Ansichten eines Informatikers

Deutschland auf dem absteigenden Ast: Die Warnungen des Wolfgang Thierse

Hadmut
16.7.2023 17:32

Vom Selbstzerstörungsfatalismus der SPD.

Interview in der WELT mit SPD-Politiker und ehemaligem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse: „Ich vermute, die glorreichen Zeiten der alten Bundesrepublik sind endgültig vorbei“

Yup. Irreparabel demoliert.

Im Einstieg des Interview geht es um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Abstimmung über das Heizungsgesetz zu verzögern, weil das Galopp-Tempo den Abgeordneten keine Zeit lasse, es zu verstehen und beraten. Thierse meint, solche Eingriffe seien problematisch, aber in diesem Fall berechtigt gewesen.

Thierse: Die Beschleunigung erhöht das Risiko von Fehlern. Damit will ich nicht jeden Fehler rechtfertigen. Aber es ist zu billig, das nur der Dummheit von Politikern und Beamten in die Schuhe zu schieben. Die Politiker und auch die Bürger müssen gleichzeitig so viel bewältigen. Das erzeugt Unsicherheiten und Ängste und mobilisiert Abwehr.

Im Prinzip hat er ja recht. Wenn Politiker aber so viel zu bewältigen haben und er es zu billig findet, das nur der „Dummheit von Politikern“ in die Schuhe zu schieben – warum sitzen denn dann – auch bei der SPD – so viele Leute im Parlament, die noch nie oder kaum gearbeitet haben und gar keinen oder keinen dafür brauchbaren Berufsabschluss haben? Wenn man schon zu so einer Erkenntnis kommt, warum setzt man dann nicht solche Leute ins Parlament, die der Aufgabe gewachsen sind?

In jeder Firma führt man ein Bewerbungsgespräch, schaut sich die Ausbildung und die Arbeitszeugnisse an, und hat eine Probezeit von einem halben Jahr.

Abgeordnete dagegen werden einfach aus dem Nichts gewählt, auf irgendwelche Listen gesetzt, und sollen dann 4 Jahre lang Gesetze machen, egal ob sie es können oder nicht.

Wie kommt es also, dass sich Abgeordnete einerseits überfordert fühlen, man andererseits aber so viele Leute da reinsetzt, die keinen Beruf erlernt und noch nie ernstlich gearbeitet haben?

WELT: Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierungsarbeit zu kritisieren.

Thierse: Ja. Trotzdem wünsche ich mir dann von der journalistischen Begleitung mindestens so viel Verständnis, dass solche Einigungsprozesse Zeit brauchen. Der größte Teil der Medien erzeugt inzwischen latent antidemokratische Wirkungen, weil in ihnen Streit immer negativ konnotiert und beschrieben wird. Dabei ist doch Streit das Fundament unserer Demokratie! Wenn es keinen Streit gäbe, dann säßen wir in einer Diktatur.

Es gibt aber (mindestens) zwei Arten von Streit: Den in der Sache und den zwischen den Parteien.

Oder den, der die Sache verbessert, im Sinne eines wissenschaftlichen Streits, und den, bei dem nichts mehr herauskommt, weil zerstritten.

WELT: Die Medien bilden die Debatten ab und leisten dazu einen Beitrag. Das finden Sie antidemokratisch?

Thierse: Schauen Sie doch auf den Erfolg der AfD. Das hat durchaus auch mit den Medien in Deutschland zu tun. Wenn diese unablässig von Streit, von Siegern und Verlierern, von Unfähigkeit reden, dann sinkt das Vertrauen in demokratische Institutionen und Politiker. Streit ist das Normalste der Welt. Es ist eine gefährliche Illusion, ohne Streit auskommen zu wollen. Unsere Gesellschaft ist hochdifferenziert, sehr pluralistisch. In ihr gibt es unterschiedliche Interessen und Meinungen – und eben auch Streit.

Das muss man sich klarmachen:

Thierse hält es für „antidemokratisch“, weil die Presse die Regierung kritisiert, man dadurch das Vertrauen verliert und die AfD Erfolge verbucht. Honecker hätte es so ähnlich ausgedrückt. Demnach nämlich dürfte man eine Regierung niemals kritisieren, weil jede Kritik immer mit sich bringt, dass man eher die Opposition wählt.

Was erwartet der? Dass die Presse schweigt und man dann jedem Unfug zustimmt?

Thierse: […] Ich vermute, die glorreichen Zeiten der alten Bundesrepublik sind endgültig vorbei.

WELT: Was meinen Sie damit genau?

Thierse: Die Tatsache, dass alle Verteilungskonflikte am Ende immer durch ein Mehr gelöst werden konnten, das ist vorbei. Die Geschäftsgrundlage der Demokratie der alten Bundesrepublik war wirtschaftliches Wachstum und Wohlstandsmehrung. Dessen können wir nicht mehr sicher sein.

WELT: Aber Demokratie ist auf Wirtschaftswachstum angewiesen!

Thierse: Nein. Das ist der entscheidende Punkt: ob es uns gelingt, Demokratie und Freiheit auch ohne wirtschaftliches Wachstum zu leben und zu bewahren. Das ist eine der großen Herausforderungen.

Denkt mal drüber nach.

Er sagt, dass wir erwarten müssen, kein wirtschafliches Wachstum mehr zu haben. Was Stagnation oder sogar Schrumpfung heißt.

Gleichzeitig ungebremste Zuwanderung. Was bedeutet, dass wir bei bestenfalls stagnierender Wirtschaft deren Resultat durch immer mehr Menschen dividieren müssen. Und dass die „Verteilungskonflikte“ nicht mehr gelöst werden können, indem wir ein „Mehr“ produzieren.

Das heißt nicht nur, dass man sich von vornherein keine Mühe mehr gibt, die Wirtschaft gesund zu erhalten, weil man sich einfach sagt, dass das Wachstum sowieso vorbei ist.

Es heißt auch, dass die Verteilungskämpfe jetzt losgehen.