Wie war’s in Japan?
So. Das war’s. Japan-Besuch ist zu Ende. Bin gerade in Berlin angekommen.
Mal überlegen, wie es war.
Obwohl das der erste Reiseblogbericht seit Jahren war, haben es einige erkannt: Raumpatrouille Orion – Rücksturz zur Erde. Die Musik muss zum Ende einer Reise immer kommen, sonst geht’s nicht. Taucht die im Blog auf, ist eine Reise zu Ende.
Sollten meine traurigen Überreste jemals in die Grube herabfahren oder – was ich bevorzugen würde – in einer Kanone gen Osten oder wohin auch immer (falls bis dahin noch jemand weiß, was die vier Himmelsrichtungen sind und wie man eine Kanone abfeuert), dann bitte zu dieser Musik.
Das waren jetzt also dreieinhalb Wochen in Osaka, Kyoto, Nara. Mit Flugzeiten vier Wochen. Ich wollte ursprünglich einen Monat, aber das Hotelportal, über das ich gebucht habe (oder auch das Hotel selbst) haben eine Beschränkung auf vier Wochen und ich wollte nicht mit zwei Buchungen hantieren oder das Hotel wechseln und habe den nächstfrüheren Rückflug gewählt.
Mein Abschiedsgefühl:
- Der Verstand sagt: Ich habe im Wesentlich gesehen, was es zu sehen gab.
- Der Kopf wäre gerne länger geblieben oder würde gerne wieder kommen.
- Der Gaumen sowieso, dem gefällt es da sehr.
- Aber den Beinen hat es doch gereicht. Nach fast einem Monat Rumlauferei mit Rucksack und Fototasche merkte ich doch, obwohl ich gegenüber früher bei der Ausrüstung deutlich abgerüstet und abgepeckt habe, dass die Beide müde und schwer wurden und ich dann eben auch keine 30 mehr bin.
Insofern bestand nicht nur Einigkeit all meiner Körperteile, dass ich besser wiederkomme und mir andere Landesteile anschaue, statt länger zu bleiben. Außerdem stellte sich beim Packen heraus, dass ich durch den dort eingekauften Kram mit dem Gepäck von Gewicht und Volumen an der Oberkante war und sogar einen Regenponcho, den ich mir mal bei starkem Regen im Convenience Store um die Ecke gekauft (vom Preis nicht billig, aber vom Material nur billige schwarze Folie) und dann noch nicht benutzt hatte, dort zurückgelassen habe.
Dann lieber nochmal anreisen und mal Tokio oder so besuchen, Okinawa würde mich auch interessieren, aber auch mal nach Südkorea.
Ich weiß jetzt auch deutlich besser, was ich dort brauche und was nicht.
Gesamteindruck
Tolle (Stadt-)Reise, ich habe dort viel gelernt und viel gegessen, viel gesehen und viel erlebt.
Ich habe dort nicht das Japan gefunden, das ich mir vorgestellt hatte, sondern ein anderes. Und das war in mancher Hinsicht ernüchternd, oder auch einfach so ein „die sind ja viel normaler, als ich gedacht habe“, weil vieles, was ich mir da verrückt vorgestellt habe, dann doch normal, pragmatisch, locker war, ich dafür andere freakige Dinge gefunden habe.
Es war also eine sehr lehrreiche und interessante Reise. Und das sind die besten. Wenn man hinterher mehr weiß als vorher, und man die meiste Beute, die man gemacht hat, nicht im Koffer, sondern im Kopf zurückträgt.
Was mir gefallen hat
Drei, vier Dinge möchte ich herausheben, die mir besonders gut gefallen haben:
- Die Japaner
- Die Leute sind so freundlich, so höflich, so hilfsbereit.
Aber nicht einfach nur gut erzogen. Die Leute zeigen einem (oder zumindest tun sie recht überzeugend so), dass man als Individuum, als Person wahrgenommen, geschätzt, respektiert wird.
- Das Essen
- Ich kann es nicht anders sagen: Ich bin überwältigt, schier erschlagen von der Vielzahl der Restaurants und der Köstlichkeit des Essens. Ich habe gefühlt Tausende von Restaurants gesehen und wäre liebend gerne noch länger geblieben, um noch viel mehr davon zu probieren. Während Deutschland zunehmend auf die Wahl zwischen Döner und Pizza zusammenschnurrt.
- Die Sicherheit
- Während es in Deutschland immer gefährlicher wird, noch rauszugehen, und die Zahl der Wohnungseinbrüche zunimmt, einem schnell alles geklaut wird, was nicht niet- und nagelfest ist,
- Die Toiletten und die Sauberkeit im Allgemeinen und die derselben im Besonderen
- Muss man klar sagen: Die Toiletten in Japan sind ein Superbrüller. Sauber und hochfunktionial. Ich werde noch separat etwas über die Toiletten schreiben.
Aber: Es sind nicht nur die Toiletten. Ich habe (fast, nur eine Ecke) kein Graffiti gesehen, keinerlei Vandalismus oder (außer durch Touristen) liegengelassenen oder fallengelassenen Dreck. Und sehr beeindruckt hat mich diese rigorose Sauberkeit in den öffentlichen Bädern.
Es ist unglaublich, welchen Zivilisations- und Komfortgewinn – beispielsweise im Vergleich mit Dreckloch Berlin – bringt.
Was mir nicht gefallen hat
Es gibt auch ein drei Punkte, die mir nicht gefallen haben.
- Die Organisation der Expo
- Ich hatte es gerade schon beschrieben, die Expo an sich hatte schon ihre Probleme, obwohl sie schön gemacht war, aber die Organisation des Zugangs zum Messegelände und zu den Pavillons war gruselig.
- Englisch
- Es war nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, sich mit den Leuten zu unterhalten, weil fast niemand Englisch spricht (oder sich vor lauter Angst, sich zu blamieren, nicht traut). Und wie viel auch an Texten nur auf Japanisch besteht.
Es wird, zugegeben, deutlich abgemildert, wenn man die Übersetzerapps auf dem Handy hat, die Texte lesen und übersetzen können und die auch gesprochende Sprache verstehen und übersetzen. Viele Restaurants haben ihre Speisekarte längst per QR-Code samt elektronischer Bestellung online – nur auf japanisch, aber damit zur automatischen Übersetzung per Browser in fast jede beliebige Sprache.
Ich hatte dabei den Eindruck, dass viele Leute es für überflüssig halten, sich noch mit Englisch auseinanderzusetzen, weil doch ohnehin die Apps und die KI das jetzt alles für einen übernehmen. Und ich hätte auch nicht gewusst, wie ich hier ohne Handy, ohne Google Maps, ohne Übersetzer hätte durchkommen sollen. Mit diesen Hilfsmitteln ging es aber passabel, und die werden ja immer besser. Man macht sich deshalb auch nicht mehr die Mühe, Speisekarten, wie in einigen wenigen Restaurants zu finden, auch auf Englisch anzubieten, weil man inzwischen sowieso weit verbreitet Speisekarte und Bestellung digitalisiert, beim Betreten einen Zettel mit individuellem QR-Code und Link auf die Speisekarte bekommt und dann über diese Webseite bestellt. Und das kann das Handy dann sehr leicht über den Browser in jede Sprache übersetzen kann, die der Browser kennt. Sie bekommen die Übersetzung in allen Sprachen also quasi zu ihrem QR-Code-Bestellsystem gratis dazu. Das funktioniert so verblüffend gut, dass es eigentlich nicht mehr notwendig ist, Speisekarten in anderen Sprachen zu erstellen. Ich schaue mit dem Handy drauf uns sehe die Speisekarte komplett auf deutsch. Eigentlich muss man nicht mehr mehr als „Guten Tag“, „Danke“ und „Auf Wiedersehen“ sagen können, zumal man da fast überall zahlt, indem man seine Kreditkarte ans Gerät hält, aber ins Gespräch kommt man so natürlich nicht.
Trotzdem: Von einem Technologieland erwarte ich da einfach mehr. Nach meinem Eindruck sind die Chinesen in Englisch besser.
Und deshalb hat es mir überaus gut gefallen, dass die Lehrer dort die Schüler per Aufgabe zwingen, beim Schulbesucht auf der Expo (oder wie andere auf Youtube berichteten, auch anderswo) Fremde, Ausländer auf Englisch anzusprechen und mit ihnen ein paar Sätze Konversation zu treiben, Antworten auf drei vorgegebene Fragen einzuholen. Man merkt, wie unsicher und ängstlich die anfangs sind, und dann mit so einem „Huch, das funktioniert ja wirklich, der hat uns eben verstanden und wir ihn auch“–Effekt weitergeht. Ich habe es wiederholt erlebt, dass mir Leute, die zuvor bestritten, Englisch zu sprechen, auf mein „Arigato gozaimasu“ (=„Danke“, aber im Unterschied zu einem nur „Arigato“ höflicher ist, wie ich mir an der Hotelrezeption auf meine Nachfrage habe erklären lassen), dann doch mit einem „Thank you“ antworteten: Wenn der Fremde sich die Mühe macht, Danke in unserer Sprache zu sagen und das auch noch in der gehobenen Höflichkeitsform, dann können wir auch nicht dahinter zurückbleiben und müssen „Danke“ in seiner Sprache sagen.
- Das Geschrei
- auch wenn es vorranging oder nur die Expo und die Verkehrsmittel dorthin betraf: Es geht mir auf die Nerven, wenn alle 5 Meter einer in Uniform steht, und Anweisungen per Megaphon brüllt. Vor allem dann, wenn ich sie nicht verstehe. Wenn sie wichtig sind, warum nicht auch auf Englisch? (was machbar wäre, denn ich habe mir diese Megaphone angesehen, viele haben Speicher, in die die Anweisungen reingebrüllt und dann automatisch oder auf Tastendruck wiederholt werden können. Das könnte man dann auch englisch machen. Wenn sie aber nicht wichtig sind: Warum dann überhaupt das Gebrüll?
Megaphone habe ich außerhalb der Expo und der An- und Abfahrt dorthin nicht erlebt. Trotzdem: Vor vielen Läden und Restaurants steht jemand und kräht unentwegt irgendwas in die Menge, um Kunden zu werben.
Eigentlich ist es nie ruhig. Ich hatte mir Japan immer als so einen Ort der Stille vorgestellt. Tatsächlich herrscht hier enorm viel Lärm von allen Seiten.
Was habe ich gelernt?
Das Japan, das ich mir vorgestellt habe, habe ich nicht vorgefunden. Es war vieles anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
In vielerlei Hinsicht war es „normaler“, „profaner“ als in meiner Phantasie. Die Japaner sind einfach normaler und auch entspannter, als das Klischee, das wir in Deutschland entwickelt haben. Es ist aber nicht nur ein Klischee, sie leben auch von einem Nimbus, der wohl genauso wenig stimmt wie das Klischee.
Und doch haben sie mich immer wieder mal überrascht, weil an den Klischees dann doch was dran ist, aber anders, als vorgestellt. Ja, sie sind total freundlich und verneigen und verbeugen sich ständig. Aber doch wieder ganz anders, sie sind längst zu ihrem eigenen Manga geworden.
Samurai und Ninja
Ich habe einiges über Shogune, Samurai, Ninja gelernt. Auch dass die schon „normaler“ waren, als wir uns das in unseren Bildern, Geschichten, Vorstellungen ausmalen. Und wenn es manchmal nur so profane Dinge sind, wie dass die Schwerter der Samurai nach der Schlacht aus der Scheide und aus dem Griff genommen und in einer völlig schmucklosen, einfachen Holzscheide in Öl aufbewahrt wurden, weil sie sonst rosten.
Dass die Shogune und Samurai zwar drakonisch waren und man schon für geringste Abweichungen von den Regeln den Kopf abgeschlagen bekam. Dass sie aber andererseits als Polizei, als die Schöpfer Japans angesehen werden, denen man nicht viel, sondern einfach alles zu verdanken habe, die Japan zu dem gemacht hätten, was es ist, weil sie – mit drakonischen Mitteln zwar, aber immerhin – Ordnung, Höflichkeit, Ehre, Zusammenleben eingeführt und durchgesetzt haben.
Japan ist viel älter als die Shogune und Samurai, aber anscheinend weiß man aus der Zeit vorher nicht viel. Die Schrift hat man erst von den Chinesen übernommen, und vorher gab es wohl keine Aufzeichnungen.
Von Vorteil, aber trotzdem neurosenspendend war das Ende der Edo-Zeit. Bis ins 19. Jahrhundert hatte man sich abgeschottet, war beim alten Schema der einfachen Holzhütten geblieben, das klassische Japan, das wir kennen. Und mit einem Schlag hat man sich umentschieden, angeordnet, befohlen, sich zum Westen zu öffnen, und traditionelle japanische Werte und Lebensweisen durch westliche zu ersetzen. Plötzlich trug man Anzug und Krawatte.
Und damit war ein Identitätsverlust besiegelt, denn plötzlich war man nur noch Nachahmer modernen Lebensstils.
Ich weiß nicht mehr, wo das war, aber ich habe mal irgendwo eine Bemerkung gelesen, die den Zustand wohl beschreibt: Früher haben die Shogune und Samurai Japan zu dem gemacht, was es heute ist. Heute ist es Pokemon, was Japan prägt und zu dem macht, was es ist.
Sie sind süchtig.
Nicht nur nach Alkohol. Vor allem spielsüchtig. Unfassbare Mengen von Spielautomatenhöllen mit nie enden wollenden Reihen elektronischer bunter Spielautomaten, Pachinko, bestimmen die Ladenzeilen und Einkaufsstraßen. Gerappelt voll. Die Leute sitzen vor bekloppten Automaten und spielen da – anscheinend stundenlang.
Niedlichkeitsssucht
Was mir aber auch aufgefallen ist: Die Niedlichkeitssucht der Japaner.
Die sind total durchmangaifiziert, und jede Menge von Frauen machen auf niedlich, kleiden sich als Schul- oder Dienstmädchen. Alles muss diese großen Manga-Glupschaugen haben. Alles wird inzwischen im Mangastil dargestellt. Werbung setzt übersüßliche hohe alberne Mädchenstimmen ein. Ich habe auf der Expo ein Video gesehen, in dem eine junge Frau/Mädchen irgendetwas vorführt, dabei aber nicht gezeichnet, sondern völlig realistisch aussieht, gefilmt wie eine echte Frau – aber so große Augen hat, dass die Augäpfel nicht in ihren Schädel passen würden.
Niedlichkeitsautomaten. Viele Geschäfte bestehen nur aus endlosen, in vier, fünf Zeilen übereinander gestapelten Automaten, aus denen man gegen Münzeinwurf eine Kugel mit irgendeinem Inhalt bekommt, der nur so beispielhaft kategorisiert ist. Die funktionieren, wie bei uns früher die Kaugummiautomaten, nur größer: Münzen rein, Knebel drehen, Kugel kommt unten raus.
Millionen dieser Automaten stehen herum. Tinnef und Klimbim jedweder Art, besonders der ganze Manga- und Niedlichkeitskram, selbst Schminkzeug, Küchengewürze. Kostenpunkt meiste so zwischen 300 und 500 Yen (rund 2 bis 3,30 Euro, bezogen auf die Kaufkraft etwas mehr).
Die Läden sind voll. Die Leute kaufen diesem Kram in unfassbaren Mengen.
Ödniswüsten
So sehr einen diese Einkaufspassagen aus einem undurchschaubaren, riesigen Geflecht von unterirdischen Straßen mit Tausenden von Restaurants und ihrer Glitzerwelt beeindrucken, muss man ebenso sagen, dass sobald man mal etwas aus der Innenstadt rauskommt, etwa mit dem Zug über das Land oder die Vorstädte fährt, eine Tristesse herrscht: Häuserwüsten aus Wohnblocks und traditionellen oder den typisch japanischen rechteckigen Quaderhäusern auf kleiner Fläche, die scheinbar planlos eins ans andere geklatscht wurde, um möglichst viele Leute unterzubringen.
Da herrscht eine gewisse Ödnis und Langeweile, und es überrascht dann nicht, dass die Leute sich in Alkohol, Spielsucht oder Phantasiewelten stürzen oder Cosplay machen und sich seltsam kleiden.
Es hat mir gefallen
Alles in allem: Es hat mir gefallen.
Es war aber ganz anders als erwartet. Und nicht in jeder Hinsicht besser. Aber in vielerlei unerwarteter Hinsicht besser.
Ich musste in Japan an einen Spruch denken, den uns in der Schule mal ein Griechisch-Lehrer sagte: Man muss Fremdsprachen lernen, um die eigene zu verstehen. Das ist nicht nur bei Sprache so. Man muss sich die japanische Kultur und Zivilisation ansehen um zu bemerken und festzustellen, wie schlecht unsere Kultur, unsere Zivilisation inzwischen ist, wie sehr sie zerstört wurden.
So. Nun sitze ich noch auf einem großen Berg von Fotos und Filmschnipseln, aus denen ich jetzt was machen muss. Wird ein paar Tage dauern.