Auf einen Absacker in Osaka
Nachdem ja sowieso schon (fast) alle erraten haben, wo ich bin …
Die letzten Hinweise waren offenbar zu gut, zu leicht, denn ziemlich viele (aber nicht alle) Leute haben erraten, wo ich bin: In Japan. Genauer gesagt, in Osaka.
Japan habe ich seit Jahrzehnten auf meiner Bucket List, habe es aber nie geschafft, mal nach Japan zu kommen. Und weil mir die Expo 2020 (die 2021 stattfand) in Dubai recht gut gefallen und Spaß gemacht hat, dachte ich mir, das ist die Gelegenheit, mal eine Gelegenheit zu haben. Die Expo ist nämlich gerade in Osaka.
Ach ja, die Stadt, die ich von oben – eigentlich kaum – gesehen habe, war Pjöngjang. Eigentlich habe ich gar nichts gesehen außer ein paar hellen Flecken, denn erstens war es überaus dunstig und undurchsichtig, zweitens saß ich ja am Gang und drittens auf Höhe der Tragfläche. Wenn ich es denn schaffte, von meinem Sitz aus aus dem Fenster zu schauen, dann hatte ich beste Voraussetzungen, um die Tragfläche zu inspizieren. Nun haben sie aber im Bord Entertainment nicht mehr die Kamerabilder, die früher üblich waren (und häufig schlecht), sondern bieten virtuell erzeugte Blicke aus Cockpit, linkem und rechtem Fenster an, denen Dunst, Wolken, Dunkelheit egal sind. Nur deshalb wusste ich überhaupt, dass da jetzt Pjöngjang zu sehen wäre, wenn man was sehen könnte.
Die Hinweise mit der Diktaturhauptstadt, dem Nordpol, dem A350 der Lufthansa und dem Streik haben gereicht, dass viele Leute sogar exakt die Flüge herausgefunden haben, um die es ging.
Ich kam also gestern – einige Stunden früher als ursprünglich vorgesehen – am Flughafen Kansai (KIX) an. Und hatte dort gleich ein überaus erfreuliches, aber für den ersten Blogartikel ungeeignetes Erlebnis beim ersten Betreten dieses Landes. Das verschiebe ich auf später.
Ein Knackpunkt an der Sache ist, dass ich kein Japanisch spreche. Ich kann die Sprache nicht.
Genauer gesagt, ich weiß, was ja und was nein heißt (haj, iie), kann Guten Tag und Danke sagen (arigato oder sogar domo arigato), und wollte eigentlich damals zu meiner Uni-Zeit im Studium Generale Japanisch lernen. Ich war damals in der ersten Stunde, aber dann kollidierte das mit einer wichtigen Vorlesung, weshalb ich nur in der allerersten Stunde war. Ich kann mich da nur noch an zwei Sätze erinnern: „watashi-wa deutsujin des“ – Ich bin ein Deutscher. Und „anata-wa nipponjin desk-ka?“ Sind Sie ein Japaner? Außerdem weiß ich, dass es knorrige Lehnworte aus anderen Sprachen gibt. Borupen ist der Kugelschreiber (Ballpen für jemanden, der kein l sprechen kann). Rukkusakku (oder so ähnlich) ist das aus dem Deutschen übernommene Wort Rucksack. Und das Wort für Zündschlüssel hört sich entfernt wie „ignition key“ an. An mehr kann ich mich nicht erinnern, ist ja aber auch schon über 30 Jahre her und war nur eine einzige Unterrichts(dopppel)stunde.
Damit kann ich schon mehr japanisch, als viele Japaner englisch. Und ich bin verblüfft, wie oft ich Ja, Nein, Danke und „Ich bin ein Deutscher“ gestern und heute schon verwendet habe (und trotz meines zweifellos ganz grässlichen Akzentes, bei denen hört sich das nämlich völlig anderes an als bei mir), und dass die mich dabei sogar verstehen. Man kann damit zwar nichts Sinnvolles sagen, aber es ist ein Eisbrecher und sie freuen sich wie die Schneekönige (oder haben gelernt, aus Höflichkeit sehr überzeugend so zu tun als ob, vielleicht überspielen sie einfach nur die abgrundtiefe Peinlichkeit), dass ich wenigstens versuche, mich der Landessprache und den Sitten anzunähern. Es wird goutiert, sie reagieren freundlich und lobend. Ansonsten nämlich findet Kommunikation nur über Handy-Translator oder jemanden statt, der Englisch kann, zufällig vorbeikommt und hilfsbereit ist.
Als ich am Flughafen ankam, stand vor der Passkontrolle ein Uniformierter, der da in dominantem Herrscherton, auf japanisch, aber unterlegt mit verständlichen Gesten, den Fluggästen grimmigen Blickes zu verstehen gab, dass sie rechts und nicht links an ihm vorbei sollen. So wie man auf japanische Sitte (oder auch im Kampfsport) Eindruck machen will. Dieser typisch japanische bestimmende Ton. Schon mal gehört, wenn ein Karatekämpfer den Namen einer Kata ansagt? Ich dachte, jetzt oder nie, die Gelegenheit schlechthin, mich in das Land zu integrieren. Ich stellte mich entschlossen, als würde ich eine Kata ansagen wollen, vor ihm hin. Verbeugte mich artig und mustergültig, und rief ebenso grimmig „Haj!“ Da musste der lachen, wurde auf einmal ganz freundlich, verbeugte sich ebenfalls vor mir, und hieß mich mit breitem Grinsen willkommen in Japan. Na also, dachte ich, es geht doch.
Man sieht erstaunlich wenig Leute, die sich mehr als nur angedeutet verbeugen. Vielleicht etwas aus der Mode gekommen oder regional unterschiedlich. Aber: Wenn man es macht, freuen sie sich wie die Schneekönige (ob nun echt oder aufgesetzt), es hilft ungemein, wenigstens so ein bisschen anzudeuten, dass man ihre Sitten und Gebräuche respektiert und, wenn auch nur unbeholfen, nachahmt.
Am Flughafen in Osaka hatte ich ein durchdringendes Erlebnis, das ich ein andermal erzähle, und als ich dann aus dem Zoll- und Sicherheitsbereich raus war, dachte ich, ich falle vom Glauben ab. Schon das Restaurant-Angebot war überwältigend, jede Menge unfassbar leckerer Sachen, alles extrem appetitlich dargeboten, und auch noch günstiger als Flughäfen in Deutschland. Eigentlich braucht man gar nicht in die Stadt, sondern kann allein in den Flughafenrestaurants ein, zwei Wochen Urlaub verbringen. Mir war ja morgens schon beim Umsteigen in München aufgefallen (wo ich zum ersten Mal seit 2011 wieder war), dass der BER im Vergleich zu München eine peinliche Provinzbude ist. München ist ein Flughafen. BER ist eine Murksstätte. Osaka legt aber noch deftig was drauf.
Es fiel mir dann verblüffend leicht, die passende Fahrkarte zu kaufen und mit der Bahn zum Bahnhof Osaka (Stadtteil Umeda) zu fahren und von da zum Hotel zu laufen, denn das hatte ich in Kenntnis meiner Sprachunfähigkeit vorher vorbereitet. Es gibt auf Youtube ein Video, wie man das macht, und ich hatte mir das auch alles auf Google Streetview angesehen, und man kommt sich dann vor, wie „endlich wieder da“, obwohl man noch nie da war, weil man alles wiedererkennt. Dann trat aber genau das Problem ein, das ich kommen sah: Ich war um kurz vor 10 morgens am Hotel, hundemüde, weil zwei Nächte kaum geschlafen, und es kam, wie es kommen musste: Ja, also das Gepäck könnte ich gerne da lassen, aber check-in ist 15:00, daran ist nichts zu rütteln. Da helfen mir alle Verbeugungen und Japanisch-Bekenntnisse nichts. Ah, deutsujin you are. Trotzdem, es bleibt bei 15:00 Uhr. In einem Zustand kurz vor Koma noch 5 Stunden überleben. Also einfach alles dort abgegeben und mit gar nichts losgetrabt.
Yodobashi
Ich war bei Yodobashi.
Yodobashi steckt man nicht einfach so weg. Yodobashi ist ein Traumaerlebnis, das man so schnell nicht verwindet.
Die besten Fotogeschäfte gibt es in Japan. Klar, hier wachsen Kameras auf den Bäumen. Der landesweit größte sei Yodobashi, hieß es. Yodobashi sei eigentlich eine Art Elektronikmarkt, die halt gut in Kameras sind. Also dachte ich mir, musst 5 Stunden Zeit totschlagen, gehste gleich mal zu Yodobashi. Ich hatte so etwas wie Mediamarkt erwartet, als sie ihre Fotoabteilung noch prominent im Erdgeschoss und nicht in der Dachkammer hatten.
Yodobashi ist kein Fotogeschäft. Yodobashi ist das Kriegsgebiet unter den Fotogeschäften, die Mutter aller Fotogeschäfte.
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dieses Kaufhaus hat so ungefähr 15 Etagen (2 Keller, und darüber 13 nach oben), jede davon riesengroß, Vollgestopft mit allem, was der Kamera-, Spiele-, Haushaltswaren- und noch einige weitere Märkte hergeben, die haben da einfach alles, was es gibt. Die haben nicht ein paar Stative. Die haben eine eigene Abteilung mit großer Fläche, vollgestopft mit Stativen. Selbst richtig teure Kameras stehen dort, wenn auch per Drahtseil gegen Diebstahl geschützt, zum Ausprobieren rum. Und alles voll mit knallbunter Werbung, überall Verkäufer.
Allerdings: Billig sind sie nicht. Man bekommt Kameras in Deutschland billiger. Sogar bei Amazon Japan sind sie oft billiger als bei Yodobashi. Aber das Erlebnis ist enorm.
Die Konsumkatakomben von Osaka
Nach Landkarte gibt es südlich des Hauptbahnhofs ein riesiges Geschäftsviertel mit unzähligen Geschäften. Steht man davor, sieht man nur runtergelassene Rollläden und ein Musikgeschäft.
Das ist alles unterirdisch. Ein ganzer Stadtteil (Station City) findet auf zwei Etagen unterirdisch statt. Ich habe heute gefühlte tausend Restaurants gesehen, und Delikatessenläden, viele sogar, wo einem nur der Unterkiefer runterklappt. Das ist der Hammer. Und alles total lecker und appetitlich. Ich glaube, ich bin heute so zwischen 15 und 20 Kilometer unterirdisch unterwegs gewesen. Normalerweise habe ich auf Reisen einen GPS-Tracker dabei, der aufzeichnet, wo ich war, damit ich später Notizen machen und Fotos zuordnen kann. Von dem kam heute nur die Unterzeichnung seiner Kapitulationsurkunde, weil der unterirdisch nichts empfängt und nicht weiß, wo man ist.
Ein unfassbares Gewirr von Gängen, Kreuzungen, Läden, Restaurants, und sonstwas alles. Man verliert – zumindest wenn man die Schilder nicht lesen kann – fast zwangsläufig die Orientierung, weil es keine Orientierungspunkte gibt. Ich kam heute raus und dachte Hä!?, warum ist es denn plötzlich dunkel? Es war nach 20 Uhr und mein Zeitgefühl noch im Jetlag.
Das war die Kurzfassung.
Mehr gibt es jetzt nicht, denn es ist hier schon nach ein Uhr morgens, und ich falle vor Müdigkeit schier vom Hocker.
Aber demnächst mehr in diesem Theater.
Soviel kann ich schon sagen: Mir gefällt’s hier.