Wenn der Boden schwankt …
Eine Beobachtung am Rande.
Ich hatte ja geschrieben, dass ich vergangenen Sonntag – boah, wie die Zeit vergeht, gerade erst angekommen und schon eine Woche in Japan – durch die Umbuchung des Fluges sogar ein paar Stunden früher in Osaka angekommen war und das Problem hatte, dass das Hotel den Checkin strikt erst ab 15:00 zulässt, ich da aber schon um 9:xx stand, und deshalb nur das Gepäck abgeben konnte und dann – übermüdet, zwei Nächte kaum oder nicht geschlafen – 5 Stunden Zeit totschlagen musste, deshalb also schon mal losspaziert bin.
Irgendwann stand ich dann eben in diesem monströsen Elektronik- und Kamerakaufhaus Yodobashi, und mir war so, als ob der Boden schwankte.
Ich war überzeugt, ich bilde mir das ein. Es gibt nämlich so einen Effekt, dass man sich an Schwanken gewöhnt, und das dann auch spürt, obwohl man auf festem Boden steht. Auch bekannt als Seemannsgang: Wenn man den Tag über auf einem Schiff war, das im Seegang schaukelt, und dann an Land geht, und dann auf hartem Beton steht, der sich kein bisschen bewegt, fühlt man trotzdem das Schwanken des Seegangs. Anscheinend gewöhnt sich der Gleichgewichtssinn daran und kompensiert das aus, auch wenn das Schwanken gar nicht mehr da ist. So ist mir das damals mit meinem ersten Langstreckenflug gegangen. Der 1990 nach Singapur war turbulent, es ging da ständig so ruckweise rauf und runter. Als ich an dem Tag dann in Singapur herumgelaufen bin, meinte ich noch einige Stunden lang beständig zu spüren, dass der Boden rauf und runter geht.
Seit dem Flug 1990 hatte ich das eigentlich kaum noch oder gar nicht mehr, aber bei dem Flug jetzt gab es auch Turbulenzen, und ich dachte, ich hätte wieder dieses Phänomen, dass man die Schwankungen des Fluges noch nachspürt.
Doch dann gab mir eine Vitrine zu denken.
Bei Yodobashi haben sie Preisschilder wie in vielen anderen Kaufhäusern, nämlich Gattungspreisschilder. Die sind vorne am Regal angeklemmt oder stehen auf einem kleinen Plastikständer im Regal, weil ich nicht jedes Einzelexemplar ein Preisschild hat, sondern nur für die ganze Produktsorte ein Preisschild besteht. Diese Reinigungspinsel kosten das, jede Stative kosten das und so weiter, wie in Deutschland.
Dann kam ich aber an einer Vitrine mit Objektiven vorbei, die anscheinend gebrauchte waren, und bei denen jedes Exemplar seinen eigenes, individuelles Preissschildchen hatte. und die waren aus ganz dünnem Plastik, oben am Objektiv angeklebt, und standen auffällig in die Luft nach oben ab, damit man sie gleich sieht. Und diese Preisschildchen wippten etwas. Ich nahm zuerst an, da läuft irgendein Lüfter, aber nein. Alle dieser kleinen Preisschildchen wippten exakt synchron – und exakt so, wie ich dieses Schwanken spürte.
Nein, das bilde ich mir nicht ein. Ich bin ja kein Telekinet, der Preisschildchen durch Gedankenkraft bewegen kann, und auch kein Soziologe, der aus eine Korrelation eine Phantasiekausalität macht. Dieses Gebäude schwankt wirklich.
Ich hatte dieses Gefühl, dass der Boden leicht schwankt, seither immer wieder. In vielen großen Gebäuden – aber auch draußen, auf der Straße, auf dem Boden. Was, wie sich herausstellte, aber auch damit zusammenhing, dass wenn man draußen ebenerdigt auf der Straße, dem Fußweg, der Fußgängerzone steht, man keineswegs auf solidem Boden steht, sondern hier alles mehrstöckig unterkellert ist, Einkaufsstraßen darunter sind, man auch ebenerdig im Prinzip auf dem Dach eines Hauses steht.
Im japanischen Pavillon auf der Expo habe ich dann ein Exponat gesehen: Sie erklären, dass es eine Besonderheit und über lange Zeit entwickelte Fähigkeit japanischer Baukunst sei, Gebäude elastisch zu bauen, um sie erdbebensicher zu machen.
Demnach werden hier alle Gebäude so gebaut, dass sie nicht, wie in Betonbau hart und steif sind und sich damit nicht nur durch den Pendeleffekt aufschaukeln, sondern auch beim Überschreiten der Bruchgrenzen eben brechen, sondern das ganze Gebäude wackeln und die Bewegungsenergie absorbieren kann. Was nicht da stand, was aber die Graphik suggerierte: Es geht geht wohl auch darum, Resonanzfrequenzen zu vermeiden. Ich hatte nämlich den Eindruck anhand der Darstellung, dass sie das Gebäude nicht nur so bauen, dass es elastisch ist, sondern dass die einzelnen Gebäudeteile keine gleichen oder harmonischen Resonanzfrequenzen haben, damit sich das nicht aufschaukeln oder Energie aufsammeln kann. Dass das Gebäude also, musikalisch gesprochen, nicht wie ein Akkord mitschwingt, sondern eine stark gedämpfte Schwingung entsteht. Müsste man sich mal genauer anschauen.
Das nun würde erkären, warum ich hier manchmal, aber selbst innerhalb eines Gebäudes nicht überall, und auch nicht gleichmäßig, ein Schwanken spüre.
Es scheint so zu sein, als würden die Gebäude durch irgendwelche Impulse – eine U-Bahn, vielleicht auch ganz leichte Erdbebenstöße, die man unmittelbar nicht merkt, Fahrstühle, vielleicht auch einfach der Besucherverkehr – in ganz leichte Schwingungen versetzt, die man stellenweise spüren kann. Da Gebäude nimmt Energie auf, absorbiert diese.
Und ich spüre dieses Schwanken dann und wann.