Ansichten eines Informatikers

新幹線 – Shinkansen

Hadmut
18.5.2025 4:25

Ein feuchter Tag.

Oder: Vom Fahren, vom Stinken und vom Waschen.

Heute Gestern [bevor ich hundemüde wieder Schrott schreibe, dachte ich mir, schreibe ich den Artikel am nächsten Morgen fertig] kam der Regen runter, der eigentlich für vorgestern angekündigt war. Was macht man an einem Regentag? Ganz ehrlich: Im Regen herumzulaufen habe ich keine so große Lust. Fotografieren ist auch nicht gut, wenn man die Kamera ständig trocken wischen muss. Ich habe zwar eine Regenschutzhaube – aber die liegt in Berlin.

Außerdem habe ich gestern morgen zu lange geschlafen, um so wirklich pünktlich irgendwo zu sein. Also dachte ich mir: Jetzt könnte ich doch mal den Shinkansen ausprobieren. Einmal im Leben soll man ja Shinkansen gefahren sein, wieder ein Haken in der bucket list. Auf, nochmal nach Kyoto. Schauen, ob es da auch regnet, und wenn ja, in Museen.

Der Shinkansen fährt in ca. 15 Minuten von Osaka nach Kyoto, während die normalen Pendler-Regionalbahnen zwischen 35 und 60 Minuten brauchen – es ist in Japan wohl üblich, dass auf einer Strecke mehrere Züge mit unterschiedlichen Bezeichnung fahren, die sich nur darin unterscheiden, wo und wie oft sie anhalten. Und genau deshalb lohnt es sich zeitlich eigentlich nicht, mit dem Shinkansen zu fahren, denn der fährt vom Nord-Bahnhof Shin-Osaka und nicht vom Hauptbahnhof Osaka (Umeda). Die beiden preisgünstigen Regionalbahnen Keihan Line und JR Kyoto Line fahren von Yodoyabashi und Hauptbahnhof, und man braucht kein Ticket, man kann mit der allgemeinen Verkehrszahlkarte (ICOCA) zahlen. Dagegen muss man für den Shinkansen eben nach Shin-Osaka fahren, etwa mit der U-Bahn. Das kostet nicht nur Geld – es kostet auch Zeit.

Mir ist übrigens aufgefallen, dass Shinkansen 新幹線 und Shin-Osaka 新大阪駅 nicht nur phonetisch beide mit „shin“ anfangen, sondern eben auch mit demselben Zeichen 新 anfangen. Anscheinend heißt das „neu“ – der Shinkansen ist wohl einfach die „Neue Fernverbindung“. Und Shin-Osaka ist wohl einfach der neue Bahnhof Osaka.

Kommt man in Shin-Osaka an, ist man erst einmal geplättet – großer Bahnhof, rappelvoll mit Menschen, ein einziges Getümmel. Selbst für die Ticket-Automaten zum Shinkansen muss man anstehen. Auch das dauert. Ich habe mir ein Ticket ohne Reservierung gezogen, auch um nicht auf einen bestimmten Zug festgelegt zu sein.

Dann muss man wieder anstehen – auch der Shinkansen verwendet dieses Zugangssystem, wie man es auch von englischen und amerikanischen U-Bahnen kennt: Ticket beim Betreten durchziehen und am Zielort beim Verlassen noch einmal. Auch da muss man wieder anstehen. Kostet wieder Zeit.

Dann ein Problem: Der Ticketautomat hatte mir zwar angezeigt, mit welchem Shinkansen ich fahren muss – die haben verschiedene Namen und verschiedene Ziele. Nun gibt es in der Bahnhofshalle Bildschirme, die anzeigen, welcher Shinkansen auf welchem Gleis wann fährt. Und ich hatte mir den Namen nicht gemerkt. Auf der Tafel wurden aber nur die Endbahnhöfe angezeigt – und Kyoto ist nicht Endbahnhof. Woher soll ich also wissen, wie ersehen können, welcher Shinkansen über Kyoto fährt?

Niemand zu finden, den man fragen könnte.

Als dann irgendwann einer in der Uniform der Bahngesellschaft vorbeikommt, frage ich den. Der kann kein Wort Englisch, gibt mir aber langwierig über Handy und Übersetzerapp zu verstehen, dass ich jeden beliebigen nehmen könnte – die führen alle über Kyoto.

Zählt man all die Verzögerungen zusammen, lohnt sich der Shinkansen zeitlich nach Kyoto (15 Minuten Fahrt) eigentlich nicht mehr, weil man die Zeitersparnis für den Mehraufwand verbrät. Aber ich wollte eben mal gefahren sein, denn ich bin ja auch mal Kamel geritten.

Letztlich ist Shinkansen fahren wie A380 fliegen: Sieht von außen geil aus, und man will es mal getan haben, aber wenn man erst einmal drinnen sitzt, sieht es ganz normal aus.

Der Shinkansen hat, wenn man nicht erster Klasse bucht, ein zwar sehr sauberes und angenehmes, aber eben doch profanes Abteillayout, nämlich einfach viele Reihen Sitze, 5 pro Reihe, getrennt in 2–Gang–3.

Dass die Sitze und das Interieur bis hin zu den Bullaugenfenstern mit Schiebejalousie doch sehr an ein Flugzeug erinnern, ist kein Zufall, sondern Programm: Man hat das Ding dem Flugzeug nachgebaut. Ich habe einen Zug der ersten Version von 1964 später im Museum gesehen, der sieht wie ein Flugzeugrumpf aus, als hätte man einer alten Boeing oder DC-3 die Tragflächen und das Leitwerk abgeschnitten und sie auf Bahnfahrgestelle gesetzt.

Übrigens: Das mit der angeblich so genauen Pünktlichkeit des Shinkansen mag zwar stimmen – ist aber, wenn man nicht gerade eine Reservierung gebucht hat, ziemlich irrelevant, die fahren nämlich alle paar Minuten und nicht, wie in Deutschland, alle ein oder zwei Stunden. Die könnten gar nicht mehr als ein paar Minuten Verspätung haben, weil dann ja schon der nächste kommt.

Außerdem haben die viel weniger mögliche Gründe für Verspätung, denn wenn Ihr mal auf Google Maps guckt, da stehen an den Bahngleisen die Bahnlinien dran, haben die für jede Bahnverbindung und jede Gesellschaft eigene Gleise. Sie müssen sie also nicht nur mit niemandem teilen, wie in Deutschland, wo einfach alles über dieseben Gleise fährt, sondern haben dadurch auch viel weniger Weichen, Signale und so weiter, und sind damit weniger anfällig.

Ich bin dann also gefahren, kam in einen so gut wie völlig leeren Wagen und war nach 15 Minuten am Ziel in Kyoto. Sitze ähnlich wie im Flugzeug. Fenster ähnlich wie im Flugzeug. Aber mit seeehr viel Platz zwischen den Reihen. Man muss auch auf den Dreiersitzen die Sitznachbarn nicht bitten, aufzustehen, um einen raus zu lassen.

Was mich am Shinkansen beeindruckt hat, war nicht, dass er so pünktlich oder so sauber war – sondern wie glatt und gleichmäßig der fuhr. Da vibriert, da rüttelt nichts. Auch als der richtig schnell wurde, merkte man das nur am Blick aus dem Fenster. Das Ding fuhr glatt und erschütterungsfrei wie nagelneue Inline-Skates auf einer Glasscheibe.

Das Museum

Angekommen am Bahnhof in Kyoto habe ich erst einmal blöd geguckt, denn es hat ordentlich geschifft. Ich bin deshalb in das Eisenbahnmuseum gegangen, weil es in der Nähe lag und ein Leser mir das empfohlen hat.

Das Museum ist wirklich gut und schön gemacht. Ich hatte eigentlich vor, an dem Tag mindestens drei Museen zu sehen, aber bin bis zur Schließung im Eisenbahnmuseum geblieben – sehr beeindruckend. Sehr schön gemacht. Dort auch die verschiedenen Evolutionsstufen des Shinkansen zu sehen, und von der ersten Generation haben sie einen ganzen Zug, von der mit der ganz spitzen Front einen Frontwagen ausgestellt. Es fällt auch auf, dass die dort ihre Züge viel schneller gegen neue ersetzen als wir das in Deutschland tun.

Vom Stinken und Waschen

Allerdings hatte ich heute einen Fehler gemacht. Ich hatte in den letzten Tagen Unterhosen der Marke AIRism an, die an in Japan bekommt und die mir ein Leser empfohlen hatte, weil die aus ganz dünnem Material seien. Ich stehe zwar eigentlich nicht auf seidige Unterhosen (nicht bei mir selbst), sie haben aber den Vorteil, dass man sie sehr klein zusammenlegen kann und immer im Handgepäck unterbekommt, falls das eingecheckte Gepäck mal wieder separat auf Weltreise geht oder man unterwegs am Flughafen mal duschen will. Also hatte ich mir aus Neugier im Billigmarkt Daiso auch eine Unterhose gekauft, um die mal zu testen – da aber ganz billig, 200 Yen (=ca. 1,50 Euro). Im Gegensatz zu den recht guten AIRism, die aber auch etwas mehr kosten, taugt die Billigunterhose nicht viel. Aus Synthetik, ich habe darin massiv geschwitzt, vor allem bei dem feucht-schwülen Klima. Und dazu noch den Zweitfehler auch ein Synthetik-T-Shirt zu tragen („Funktionsshirt“), weil ich die auf Reisen gern verwende. Man kann sie zur Not mit Duschmittel im Handwaschbecken waschen und zum Trocknen in die Dusche hängen. Jedenfalls hatte ich heute den Rucksack durch das feucht-schwüle Wetter getragen und dazu in dem Synthetikzeug unter der Regenjacke stark geschwitzt – und irgendwann dann eben auch gestunken wie ein Iltis. Duftnote Germane original.

Kennt Ihr das, wenn Ihr den ganzen Tag rumgerannt seid, mit schwerem Rucksack und Regenjacke, dazu hohe Luftfeuchtigkeit durch Dauerregen und schwüle Temperatur, wenn einem so richtig der Saft läuft, aber nicht abläuft und nicht verdunstet? Und dann noch ein Synthetik-Funktionsshirt und eine Nylon-Unterhose?

Buäääh.

Deshalb bin ich dann nach dem Museumsgang – ich hatte dann auch keine Lust mehr – mit der JR Linie wieder zum Hotel gefahren, bin dann also nun mit allen drei Bahnlinien gefahren, die zwischen Osaka und Kyoto fahren: Kaihan, JR und Shinkansen.

Gründlich duschen, gründlich seifen, frische Klamotten, keine Last mehr auf dem Rücken, alles luftig, geregnet hat es auch nicht mehr – da fühlt man sich schon gleich viel besser.

Und um das Gefühl des Gestankes, die Erinnerung daran wieder loszuwerden, bin ich dann am späten Abend doch noch mal zum Onsen gegangen, dem Heißbaden. In einen anderen, in den Ranglisten auch hochgelobt, das Tennen Onsen Naniwanoyu.

Naja.

Und ich sage es in aller Deutlichkeit: Naja.

Da gibt es eine natürliche, heiße Quelle, es ist also tatsächlich natürliches heißes vulkanisches Wasser. Aber auf die Quelle haben sie ein Autoparkhaus mit Dachinko-Spielhalle gebaut, und die Badeanstalt in den achten Stock auf das Dachgeschoss verlegt, wohin sie das Wasser hochpumpen und weshalb man da einige Becken auch im Freien hat. Das ist aber nicht der schöne japanische Garten, den man erwarten würde, sondern eben oben auf einem Parkhaus oben drauf.

Auch wieder das, was ich zuvor schon beim anderen beschrieben hatte: Erst mal die Schuhe wegschließen und barfuß weiter.

Ansonsten ist alles etwas einfacher als bei dem anderen, als bei der Spa World, das kommt nicht so vornehm und edel daher, mehr so hallenbadig, erinnert etwas an den Schwimmunterricht siebte Klasse, und ist auch billiger. Allerdings bekommt man auch nichts gestellt außer Seife und Wasser. Das große, das kleine Handtuch und das Schrubbtuch muss man selbst mitbringen – oder dort kaufen.

Und: Auch hier Geschlechter strikt getrennt, jeder für sich.

Dann wieder das große Einseifen im Hocken in der Waschnische. Fotografieren darf man ja nicht. Irgendwer hatte mir dazu auf Twitter/X einen Ausschnitt oder ein Foto aus einem Kinofilm geschickt, in dem man das sieht, aber ich finde das auf Twitter nicht mehr. Einfach weg.

Hocken da also dreißig nackte Männer einer neben dem anderen auf Plastikhockern, als würden sie auf umgedrehten Plastikeimern sitzen, und seifen sich breitbeinig die Eier ein. Kulturell wertvoll.

Also jeder nur seine eigenen.

Ein Leser hatte nach der Beschreibung vom letzten die Vermutung geäußert, das sei ein Schwulentreff.

Nein, keineswegs. Davon ist überhaupt nichts zu bemerken. Da ist nichts schwul. Die machen das hier halt einfach so. Man merkt das auch, dass da besonders bei den jüngeren Kumpels zusammen baden gehen und sich dann zusammen in ein Becken legen – gestern habe ich auch gesehen, dass sie da in einem der Bottiche, in die man normalerweise alleine reingeht und wo ich alleine gut reingepasst habe, zu fünft drin hockten. Aber das ist eher Gaudi und Ausgelassenheit, mit schwul hat das nichts zu tun, ich habe auch nichts dergleichen beobachten können.

Trotzdem: Der Preis mag günstiger sein, aber mir waren das gestern abend (ich war von ca. 21:30 bis so ungefähr 23:30 dort, ich habe nicht drauf geachtet) eindeutig zu voll und zu viele nackte Männer auf zu wenig Platz und in zu wenig heißem Wasser. Denn groß ist das ganze Ding nicht.

Das war alles rappelvoll.

Bis auf ein Becken, da saß nur ein Einziger drin – weil es das heißeste war. 42,6 Grad. Lange habe ich es darin auch nicht ausgehalten, aber hatte auch kein grundsätzliches Problem damit (kalte Becken sind nichts für mich). Aber auch hier wieder der Effekt, den ich vorgestern schon im anderen Bad beobachtet hatte: Bei den warmen Becken von 38 bis 41 Grad machen viele großem Brimborium, bis sie endlich drin sind, und das stufenweise, und ich setze mich da einfach so und gleich ganz rein. Wie Badewanne. Da haben manche auch blöd geguckt. Es heißt ja immer, nur Japaner würden das aushalten, Europäer könnten das gar nicht, aber diese Zeiten sind wohl vorbei.

Richtig gut gefallen hat mir etwas, was mir eigentlich gar nicht gefallen hat, was ich eigentlich nur der Neugierde wegen und der Vollständigkeit halber ausprobiert hatte: Die hatten im Freien, leider etwas überdacht, deshalb kein freier Blick auf den Himmel, Steinplatten mit Steinnoppen in Größe einer Liege, völlig flach, aber ganz leicht abschüssig. Da legt man sich darauf, den Kopf auf einen Holzbalken. Eigentlich mörderisch unbequem, auf diesen Steinnoppen zu liegen. Der Witz ist aber, dass man dadurch nicht platt auf Stein liegt, sondern unter einem so 5 bis 10 mm Platz bleiben und auf der ganzen Breite heißes Quellwasser unter einem durchläuft. Man also unten in einem so knapp einen Zentimeter dicken Strom aus heißem Wasser und mit dem Rest des Körpers im Freien liegt, kühle Nachtluft. Obwohl eigentlich sehr unbequem, hätte ich da auch viel länger liegen bleiben mögen, das war so richtig entspannend, bin dann aber irgendwann aufgestanden, um das nicht zu lange zu belegen, weil sie nur fünf von diesen Liegeflächen hatten und die offenbar sehr beliebt sind. Ich war kaum aufgestanden, kam schon der Nächste. Sauna hat es auch da, aber ich bin nicht so der Sauna-Typ.

Frauen getrennt, erst im anschließenden Cafe- und Restaurantbereich wieder alle beisammen.

Obwohl das heiße Baden und das geradezu rituelle Schrubben und Seifen letztlich angenehm ist und man sich sehr gereinigt vorkommt, hält sich meine Begeisterung in gewissen Grenzen. Die machen daraus mehr Brimborium, als letztlich dran ist. Das hat viel mit dem japanischen Nimbus zu tun, aber letztlich sind es doch nur ein paar nackte Männer (und zweifellos geht es bei den Frauen genauso), die sich gründlich abseifen und abschrubben und dann in einem Gemeinschaftsbadewanne steigen. Fertig.

Mir ging da immer wieder mal der Gedanke durch den Kopf, wie denen da die Augen rausfallen würden, wenn man sie mal in die Therme in Erding führen würde. Gegen Erding können die nicht an… – jetzt hätte ich fast „anstinken“ geschrieben, aber mit Stinken hat es ja gerade nichts zu tun. Trotzdem: Erding ist da das Maß aller Dinge.

Dafür kann umgekehrt der ICE nicht mit dem Shinkansen mithalten. Bei Zügen ist dann wohl der Shinkansen das Maß der Dinge.