Ansichten eines Informatikers

Digitalisierung auf deutsch

Hadmut
3.9.2023 1:09

Warum es nicht geht.

Ein Leser schreibt:

Digitalisierung und deutsche Behörden

Hallo Hadmut,

Du schriebst in deinem IFA-Artikel zum Bundesministerium für Digitales und Verkehr “Was Digitalisierung ist, wissen die nicht.”

Damit hast Du völlig recht. Gut, das Ministerium kenne ich jetzt nicht, aber ich habe schon verschiedene deutsche Verwaltungen von Innen gesehen und ich muss tatsächlich sagen:

Digitalisierung wird in Deutschland, oder zumindest im Behördendeutschland, nicht verstanden. Digitalisierung in Deutschland ist, Arbeit genau so zu erledigen wie vorher, nur eben nicht mehr an der Schreibmaschine oder am Zeichenbrett, sondern am Computer. Nicht mehr mit der Post Informationen weiterzugeben, sondern per Mail. Ansonsten läuft alles haargenau so wie vorher.

Computer werden als Schreibmaschinenersatz aufgefasst. Das führt dazu, dass manchmal Arbeitsprozesse sogar komplizierter werden, es mehr Schritte gibt als vorher, weil man jetzt alles doppelt machen muss – einmal digital, einmal analog, man immer schauen muss, ob es Unterlagen digital oder nur analog gibt, also ab an die Wand voller Ordner und suchen. Wie früher. Eine stümperhafte Exceltabelle, aus der zumindest hervorgeht, in welchem Ordner was zu finden ist, ist das höchste der Gefühle. Prozesse automatisieren, vereinfachen, beschleunigen, sowas gibt es nicht. Es wird nicht einmal die Möglichkeit gesehen.

Und wenn dann tatsächlich mal jemand auf die Idee kommt, irgendetwas zu “digitalisieren”, ist das Ergebnis eigentlich immer schon
nicht mehr auf der Höhe der Zeit und zehn Jahre hinterher, weil diejenigen, die sich das überlegt haben, keine Ahnung haben, welche Möglichkeiten man so hat. Und dann loben die sich auch noch dafür.

Es ist meines Erachtens nicht mehr möglich, deutsche Verwaltungen im laufenden Betrieb zu modernisieren. Dazu haben wir zu viel verschlafen. Und niemand bemerkt es.

Erschwerend hinzu kommt dann noch, daß man die komplette, noch aus den 50er-Jahren stammende Struktur der Verwaltung umbauen müsste, und das will natürlich auch wieder niemand. Damit würden viele Stellen obsolet werden, vor allem von Leuten, die eigentlich überhaupt nichts können und machen, die man aber aufgrund des Zuständigkeitsgeschachers immer bei allem mitnehmen muss und die sich dann daran aufgeilen, einen zu behindern, weil sie sich wichtig vorkommen müssen.

Und dann müsste man auch all die Leute, die nicht mehr können, als einen Computer ein- und auszuschalten, entsorgen.
Es kommt auch heute noch durchaus vor, daß man eine Email ausgedruckt über die Hauspost bekommt. Weiterleiten wäre ja zu einfach.
Dann hat man Leute, die kaum in der Lage sind, einen Email-Anhang zu öffnen. Allerhöchstens die rudimentärsten Grundlagen der Programme, mit denen sie seit 10, 15 Jahren arbeiten, beherrschen – wenn überhaupt. Es ist gruselig.
Und von solchen Leuten kann man eben auch keine Veränderung erwarten. Das betrifft nicht nur die älteren, von denen man ja eigentlich annehmen müsste, sie könnten “digital” weil sie die ganze Veränderung von Schreibmaschine bis heute kontinuierlich mitbekommen haben
und sich nicht von einem Moment auf den anderen komplett umstellen mussten, das betrifft auch jüngere. Die können am Smartphone wischen, Bildzeitung lesen und sich eine Waschmaschine bestellen, aber mehr auch nicht. Computer sind hexenwerk.

Es gibt vereinzelt durchaus Verwaltungen, in denen die Probleme erkannt werden und man gleichzeitig noch Leute hat, die in der Lage sind, praxisnahe, moderne Lösungen zu finden oder finden zu lassen, aber das ist die absolute Ausnahme und betrifft dann in aller Regel nur Fachanwendungen einzelner Abteilungen.

Ein weiteres Problem ist dann noch…naja, der öffentliche Dienst. Nicht jedes Klischee stimmt, es gibt durchaus Abteilungen, die heutzutage sehr viel zu tun haben, nicht hinterherkommen und Überstunden ohne Ende kloppen.
Im Großen und Ganzen zieht der öffentliche Dienst aber diejenigen an, die einfach…naja…unfähig sind oder diejenigen, die einfach keine Lust haben und ein laues Leben bei sicherem Einkommen und sicherem Job wollen. Wer Engagement zeigt, wird erstmal eingenordet.

Die einzige Möglichkeit wäre es jetzt noch, das Land mal für 1-2 Jahre zu schließen und die komplette Verwaltung, von der Kommune bis zum Bund, umzubauen und an moderne Standards und Technik anzupassen.
Im laufenden Betrieb? Keine Chance. Und auch das würde, von ganz praktischen Erwägungen mal abgesehen, man kann ja schlecht das Land dicht machen, auch niemand wollen, denn….was ist denn mit den Alten? Ja, ich sehe ein, dass es für ältere Menschen durchaus
eine Herausforderung sein kann, Dinge eben nicht mehr wie vor 30-40 Jahren zu erledigen, aber wir sind wohl das einzige Land der Welt, das seine Zukunftsfähigkeit, seine Jugend opfert, damit die Alten sich nicht umstellen müssen. Zeit genug, sich umzugewöhnen und Schritt für Schritt mit der Zeit zu gehen, hätte es ja gegeben. Wie Du immer sagst…ihr habt damit angefangen.
Aber was solls. Durch die hochmoderne Bildungspolitik in diesem Land kommt eh nichts brauchbares mehr nach. So gut wie nichts, einzelne gibt es durchaus, die wollen und sich selbst mit den Dingen befassen. Und die merken, dass sie in Schule und Studium nichts mehr lernen. Einzelne. Ich bin nun auch weiß Gott nicht der ältesteste, aber was mir vermehrt auffällt ist, das heutige Absolventen oft nicht einmal in der Lage sind, einen zusammenhängenden, nachvollziehbaren Text zu schreiben und Sätze über Grundschulniveau zu verfassen.

Schöne Grüße!

Ja.

Oft erlebt. Oft beschrieben.

Aus Sicht deutscher Verwaltung, Politiker, Juristen ist Digitalisierung, wenn man irgendwas so ersetzt, dass es jetzt Strom und Disketten braucht, mehr Geld kostet und ab und zu mal abstürzt.

Der Grund für die Digitalisierung ist, dass man das Geld, das es dann mehr kostet, in die richtigen Taschen leitet.

Hatte ich 2008 mal im Zank mit dem damaligen BSI-Chef eruiert und bebloggt, obwohl der vielleicht selbst gar nichts dafür konnte und nur die Merkel-Politik durchgeben musste: IT Security Business is growing up… IT-Sicherheit ist, wenn eine Branche, die sagt, dass sie in IT-Sicherheit macht, steigende Umsätze meldet und zufrieden ist. Ersetzbar durch jeden beliebigen Begriff X. Völlig egal, was IT-Sicherheit oder X ist, Hauptsache die richtigen Leute sind zufrieden, weil sie Geld machen.

Digitalisierung heißt in Deutschland nichts anderes als dass Geld da ist und man es in die Taschen der richtigen Leute lenkt und irgendein Politiker dafür ind ie Presse kommt. Sonst nichts.

Viele Leute, besonders in Journalismus und Politik, siehe etwas das viele blöde Algorithmengeschwätz, leider aber auch viele Informatik-Professoren, die elfeneinturmgemäß das, worin sie Professoren sind, selbst noch nie getan haben, wissen überhaupt nicht, was Informatik ist. Oft beschrieben, beispielsweise am Geschwätz des Mietmaules Ranga Yogeshwar.

Die Leute glauben immer, Informatiker seien „Coder“, „Programmierer“.

Unfug.

Der Unterschied zwischen einem Informatiker und einem Programmierer ist etwa der gleiche wie zwischen einem Architekt und einem Eisenbieger oder Betonbauer.

Die Leute kapieren nicht, dass man nicht einfach draufloshackt, irgendwelche Wunderdinge am Computer eintippt, sondern das als Implementierung erst eine ziemlich späte Phase ist. Dass ein Informatiker erst einmal die Abläufe, die Funktionen, die Informationen, die Informationsflüsse erfassen und organisieren, die Betriebsabläufe analysieren, ordnen, segmentieren muss, und vor allem dabei gleiche ohne ähnliche Abläufe erkennen und vereinheitlichen muss. Dass ein Informatiker im Prinzip den ganzen Laden umkrempeln muss, damit das dann mit der IT überhaupt funktioniert und die Vorteile erst entstehen. Und dann Funktionen, Schnittstellen und Datenformate definieren, Betriebsabläufe, Datenflüsse. Und erst dann, wenn das alles steht, geht, wenn überhaupt, erst das Programmieren los.

Die meisten Leute halten Informatiker für so eine Art Computer-Lieferanten. Ihr glaubt nicht, wie oft mir das in den letzten 25 Jahren (in den letzten Jahren nicht mehr so) passiert ist, dass die Leute mich fragen „Sie sind doch Informatiker, Sie können mir doch sagen, wie man unter Windows …“. Die halten einen für so eine Art Windows-Experten. Und wenn ich dann antworte (selbst wenn ich die Antwort weiß) „Keine Ahnung, ich verwende kein Windows.“ sind manche wie vom Schlag getroffen. „Was sind Sie denn für ein Informatiker, wenn Sie kein Windows verwenden?“

Das steckt bei uns tief drin, dass der Informatiker die Laienerwartungen zu erfüllen hat, weil sich jeder Maus-Schubser für einen Computerexperten hält.

Die Folgen sind fatal.

Man kann diesen Leuten nicht mehr erklären, dass das so nicht funktioniert, wie sie sich das vorstellen. Und dass man auch nicht, wie das gerade auf dem IFA-Stand des Bundesministeriums so war, Digitalisierung macht, indem man einen Wettbewerb veranstaltet, ob jemand eine gute Idee für ein Projekt hat.

So ein Blödsinn.

Das Problem daran ist aber, dass man den Laden selbst dann, wenn man fähige Leute fände, nicht digitalisieren kann. Denn Digitalisierung bedeutet ja eben Vereinheitlichung, Reduktion, Eliminierung von redundanten Abläufen. (Achtung: Es gibt zwei Arten von Redundanz. Die, die einem was nutzt, weil sie eine Reserve bietet, und die, die einem nichts nutzt, weil sie nur überflüssige doppelte Arbeiten enthält, die sich nicht gegenseitig ersetzen können. Zwei Unterhosen zu haben ist nützliche Redundanz, dann kann man die eine tragen, während man die andere wäscht. Zwei Unterhosen übereinander anzuziehen ist dagegen überflüssig. Die Unterscheidung dessen überfordert die meisten politischen Entscheidungsträger aber schon.)

Ich hatte ja schon die Frage gestellt: Eigentlich sollte man erwarten, dass Städte oder Universitäten jeweils sehr ähnliche, wenn nicht gleiche Anforderungen haben, und deshalb die Frage stellen, warum da jeder seine eigene Software dengelt. Oder überhaupt jede separat verwaltet werden muss. Warum muss jede Stadt ein eigenes Einwohnermeldeamt haben? Jede Universität eine Personalabteilung und Studentenverwaltung? Warum reicht nicht eine pro Bundesland? Wäre viel weniger Arbeit.

Die Antwort ist: Man will möglichst viele Spezis beauftragen und Jobs schaffen, und überall will einer mächtig und Entscheidungsträger sein, was zu sagen haben.

Warum haben wir überhaupt 16 Bundesländer? Von denen nicht wenige zu klein sind, um eines zu sein?

Nur damit es möglichst kompliziert ist?

Ich halte die Bundesrepublik mit ihrem überföderalen Politikerernährungssystem und seinen Wahlperioden von 4 und 5 Jahren für schlichtweg nicht digitalisierbar. Zumindest nicht effizient.

Wie auch der Leser schrieb: Man müsste den ganzen Laden für zwei Jahre abschalten, um ihn umkrempeln zu können. Zwei reicht da aber nicht.

Wir haben einen riesigen Haufen Verwaltungsmist aufgetürmt, und der Haufen ist so groß, dass er weder im laufenden Betrieb digitalisiert, noch lange genug abgeschaltet werden kann, um diese außerhalb eines laufenden Betriebs zu tun.

Hätte man es vor 30 Jahren angefangen, als man noch in der analogen Arbeitsweise steckte, und es bei der ersten Digitalisierungswelle, dem Einsatz von Computern, dann gleich richtig gemacht, hätte was draus werden können. Jetzt aber haben wir nicht nur das Digitalisierungsproblem, sondern zusätzlich den großen Haufen irreversiblen Computergemurkses, aus dem wir nicht mehr rauskommen, und einen großen Haufen von Besserwissern in Politik und Medien, die sich für Computerexperten halten, weil sie zuverlässig den Computer an die Steckdose statt an den Wasserhahn anschließen und googeln können.

Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe. Irgendwo plädierte neulich einer dafür, die Digitalisierung einfach aufzugeben, und beim Status Quo zu bleiben oder wieder analog zu arbeiten. Das ist zwar dumm, ineffizient und peinlich, aber im Vergleich zu dem, was noch alles schief gehen und was es noch kosten kann, vielleicht das geringste Übel, und als analoges Verfahren vielleicht auch am verträglichsten mit unserem gesellschaftlichen Verblödungskurs.

Vielleicht aber reicht es einfach, die Absicht aufzugeben, dass wir uns selbst digitalisieren.

Vielleicht gibt es das bald als fertige Dienstleistung, State as a Service. Die Cloudanbieter haben ja längst nicht mehr nur Maschinen und Speicher, sondern komplette Serverdienste im Angebot, da kann man sich ja Datenbanken, Kubernetes und solches Zeug direkt anklicken.

Vielleicht sollten wir in Sachen Digitalisierung einfach gar nichts mehr tun und nur noch abwarten, bis man in der Amazon Cloud fertige Stadtverwaltungen, Universitäten, Schulen oder Bundesregierungen nach Eingabe der Kreditkartennummer anklicken kann.

Das bietet dann auch genug Raum für Expertentum. Social Media Experten waren ja auch jahrelang die, die beides, Twitter und Facebook, bedienen konnten.