Ansichten eines Informatikers

Prorussisches Propagandagetrommel

Hadmut
31.7.2023 12:32

Ein ernstes Wort zur Meinungsfreiheit.

Jedesmal, wenn ich – wie jetzt gerade zum Fechten – irgendetwas schreibe, was auch nur am Rande mit dem Konflikt Russland/Ukraine zu tun hat, werde ich tagelang mit Beschimpfung, Beschuldigungen, Vorhaltungen bombardiert, wie ich es auch nur wagen könnte, ein Wort zu schreibe, das nicht 100% zugunsten Russlands und gegen die Ukraine ausfällt.

Dabei immer wieder dieselben Symptome:

  • Dieselben Leute (ich habe aber den Verdacht, dass es wenige Leute unter mehreren Pseudonymen sind)
  • Synchronisierte Vorhaltungen
  • Argumente oft frei erfunden
  • Auch wenn sie keine Ahnung haben, halten sie sich spontan für die oberste Entscheidungsinstanz.
  • Sie können es nicht ertragen, dass eine andere als die von ihnen für allein richtig gehaltene Meinung geäußert wird.
  • Sie versuchen, durch Polemik und Beschimpfung ihre orthodoxe Ansicht durchzudrücken.
  • Obwohl sie nicht aktivlegitimiert sind, spielen sie sich als eine Art Gläubiger der Unterwerfung unter die richtige Meinung auf, zetteln endlose Maildialge an und erwarten, dass man sich stundenlang mit ihnen auseinandersetzt.

Ja, ich weiß, dass es eine FIE-Regel gibt, wonach man die Hand zu geben hat. Im Gegensatz zu denen, die mich bombardieren, weiß ich sogar, wo es steht, nämlich hier:

FIE

t.122

Before the beginning of each bout, the two fencers must perform a fencer’s salute to their opponent, to the Referee and to the spectators. Equally, when the final hit has been scored, the bout has not ended until the two fencers have saluted each other, the Referee and the spectators: to this end, they must remain still while the referee is making his decision; when he has given his decision, they must return to their on-guard line, perform a fencer’s salute and shake hands with their opponent. If either or both of the two fencers refuse to comply with these rules, the Referee will penalise him/them as specified for offences of the 4th group (cf. t.158-162, t.169, t.170).

The Fourth Group of Offences
t.169

The first infringement in the Fourth Group, is penalised by a BLACK CARD (exclusion from the competition, suspension from the remainder of the tournament and for the following 60 days of the active season (1 September – World Championships for the Juniors, and 1 September – World Championships for the Seniors), whether current or forthcoming or both).

Ja, diese Regel gibt es.

Nein, diese Regel hat keine Gesetzeskraft, weil nur die Regel einer privatrechtlichen Organisation, und hat sich immer noch unter das im jeweiligen Land geltende Recht zu fügen. Und dann gibt es in den meisten westlichen Ländern mit römischem Recht ein Schikaneverbot, in Deutschland § 226 BGB.

Und dass sich die Regeln geltendem gesetzlichen Recht usw. zu unterwerfen haben, sieht man daran, dass der Handschlag unter Corona ausgesetzt war – obwohl er in den Regeln stand. Es kann also schon deshalb keine so zwingende Regel sein, sondern unterliegt immer höherem Recht und äußeren Umständen.

Dazu kommt, dass der Kampfrichter jemanden disqualifizieren kann, aber nicht der Gegner einen Anspruch auf Disqualifikation durchsetzen oder erzwingen kann, wenn er keinen sportlichen Nachteil hat. Das Punkteergebnis wäre ja nicht besser gewesen, wenn sie ihr die Hand gegeben hätte.

Und wenn da tausendmal drin steht, dass sie sich die Hand geben müssen, kann ich immer noch der Meinung sein und diese publizieren, dass ich die Regel oder deren Anwendung für falsch halte. Die Regeln eines privatrechtlichen Verbands sind kein Verbot, anderer Meinung zu sein. Zumal ich schon seit 40 Jahren nicht mehr FIE-Mitglied/-Lizenzinhaber bin.

Es ist mein Recht, anderer Meinung als die FIE zu sein.

Umso erstaunlicher finde ich es, wieviele Leute, die in ihrem ganzen Leben nicht nichts mit Fechten zu tun hatten und bis vor drei Tagen nicht mal wussten, dass es die FIE überhaupt gibt, sich als Oberrichter über die Fechtregeln aufspielen und den Gläubiger einer Unterwerfungserklärung geben, weil für sie nur zählt, dass als Ergebnis rauskommt „Russland engelsgleich, Ukraine böse“.

Und dazu kommen dann noch jede Menge Blödsinnsargumente.

  • Die Würde des Menschen aus Art. 1 GG sei verletzt, wenn einem jemand die Hand nicht gibt. Abgesehen davon, dass das GG die Staatsgewalten und nicht sportliche Gegner bindet: Die FIE ist französisch, sitzt in der Schweiz, der Wettkampf war in Italien. Warum sollte da unser GG gelten?
  • Toll auch: Die Disqualifikation musste sein, weil die USA so böse sind.
  • Häufig ging auch das Argument herum, dass man mit der Waffe nicht auf eine unmaskierte Person zeigen dürfe.

    Es stimmt zwar dass einem das beim Fechten als gutes Benehmen erklärt wird, aber es ist keine allgemeine Regel. Beweis: Im oben zitierten Absatz wird ja der Fechtergruß vorgeschrieben:

    Es ist also eindeutig falsch, dass es ein generelles Verbot gebe, mit der Waffe auf Unmaskierte zu zeigen.

Was mich daran aber so ungmein stört, ist der der immer wieder zu beobachtende Effekt, wie hier gegen die Meinungsfreiheit agitiert wird. Die Leute hämmern mit oft falschen, frei erfundenen oder blödsinnigen Argumenten auf einen ein, oft in Endlosschleifen, und bilden sich ein, sie seien so eine Art Meinungskontrolleur, denen gegenüber man seine Meinung zu rechtfertigen oder sie zu unterlassen hat. So ähnlich wie die Religionswächter im Iran.

Besonders schlimm daran ist aber, dass sie dann auch weder willens, noch in der Lage sind, Argumente zu verstehen.

Oder einfach zu akzeptieren, dass ich anderer Meinung bin als sie. Einzusehen, dass nicht alle Menschen derselben orthodoxen Meinung sind.

Oder zu verstehen, dass es keine Form der Meinungsbildung ist, wenn man von vornherein vorgibt, dass das Ergebnis sein muss, dass die Russen engelsgleich gut und die Ukrainer teufelsgleich böse zu sein haben und die Argumentationslinie dann von hinten her aufwickelt.

Mir fällt vor allem auf, wieviele Leute da immer synchron ankommen und Unfug auftischen, als hätte man sie geschickt.

Es kommt mir vor, wie die russische Variante der grünen „Netzfeuerwehr“, als stünde da irgendein Forum dahinter, in dem jede russenkritische Meinung sofort zum Abschuss freigegeben wird.

Man kann meine Meinung für falsch halten.

Sie kann sogar falsch sein.

Trotzdem gibt das nicht Hinz und Kunz einen Beseitigungsanspruch oder einen Gläubigeranspruch auf Rechtfertigungen.