehr eilig gehabt, und die Decke sofort genommen, als sie klein genug war. Angenehm war es ihm nicht, aber er hat sich dann doch sichtlich gefreut, dass sein Problem gelöst war. Und ich so wie „Ha, das ist doch was“, Geste, wie ich sie aus „Shogun“ kannte.
Auf dem einen Meter zwanzig vom Tisch zur Ausgangstür hat der sich fünfmal bei mir bedankt (Arigato verstehe ich).
Und ich habe bis heute nicht herausgefunden, ob ich mich daneben benommen habe, ob er sich daneben benommen hat, oder ob ich mich da unerwartet hilfsbereit benommen habe. Denn Japaner sind normalerweise pathologisch hilfsbereit. Als ich in Kyoto eine Speicherkarte verloren hatte, haben gleich mehrere Leute mitgesucht, so sehr, dass ich selbst mit weitersuchen musste, obwohl ich die Karte schon aufgegeben hatte.
Es scheint aber wohl so zu sein, dass so etwas wie ein Bettdecke etwas ist, was andere nichts angeht. Ich hatte den Gesamteindruck, dass der Mann es außerordentlich und für nicht zu handhaben fand, dass ich ihn a) angesprochen und b) seine Decke angefasst habe, dennoch aber sehr froh war, dass auf diese Weise die riesige Decke zusammengelegt in seine Tasche kam, was er alleine unmöglich geschafft hätte, ohne sie auf den Fußboden zulegen.
Wie auch immer. Ich habe mich amüsiert. Ich bin Europäer. Wir sehen das nicht so eng.