Ansichten eines Informatikers

Erster Eindruck von Japan

Hadmut
7.5.2025 3:48

Viel Licht, ein wenig Schatten.

Nachdem ich nun zweieinhalb Tage in Osaka herumgewandert bin, bildet sich ein erster Eindruck.

Positiv

Alle sind freundlich, höflich, rücksichtsvoll, hilfsbereit. Nichts ist (durch Nachlässigkeit oder Rücksichtslosigkeit, nur durch normalen Gebrauch) dreckig, kaputt, beschmiert. Es gibt keine Verstopfungen der Gänge in Einkaufszentren, weil die Leute immer links laufen. Die Toiletten sind alle sehr sauber.

Es gibt fantastisches Essen in Hülle und Fülle, und das nicht einmal teuer.

Während in Deutschland die Fußgängerzonen aussterben, brüllt hier das Business, gibt es gefühlt Zehntausende von kleinen Läden und Restaurants, wo bei fast allen der Laden brummt (Ausnahmen bestätigen die Regel). Die Einkaufsstraßen sind abends so voll, dass man an der Zebrastreifenampel anstehen muss, bis man in der übernächsten Grünphase über die Straße kommt. So gut wie keine (erkennbare, uniformierte) Polizei. Keine Gefahr einer Amokfahrt oder eines Messerangriffs.

Ich habe in den zwei Tagen den Eindruck gewonnen, dass eine hoch konservative, im Grunde schon sehr intolerante Gesellschaft wie die japanische, im Ergebnis mehr Freiheit bietet als eine hypertolerante wie Deutschland, in der jeder alles darf.

Warum?

Weil sie innerhalb ihrer Regeln durch Gewährleistung der Einhaltung dieser Regeln Freiheit gewähren. Ich sehe hier jede Menge auch junger Frauen rumlaufen, und niemand fühlt sich da bedroht oder belästigt, die laufen da normal im Minirock rum, während sich in Deutschland viele Frauen bei Dunkelheit gar nicht mehr raus trauen. Die konservative Gesellschaft eröffnet einen Traditionsraum und gewährt zumindest innerhalb dieses Raums Freiheiten. Deutschland hat keine Grenzen und keine Regeln mehr, und gewährt damit keine Freiheiten mehr.

Am Frappierendsten sind mir dabei zwei Dinge aufgefallen:

  • Viele Händler stellen ganze Reihen von Warenregalen (beweglich auf Rollen) vor das Geschäft, dahin, wo die Leute in den Fußgängerzonen/Geschäftsstraßen dran vorbeilaufen, und das nicht mit billiger Opferware, sondern reguläre Waren. Man nimmt sich einfach was, und geht rein zum Bezahlen. In Berlin wären diese Regale innerhalb von 15 Minuten a) leergeklaut b) vollgekackt. Die Diebstahlquote muss hier enorm niedrig sein.
  • Es gibt etwas, wo ich beim ersten Mal fassungslos dastand und mich fragte, ob das echt oder Attrappe ist. Ich habe das inzwischen aber viele Male gesehen.

    Ich hatte mich vorher informiert, wie das mit dem Bezahlen läuft, und im scheinenbaren Hi-Tech-Land Japan gibt es ziemlich viele Läden, in denen man nur bar zahlen kann. Selbst die elektronische Chipkarte zum Bahnfahren kann man nur mit Bargeld kaufen und auffüllen, obwohl am Automaten. Viele Läden und Imbissbuden, auch Restaurants, haben Automaten, die die Zahlungsabwicklung vornehmen – Bargeld und Wechselgeld. Obwohl ein Kartenzahlgerät viel kleiner, einfacher, billiger wäre.

    Außerdem sei es nicht an allen Automaten möglich, mit europäischen Kreditkarten Bargeld abzuheben.

    Ich wusste aber nicht, wieviel ich brauche. Also habe ich mir in Berlin Yen geholt (in Berlin teuer) und zur Reserve noch Euro mitgenommen, damit ich nicht blank dastehe, wenn das mit den Kreditkarten nicht funktioniert. Es ist aber gesetzlich verboten, in Läden und Restaurants in Fremdwährung zu zahlen, man muss zu den Wechselstuben. Also habe ich bei der Einkaufsrundtour auch auf Wechselstuben geachtet, um mir einzuprägen, wo ich sie finde, wenn ich sie brauche.

    In Berlin ist die Wechselstube wie ein Hochsicherheitstrakt gebaut. Schusssicheres Glas, dicke Trennung zwischen Personal, Geld und Kundenverkehr.

    In Osaka: Ganz normale Läden in der Shopping Mall, einfache billige Glasvitrinen, in denen sie die Geldscheine ausstellen als würden sie irgendwelche Püppchen verkaufen. Ich denke, das gibt es doch nicht: Die haben da 20, 30, 40, 50 Währungen, und die nicht im Tresor, sondern in den Glasvitrinen liegen. Auch nicht hinten im Laden, sondern ganz vorne: Normales Vitrinenglas, nichts einbruchsicher, könnte man sofort einschlagen, und dahinter Stapel von Geld, eine Währung an der anderen. Bei einem habe ich einen so geschätzt zwei, drei Daumenbreiten hohen Stapel an 50-Euro-Scheinen liegen gesehen. Gummiband drum. Personal so ein kleines Persönchen in der 40kg-Klasse. Nichts könnte und würde einen da hindern, sich das Geld einfach zu nehmen. Die verkaufen ihre Geldscheine wie andere Mangabildchen.

    Sie brauchen keine Sicherheitsvorkehrungen. Es passiert nichts.

    Überlegt mal, wie lange so ein Laden in Berlin durchhalten würde. 6 Minuten? 7?

    Japan ist eine High-Trust-Gesellschaft. Deutschland ist zur Low- oder Zero-Trust-Gesellschaft geworden. Doch die vermeintliche Offenheit und Toleranz führt nicht zu Freiheit, sondern vernichtet sie, weil sie sie nicht mehr schützt.

  • Es ist erstaunlich, wie wenig (erkennbare) Polizei unterwegs ist. Nahe bei Null.

Die Menschen sind zwar nicht hübsch. Aber sie machen sich hübsch, geben sich Mühe. Donnern sich auf. Putzen sich heraus.

In Deutschland machen sich viele Menschen aus Prinzip hässlich.

Ich sehe praktisch niemanden mit Piercings oder Tattoos. Die Kinder sind erzogen.

Ich habe noch keine richtig fetten Menschen gesehen. Und keine ernstlich verwahrlosten (war aber auch nur im Innenstadtkern).

Negativ

Ein paar Aspekte, das will ich nicht verschweigen, sind mir auch negativ aufgefallen.

Eine Kleinigkeit: Ich habe bisher nicht ein einzigen öffentlichen Mülleimer gesehen. Wenn man unterwegs Müll hat, leeren Becher, leere Flasche – man weiß nicht, wohin damit. Man will natürlich keinesfalls in einem so sauberen Land seinen Müll irgendwohin werfen, aber wohin ist auch nicht klar. Wie zur Hölle machen die das alle? Schleppen die ihre klebrigen Eisbecher alle mit nach Hause? Ich habe bisher nur zwei (schräge) Wege gefunden, Müll loszuwerden: In den Toiletten gibt es (winzige) Mülleimerchen. Und ganz wenige Geschäfte und Restaurants haben vor der Tür einen (privaten) Mülleimer für Kunden (obwohl ich nicht Kunde bin).

Was mir auffällt, ist eine gewisse Monotonie.

Es gibt Myriaden von Restaurants. Spielhöllen. Bars. Läden mit diesen Greifarm-Verkaufsboxen. Manga- und Spielzeugshops.

Und das wiederholt sich endlos. Das ist zwar beeindruckend, aber nach zwei, drei Tagen hat man es dann auch gesehen.

Die Leute saufen. Hier stehen reihenweise Mädels mit Verkaufsschildern in den Gassen herum, die ich zuerst irrtümlich für Prostituierte gehalten habe, weil es hier auch einige Bordelle gibt. Die stehen da und machen Werbung für die verschiedenen Besäufnistarife der Bars.

Die Gehälter sind nicht hoch und viele Leute müssen nieder Jobs annehmen, stehen in Uniform an der Ampel und sagen Leuten, dass sie nicht bei Rot über die Straße gehen sollen, oder stehen eben auch bei Kälte und Regen im Minirock mit Besäufnistarifwerbung irgendwo herum.

Manche Leute stehen nur da, um sich vor jedem Gast zu verbeugen und irgendwelche Begrüßungsformeln zu krähen. Endlos.

Unfassbar viele Leute sitzen in diesen Spielhallen.

Man merkt schon, dass das – obwohl sich das wohl schon gebessert hat und früher schlimmer wurde – eine Tretmühle aus Billig-Jobs ist, viele davon einfach nur trostlos. Dafür aber sind alle unheimlich viele Leute in Lohn und Arbeit. Während in Berlin die Restaurants schließen, weil sie kein Personal finden, ist die Restaurant-Dichte hier unglaublich.

Und egal, wohin man kommt, irgendeine Reklametafel, irgendein Türsteher, irgendeine Verkäuferin kräht einen an, Willkommen und komm herein, kaufe doch dies, kaufe doch das.

Das hängt wohl mit der niedrigeren Staatsquote und Wohlfahrt zusammen. Die Leute machen lieber (oder gezwungen) so einen McJob, als wie in Deutschland auf Bürgergeld.

Die Niedlichkeit. Alles – ob echt oder Maskottchen – hat hier Manga-Glupschaugen, Mangalächeln, Kleidchen, Schleifchen, Zöpfe, macht auf Mädchen. Das hält man wohl auch nicht lange aus, da liegt man irgendwann im geistigen Zuckerkoma. Das ist alles übermangaifiziert.

Und warum eigentlich sprechen fast alle Japaner höchsten drei Worte Englisch? Ist das nicht in der Schule dran?