Ansichten eines Informatikers

Verschwörungstheorien zur Brücke von Baltimore

Hadmut
27.3.2024 19:17

Unlogisch, fehlerhaft, voreilig und nur leidlich unterhaltsam.

Es schießen und sprießen gerade die Theorien aus dem Boden, dass der Einsturz der Brücke in Baltimore kein Unfall, sondern ein Anschlag auf die USA im Allgemeinen, und im Besonderen einer der Ukraine als Warnung gegen ausbleibende Gelder und Munitionslieferungen gewesen sei. Der Kapitän oder irgendwer von der Besatzung soll Ukrainer sein, und es sei auffällig, dass das Schiff seine Fahrtrichtung geändert habe, genau auf den Brückenpfeiler zu, bevor die Lichter ausgingen, also der Strom ausfiel.

Kann man sich natürlich immer zurechtlegen, wenn es gerade keine Beweise dagegen gibt, aber Beweise dafür gibt es halt auch nicht. Man beobachtet irgendetwas, wofür man keine vernünftige Erklärung hat, hier einen Richtungswechsel des Schiffes (der übrigens auch verursacht worden sein kann, weil sie ja als Reaktion auf die Manövrierunfähigkeit nicht nur Mayday als Notruf abgesetzt, sondern auch den Anker rausgeworfen haben) als Grundlage, sich eine Ersatzerklärung frei auszusuchen. Insofern sind Verschwörungstheoretiker den Geisteswissenschaftlern sehr ähnlich, bei denen ja auch gilt, dass wer eine Korrelation findet, sich eine Kausalität frei ausdenken darf. Gender war ja auch nichts anderes als eine einzige große Verschwörungstheorie, nach der finstere Gestalten die Welt unterdrücken.

Die Sache hat einen gewaltigen Schönheitsfehler.

In den Theorien, die mir da unterkamen, wird ausgeführt, dass es in anderen Häfen der Welt Pflicht sei, dass die Hafenfahrt nicht von der normalen Besatzung, sondern von Lotsen und Kapitänen des Hafens gemacht werde. Warum das da nicht so gewesen sei. Da war es aber auch so. Als das Schiff gegen den Pfeiler fuhr, wurde es nicht von der normalen Besatzung, sondern von den Hafen-eigenen Lotsen gefahren, die auch vor dem Aufprall den Notruf absetzten, nach dem die Brücke gesperrt wurde, was die Zahl der Toten deutlich reduziert haben dürfte.

Man kann natürlich immer noch unterstellen, dass das Ding aus dem Maschinenraum heraus sabotiert wurde, dass also jemand das Schiff genau auf den Brückenpfeiler hin ausgerichtet und dann den Strom ausfallen lassen hat, damit das Ding gegen den Pfeiler donnert. Das aber würden die Lotsen doch bemerkt haben, wenn das Schiff vor dem Stromausfall eine solche Steuerbewegung gemacht hat, die nicht von ihnen kam.

Es gibt auch die Theorie, dass GPS manipuliert wurde. Der Gedanke ist nicht fern, weil wir ja auch an der Nordseeküste GPS-Störungen hatten, die vermutlich von den Russen kamen, und auch bei zwei Koollisionen amerikanischer Schiffe vermutet wird, dass der Autopilot durch GPS-Störungen abgelenkt war. Hier aber war das Schiff ja gerade nicht auf Autopilot, sondern wurde von den Lotsen, die sich da auskennen, aus dem Hafen gesteuert, und die brauchen für ihren Hafen ganz sicher kein GPS und fahren auch nicht auf GPS, sondern auf Sicht und Signalanlagen. Ich habe zwar nur den Sportbootführerschein, aber schon da hieß es in der Ausbildung, dass man keinesfalls nach GPS in Häfen rumfahren soll und darf, weil viel zu ungenau und unzuverlässig. Es gibt verschiedene Signale, wie etwa zwei Leuchttürme hinter- und übereinander, die man genau hintereinander sehen muss, damit auf auf der richtigen Linie ist. Und es gibt sogenannte Sektorenleuchtfeuer, im Prinzip ein Leuchtturm, bei dem um die Lampe ein Glasring mit Sektoren in verschiedenen Farben (rot, grün, weiß…) angebracht ist, der auf das Zehntelgrad genau geschliffen ist, man also anhand der Farbe sehen kann, ob man im richtigen Winkel drauf zufährt. Die würden da nicht per GPS rumfahren, und selbst wenn, die haben ja einen Notruf abgesetzt, die wussten ja, dass sie auf Kollisionskurs sind, dass das schief geht. Ganz abgesehen davon, dass man GPS-Störungen von außen auf auf anderen Schiffen und Fahrzeugen bemerkt hätte, da hätten sich längst Leute gemeldet.

Es gibt auch die Behauptung, dass man im Video an einer Strebe der Brücke eine „Sprengung“ sehe, die Brücke also zusätzlich gesprengt worden sei. Was ich für völligen Quatsch halte. Denn die Stelle, an der man da „Rauch“ hochfliegen sieht, ist eine, die auf der anderen Seite des Brückenpfeilers ist, wo die Brückenstruktur beim Einsturz in der Mitte zwangsläufig reißen muss. Und wenn Stahlträger – Stahl ist ja elastisch – unter Zug reißt, dann dehnt er sich erst wie ein Gummi und schnalzt dann, das ist klar, dass dann Dreck, Farbe, Oxid in die Luft geschleudert werden. Komisch, wie sich manche Leute das vorstellen, und meinen, dass Energie nur durch Sprengung frei werden kann.

Apropos Sprengung: Eine Leserin, die sich auf Bagger und Tagebaubagger versteht, hat mir bestätigt, dass mein Überlegungen zur Havarieräumung, nämlich dass die Teile unter Spannung stehen und noch Energie frei wird, bestätigt, nämlich weil genau dasselbe Problem beim Abbau von Tagebaubaggern besteht. Die werden auch nicht einfach zerlegt, sondern angesägt, so dass sie gerade noch halten, und dann mit Schneidladungen gesprengt, oder nur von sehr erfahrenen Leuten mit Schneidbrennern zerschnitten, die das „sehen“, wie sich das Metall bewegt und wohin, und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wenn aber beim Zerlegen des Schrotts solche Spannungen auftreten und frei werden können, dann natürlich auch beim Bruch der Brücke, denn ohne enorme Kräfte würde sie ja nicht brechen. Und wenn ein Stahlträger reißt, dann knallt das eben. Das kennt man ja auch schon von einfachen Stahltrossen, die wie eine Peitsche durch die Gegend knallen, wenn sie reißen, und schon Menschen und Autos einfach so durchgeschnitten haben. Könnt Ihr Euch noch an die Videoaufnahmen erinnern, die eine Drohne gemacht hat, als das Observatorium Arecibo einstürzte? Da gab es auch keinen Sprengstoff, und trotzdem sah es aus, als würden die Kabel explodieren, weil die Schmutz und Farbe in die Luft geschleudert haben:

Stahl bricht nicht einfach so, sondern da wird Energie freigesetzt, wenn der reißt, weil er elastisch ist. So, wie es an den Fingern weh tut, wenn ein Gummiband reißt.

Ich kann derzeit nicht ausschließen, dass es ein raffieniert gemachter Anschlag war, der so ausgelegt war, dass es nach außen wie ein Unglück aussieht, und nur die paar Entscheidungsträger wie der US-Präsident erfahren, dass es ein Warnschuss war, eine Erpressung. Würde ja nicht funktionieren, wenn es öffentlich erkennbar war.

Nur: Ich sehe auch überhaupt keinen Beleg dafür.

Ich sehe auch keine Notwendigkeit dafür. Dass ein Schiff manövrierunfähig werden kann, ist bekannt, man lernt sogar beim Sportbootführerschein, welche Lichter und Zeichen ein manövrierunfähiges Schiff setzt und dass es Vorfahrt hat (was auch sonst…). Das kommt sogar in den Prüfungsaufgaben vor. Und damit ist es zumindest mal nicht abwegig. Und wenn bei einer Boeing die Tür rausfliegen kann, warum soll dann bei so einem Kahn nicht auch das Ruder ausfallen können? Stinkt nach Schlamperei, aber Schlamperei kommt vor.

Ich finde es ein wenig seltsam, wenn man jeden kuriosen Fall sofort hernimmt, um binnen Stunden so eine 9/11-Theorie zu zimmern, bei einer Informationslage, die man bestenfalls als lausig bezeichnen könnte.

Vielleicht aber geht es auch einfach nur darum, Views und Likes und Followers zu generieren, weil man damit immer click-bait produziert.

Aber: Wer sich ein eigenes Bild davon machen will, zum Beispiel hier und eben das, die stehen aber im Ruf einer üblen Verschwörungstheorieseite:

Ich habe es nicht ganz gesehen, nur durchgezappt, aber wie oben schon gesagt, ich halte es für Quatsch, weil Schiffe im Hafen und durch Lotsen nicht nach GPS fahren, sondern nach Sicht und den Zeichen und Signalfeuern im Hafen. Vor allem nicht die Lotsen, die ihren Laden kennen, die gucken höchstens zur Kontrolle auf den Bildschirm, sonst bräuchte man ja auch gar keine Lotsen. Und das mit den Rauchwolken, die eine Sprengung beweisen sollen, halte ich – oben erklärt – für physikalischen Blödsinn.

Ich halte es für völlig richtig, sich Gedanken zu machen, ob das ein trickreicher Anschlag gewesen sein könnte. Aber das kann kein Freifahrtschein für Unsinn jedweder Art sein. Vor allem darf daraus kein Wettrennen werden, wer zuerst ein Verschwörungsvideo bringt. Vor allem, wenn man offentlich nicht genug Ahnung hat.

Mich erinnert das an das religiöse Denken vergangener Jahrhunderte, als man auch hinter jeder Unregelmäßigkeit, hinter allem, was schief ging, den Teufel, böse Geister, Kobolde vermutete, weil das irgendwo im Hirn in der Rudelmechanik so verankert ist, hinter allem einen Angriff eines feindlichen bösen Rudels oder eines Fressfeindes zu sehen.