Ansichten eines Informatikers

Aktuelles zum Deutschlanduntergang

Hadmut
23.7.2023 12:43

Nur zwei Pressemeldungen. Beide wie Grabmusik.

Boris Palmer, DIE WELT

Der Ex-Grüne Boris Palmer schreibt einen Gastbeitrag in der WELT über Deutschland und den Umgang mit der AfD: Autokrise, Freibadrandale, Bildungsmisere – Deutschland hat den Zenit überschritten

Deutschland ist im Niedergang, und die Menschen spüren das. Sie sehen geschlossene Gasthäuser, lesen von Messerangriffen und können kaum noch ihre Wohnung zahlen, während der Staat Wohnraum für Geflüchtete schafft.

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Zwei Nachrichten vom selben Tag: Die AfD erreicht bei einer Wahlumfrage in Baden-Württemberg mit 19 Prozent ein Allzeithoch. Und: Die Mehrheit der befragten Entscheider des Allensbacher Elite-Panels ist der Meinung, Deutschland habe den Zenit überschritten.

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Wenn 19 Prozent der Baden-Württemberger sagen, sie wollten die AfD wählen, fällt die Erklärung mit den vermeintlichen Demokratiedefiziten hinterwäldlerischer Ossis flach.

Die einfache und weitverbreitete These, schuld seien CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Chef Markus Söder und alle, die Themen ansprechen, die der AfD Auftrieb geben, halte ich ebenfalls für wenig überzeugend. Sie leidet daran, dass man das Wahlvolk zu verhetzten Subjekten degradiert und den Leuten unterstellt, dass sie sich nur mit eingebildeten Problemen beschäftigen. Dass die AfD verschwindet, wenn niemand in der Politik mehr über Probleme mit Migration und Geflüchteten redet, ist einfach unwahrscheinlich.

Viel plausibler erscheint mir, dass die Leute etwas ernsthaft umtreibt, für das sie bei den etablierten Parteien keine Lösungen mehr sehen. Ich glaube, dass es sich um Angst vor dem Verlust der Heimat handelt, verbunden mit der Sorge vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg.

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Und weil ich auch noch nie so viele alarmierte Unternehmensführer getroffen haben wie in den vergangenen Monaten, habe ich die Frage, ob Deutschland seinen Zenit überschritten habe, selbst mit Ja beantwortet.

Der Cocktail aus Bürokratieverstrickung, Digitalisierungsrückstand, Energiekostenexplosion, Fachkräftemangel, Nachfrageausfall und politischer Nonchalance ist zu giftig geworden.

Wenn ich über die Dörfer in Baden-Württemberg fahre, stehen dort verfallende Gasthäuser an den Hauptstraßen wie Mahnmale zur Erinnerung an eine bessere Zeit. Die hiesige Schlüsselindustrie, der Fahrzeugbau, steht vor dem Verbot seines 125-Jahre-Dauerrenners, des Verbrennungsmotors, und Batterien sind hierzulande bisher nicht konkurrenzfähig herzustellen. Elektroautos made in Germany sind ein Ladenhüter. Wenn man den Trend im Automobilbau zehn Jahre weiter rechnet, ist Baden-Württemberg ein neues Ruhrgebiet.

Das alles ist so offensichtlich, dass es auch Menschen, die man für weniger intelligent hält als sich selbst, kaum verborgen bleiben kann. Und bei vielen ist die Krise längst angekommen. Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen haben wieder eingesetzt. Die Inflation macht das Leben teurer. Der Wohnungsbau ist zum Erliegen gekommen. Ein Eigenheim aus eigenem Einkommen zu finanzieren, ist faktisch unmöglich geworden. Eine bezahlbare Wohnung zu finden ist ein Sechser im Lotto.

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Wenn wieder Wohnraum für Geflüchtete geschaffen und umgewidmet wird, protestieren immer mehr Menschen und fragen, wo sie selbst wohnen sollen. In der Stadt Tübingen, für die ich Verantwortung trage, sind alle seit 2015 im Saldo neu geschaffenen Sozialwohnungen mit Flüchtlingen belegt. Die Verzweiflung der Wohnungssuchenden, darunter besonders viele mit Migrationshintergrund, wächst.

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Der nicht abreißende Strom der Nachrichten von Messerangriffen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei denen sich regelmäßig ein Geflüchteter als Täter ermitteln lässt, verbindet diese Entwicklung mit dem Gefühl eines gravierenden Sicherheitsverlustes, wie die viel kritisierte Polizistin Claudia Pechstein korrekt berichtet hat.

Die Freibadschlägereien sollte man auch nicht als Sommerlochproblem abtun. Sie werden von vielen Menschen als Symbol verstanden, dass uns die Lage langsam entgleitet und man sich im eigenen Land nicht mehr wohlfühlen kann, sobald man das Haus verlässt.

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Es ist aber in jedem Dorf und an jedem Bahnhof sichtbar, dass wir in großer Zahl Menschen bei uns aufnehmen, die keinen Beitrag zu unserer Wirtschaft leisten und keinen Asylanspruch haben.

Was er beschreibt, ist nicht nur ein handfester Systemabsturz durch Systemzerstörung, sondern auch die Unfähigkeit, die Probleme zu erkennen – Diskurs- und Sprachakttheorie. Als würde die Welt um uns herum nur durch Sprechakte geschaffen, „konstruiert“, und alles Unerwünschte einfach „dekonstruiert“, indem man Leuten verbietet, darüber zu sprechen. Weil man nach den Theorien von Foucault und anderen die Welt nur dadurch schafft, dass man sie auf Basis des Gesprochenen, des „Diskurses“, „erkennt“, „liest“, und die Wahrnehmung der Welt und damit sie selbst verschwindet, wenn man nur das Sprechen darüber verhindert. Als könnte man alle Probleme der Welt einfach lösen, indem man per Zensur verbietet, sie zu erwähnen. Man muss nur jedem aufs Maul hauen, der noch Geschlechter erwähnt oder Migration kritisiert, schon ist alles gut.

Fatina Keilani, NZZ

Deutschland bekommt die irreguläre Migration nicht in den Griff und verprellt zugleich die dringend benötigten Fachkräfte – was zu tun wäre

«Deutschland hat keinen Plan», sagt Ulrich Temps. «Die Fachkräfte, die wir hier brauchen, werden in der Form woanders gar nicht ausgebildet. Woher soll die Einwanderung kommen?»

Dasselbe Prinzip der Diskurstheorie, der entgegengesetzte Effekt: Fachkräfte regnen vom Himmel, wenn man nur oft genug „Fachkräfte“ sagt, weil doch die Sprechtakttheorie besagt, dass der Diskurs die Wirklichkeit macht. Wenn wir also jeden Morgen nach dem Aufstehen dreimal laut „Fachkräfte!“ sagen, dann müssen sie auch kommen.

Und dann folgen Beispiele, dass man Flüchtlinge durchaus ausbilden könnte, wenn man wollte – und nicht erwarten würde, dass sie bereits ausgebildet zu uns kommen, dass wir uns aber zu blöd anstellen, wenigstens die Leute, die arbeiten könnten, auch in Arbeit zu bringen.

«Nicht nachzuvollziehen»: Das ist das Stichwort, das eigentlich das ganze deutsche Migrationssystem beschreibt. Dieses System erzeugt mehr Verlierer als Gewinner und ist juristisch Stückwerk.

Eine geregelte Migration gibt es zwar, doch erfordert sie ein umständliches und überbürokratisches Visaverfahren mit extrem langen Laufzeiten an deutschen Auslandsvertretungen. Wer willige Fachkräfte monate-, manchmal jahrelang warten lässt, darf sich nicht wundern, wenn diese es sich anders überlegen.

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Zugleich strömen Menschenmassen ungeregelt nach Deutschland und stellen Asylanträge, obwohl vielen der Antragsteller bewusst sein dürfte, dass sie keinen Schutzstatus bekommen werden – deswegen oben «Flüchtlinge» in Anführungszeichen. Die meisten sind keine Flüchtlinge, sondern schlicht Migranten, die aber auf dem beschriebenen Weg keine Chance hätten.

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Bei der Hälfte aller Asylsuchenden in Deutschland handelt es sich gemäss einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion um Kinder und Jugendliche. Hätte Deutschland funktionierende Bildungseinrichtungen, statt auch auf diesem Gebiet zu versagen, so könnten dies die Forscher und Erfinder von morgen sein.

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«Viele wollen nach Deutschland, weil hier die Sozialleistungen gut sind oder sie hier schon Familienangehörige haben», sagt Anike Birkenhagen. Anleitungen fänden sich im Internet.

Wir haben hier ein völlig absurdes und kontraproduktives System aufgebaut, das auf der Annahme beruht, dass man jeden einfach „Fachkraft“ nennen könnte und er es damit würde. In der Folge sind wir nicht mehr in der Lage, die Fähigen von den Unfähigen zu unterscheiden:

Wer ein Gericht besucht, um sich ein Asylverfahren anzuschauen, kann sich nur wundern. Da ist zum Beispiel im Mai vor dem Berliner Verwaltungsgericht das junge Paar aus dem Irak, das sich gegen die bevorstehende Abschiebung wehrt – ein seltener Fall, denn es wird praktisch niemand abgeschoben. Die beiden Kläger sind in den Zwanzigern, haben geheiratet gegen den Willen ihrer Familien, beide sind von Beruf Softwareentwickler. Der Asylantrag wurde abgelehnt, da Stress mit der Familie nicht als Fluchtgrund zählt.

Vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) ist sogar ein Vertreter anwesend, das ist eher die Ausnahme als die Regel. Er sagt einen interessanten Satz, um zu begründen, warum die beiden ruhig abgeschoben werden können: «Die können ihre Existenz im Irak sichern.» Dieser Satz hat mehr Bedeutung, als man ihm erst ansieht.

«Wenn jemand sagt, dass er im Heimatland seine Existenz nicht sichern kann, dann ist das eine Notlage und führt zu einem Abschiebeverbot nach Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes, unmenschliche und erniedrigende Behandlung», erläutert ein Gerichtssprecher. Das führt allerdings dazu, dass am ehesten die Jungen und Leistungsfähigen abgeschoben werden, obwohl Deutschland sie gut brauchen könnte. Die Alten, Armen und Kranken haben hingegen die besten Aussichten, auf Kosten des Steuerzahlers in Deutschland zu bleiben. Das System erzeugt Verlierer.

Generell halte ich den Artikel in der NZZ für zu euphorisch, weil er die Illusion hochhält, dass das mit der Migration immer noch gut laufen könnte, wenn man es nur endlich richtig machen würde. Den Glauben habe ich nicht mehr. Trotz dessen zeigt der Artikel deutliche und berechtigte Kritik auf.

Fazit

Mein Fazit aus beiden Artikel wäre:

Migration ist ein äußerst schwieriges und anspruchsvolles Problemfeld. Es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass sie funktioniert, aber man bräuchte hochkompetente und erfahrene Leute, die sie steuern und begleiten. Stattdessen haben wir hochgradig inkompetente Leute, die auf Sprechakttheorie und solchen Blödsinn bauen.