Kalligraphie und Erdbeertörtchen
Erstaunliches.
Ich war heute wieder auf der Expo, bin gerade zurückgekommen. Hier ist es gerade 22:43, und ich mal wieder komamüde, den ganzen Tag auf den Beinen gewesen.
Heute war es auch ziemlich voll, und ohne Reservierung in die Länderpavillons kaum reinzukommen, ich war trotzdem in einigen. Ich habe mich dabei aber auch auf Pavillons konzentriert, die nicht länderspezifisch sind und weniger spektakulär, weil man da keine Reservierung braucht, auch eine Warteschlange besteht.
Im Pavillon von Osaka bot man unter anderem verschiedene Erdbeertörtchen und andere Gerichte an, die – sehr seltene Ausnahme – zwar japanisch bezeichnet, aber in englischer Umschrift beschrieben waren, also für mich lesbar. Da kam einer vom Stand auf mich zu, mit der Menütafel, ob ich nicht was haben wollte. Einer der wenigen Leute auf der Expo, die verständlich Englisch sprechen. Nee, sorry, sagte ich, erstens war ich gerade essen und bin pappsatt, und zweitens ist das, was ich haben wollte, auf seiner Tafel als ausverkauft markiert. Ja, Montag hätten sie es wieder, aber ich solle nicht zu spät kommen, spätestens um die Mittagszeit.
Nun versuche ich ja gerade, die Struktur der Sprache etwas zu verstehen. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass ich hier auf die Schnelle etwas Japanisch lernen könnte, aber so ein paar strukturelle Erkenntnisse sollten sich schon machen lassen.
Ich weiß, dass Japanisch eine Suffix-Sprache ist, in der alle möglichen Bedeutungen und Modalitäten, Konjunktionen und Bedeutungen im Satz durch Silben angehängt werden, die dann im Schriftbild durch ein anderes Alphabet geschrieben werden. Deshalb haben sie auch keine Leerzeichen, weil der Wechsel zwischen den Alphabeten die Satzstruktur andeutet. Wenn ich das richtig verstanden habe, folgen die Sätze dem Schema Subjekt-Objekt-Prädikat oder Kontext-Objekt-Prädikat, und was darüber hinaus den Satz strukturiert und die Information trägt, bestimmen die Endungen.
Ich bin mir nicht sicher ob die Höflicheitsendung -san so ein Suffix ist, aber wenn man sich im Kampfsport gegenüber dem Lehrer zu verbeugen hat, lautet das Kommando „sensei-ni rei!“ Sensei ist der Lehrer, rei heißt verbeugen, und ich könnte mir vorstellen, dass -ni eine Richtungsangabe ist, wie zum Lehrer hin verbeugen.
Nun stand da auf seinem Schild bei den Speisen „Osaka-mon Expo Lunch Box“.
Also fragte ich, wofür -mon steht.
Uhh, meinte er, und zwei kamen zur Unterstützung dazu, das sei gar nicht ins Englische übersetzbar. Ob es eine Herkunftsangabe sei, fragte ich. Essen aus Osaka?
Ja und nein. Das könne es manchmal schon bedeuten, aber auch anderes. Er brachte ein Beispiel: Er habe einen Toyota. Im Japanischen sage er aber nicht, er habe einen Toyota (nach dem, was ich – siehe unten – später noch erfahren habe, könnte das nämlich vielleicht bedeuten, dass er ganz Toyota habe, Eigentümer sei), sondern er sage, er habe einen Toyota-mon. Und er selbst sei sogar Osaka-mon.
Ob ich verstehe. Nee, nur so ungefähr, aber durchverstanden habe ich es noch nicht.
Aber mir kommt ein Verdacht. Ob -mon vielleicht sowas wie style meint, charakterliche Herkunft. Sie jubeln, alle drei. Auf den Gedanken seien sie noch gar nicht gekommen, aber er sei wunderbar, passe perfekt.
Eine Halle voll mit Kalligraphie. Große Originale. Dazu läuft ein Film darüber, wie man die Tinte, die Pinsel und das Papier macht und natürlich wie verschiedene Meister das schreiben.
Ist eine ziemliche Sauerei. Die Pinsel haben Größen zwischen Klobürste und Wischmop, und die flatschen da die Tinte dick und nass auf das Papier, das Wellen schlägt. Ich habe das immer für so spirituell gehalten. Nichts da, gibt ihm. Keine Hemmungen.
Übrigens haben sie eine neue Methode, das Kindern wieder zu lehren: Auf einmal nämlich können sie über ihre Traditionen springen und machen Kalligraphie nicht mehr mit Pinsel und Tusche, sondern mit der Virtual Reality-Brille in 3D. Man muss nicht mehr die Sauerei mit dem Pinsel unternehmen, sondern setzt sich die Brille auf, macht nur Handbewegungen, die KI erkennt diese und übersetzt sie in Pinselstriche. Und schwups kommt die schönste japanische Kaligraphie fertig aus dem Laserdrucker. Man muss sich was einfallen lassen, um Kalligraphie für die Jugend interesant zu machen. Aber nicht nur die. Ich habe einen alten Opa, tattrig und zittrig, gesehen, der das unbedingt mal ausprobieren wollte und auf Anhieb schöne, klassische Schriftzeichen hinbekommen hat.
Als ich also in diese Halle kam, fiel mir auf, dass sie auch das Wort Kalligraphie nicht (nur) in Japanisch, sondern auch mit englischen (lateinischen) Buchstaben schrieben: Shodo.
Mir kam der Gedanke, dass auch -do eine solche Silbe sein könnte, denn man kennt es ja von Judo, Kendo,… Ich wollte fragen, aber keiner verstand Englisch. Aber sie holten eine, die sogar sehr gut Englisch sprach, hörte sich amerikanisch und sehr fließend and. Ja, in der Tat, bestätigte sie mir. Ju-do sei der Weg der Kraft (sie sagte „force“), Ken-do der Weg des Schwertes .Und Sho-do der Weg des Pinsels (Brush).
Steht das auch für Kunst, etwas zu beherrschen? Nein, meinte sie, einfach „Weg des …“.
Also fragte ich sie, ob ich das mit dem -mon richtig verstanden. Könne sie nicht sagen, so wie ich das ausspreche, sie müsse das Schriftzeichen sehen. Es könnte nämlich auch „Gate“ und einiges mehr bedeuten. Ich hatte das Schild fotografiert, und zeigte es ihr. Ah, ja. Es stehe für Gemacht von.
Ah, verstehe. Der Mann fährt im Japanischen keinen Toyota, sondern eines, gemacht von Toyoata.
Ich hab vergessen zu fragen, aber vermutlich heißt dann so etwas wie deutsu-mon soviel wie Made in Germany.
Jedenfalls kamen wir ins Gespräch. Och, dass sei ja schön, dass ich als Deutscher extra zu ihnen käme. Und wie es mir denn so gefällt und ob ich klarkomme und so weiter.
Oh, sagte ich, mir gefällt es sehr, dass die Leute so höflich sind, es so friedlich ist, ungefährlich, sauber.
Sie: Verdutzt.
Aber das hätten wir doch in Deutschland auch so. Warum mich das überrasche, will sie wissen.
Nein, nicht mehr, sagte ich. Sowas hätte es zur Zeit meiner Kindheit gegeben, aber dieser Ofen sei so ziemlich aus, Deutschland im Abstieg.
An dieser Stelle habe ich gemerkt, was in Deutschland alles kaputt gegangen ist. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass Deutsche und Japaner sich sehr ähnlich seien, austasuschbar. Wir waren auch mal fleißig, haben Kameras und sowas gebaut.
Noch misst man uns im Ausland an unserem ehemaligen Ruhm.
Noch.