Ansichten eines Informatikers

Vom überaus bedauerlichen Eintritt der Entbehrlichkeit des Reisens

Hadmut
8.4.2023 14:05

Oh, es schmerzt.

Vor etwa 10 Jahren, ich weiß gar nicht mehr, welche Reise das genau war, sagte mir jemand in einer Reisegruppe, dass er oder sie (ich weiß es nicht mehr, wer das war) auf Reisen nicht mehr fotografiert und auch erst gar keine Kamera mehr mitnimmt. Man finde nämlich längst auf Google und Google Maps von jedem erdenklichen Ort der Welt, den man noch besuchen könnte, längst wesentlich bessere Fotos als man sie selbst noch machen könnte. Einfach nach der Reise von allen Orten, die einem gefallen haben, die Bilder zusammenklicken.

Vor 20 Jahren war ich in Neuseeland und hatte damals einen der ersten Miniaturnotebooks (ein Fujitsu Biblo B112) und einen der ersten tragbaren kleinen CD-Brenner dabei, weil Speicherkarten damals noch so teuer waren, dass man unmöglich die ganze Reise aufnehmen könnte. So alle paar Tage habe ich zwei CDs gebrannt und eine davon als Backup in einem Kuvert nach Deutschland geschickt. Ein asiatisches Paar, das das bemerkt hatte, und die dasselbe Problem hatten, fragte mich, ob ich ihre Speicherkarten auch auf CD brennen könnte, was ich gerne getan habe. Er sagte, ich bräuchte ihre Bilder nicht von meiner Festplatte zu löschen und könne sie gerne als Ergänzung meiner Bilder behalten, wir seien ja an denselben Orten gewesen. Als ich dann später die Zeit hatte, mir seine Bilder anzuschauen, ergriff mich blankes Entsetzen: Alle Bilder gleich: Seine – wirklich nicht schöne – Freundin stand wie ein nasser Sack und gelangweilt vor allen möglichen Gebäuden und Hintergründen, und immer an derselben Stelle im Foto, immer auf dieselbe Weise. Hätte sie nicht die Klamotten gewechselt, hätte man denken können, das die Kamera per Software immer dasselbe Bild der Frau in jedes aufgenommene Foto kopiert. Ausnahmslos alle Bilder genau gleich, immer steht sie wie Pik Sieben vor irgendwas rum. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass viele Asiaten nicht fotografieren um Bilder zu erzeugen oder Ansichten zu dokumentieren, sondern sie sammeln Beweisfotos. Ihre Fotos haben keinen anderen Zweck als aufzulisten und zu beweisen, dass sie an den Orten X, Y und Z gewesen sind.

Auf einer der Reisen, es war womöglich sogar dieselbe, irgendwas vor etwa 20 Jahren, kamen unterwegs noch welche dazu, weil man die Reisen auch Teiletappen buchen konnte. Dabei ein ziemlich verrücktes Huhn, eine 18-jährige, eigentlich sehr hübsche und fotogene, modeltaugliche kleine Japanerin, die aber nicht so klassisch japanisch, sondern sehr modern aussah und drauf war, sehr lustig, sehr gesellig, sehr exhibitionistisch. Sie ließ sich überaus gerne fotografieren, fordete die Leute sogar dazu auf. Die mochte das und sah auch danach aus, eigentlich ein Volltreffer: Eine exhibitionistische Schönheit, was will man mehr?

Aber, ach. Die hatte einen gewaltigen Dachschaden. Sobald die ein Objektiv wahrnahm, das auf sie gerichtet war, nahm sie sofort und zwanghaft irgendwelche neojapanisch-kulturellen Manga-Posen ein, als wäre sie die Superheldin in irgendeinem Japan-Trashfilm im Captain-Future-Anzug. Das ist anfangs lustig, nervt dann aber sehr schnell, weil die ständig irgendwelche Zappelposen und die Hände mit V-Zeichen zeigte. So dämlich wie bei uns die mit den Fingern geformten Herzchen. Irgendwie sahen alle Fotos von ihr alle gleich aus. Ausnahmslos.

Ebenfalls vor etwa 20 Jahren gab es in San Francisco in den Souvenirläden CDROMs mit Urlaubsfotos der einschlägigen Sehenswürdigkeiten und Orte zu kaufen, sortiert nach den damals handelsüblichen Amateurdigitalkameras. Man konnte sich also so eine CD passend zur eigenen Kamera kaufen und die Bilder auf die Speicherkarte kopieren, um dann so zu tun, als haben man sie selbst geschossen.

Auf den Aktfotoworkshops, auf den ich in den 1990er Jahren war, gab es immer Hektik, weil auf engem Raum zwischen vier und sechs Fotografen hantierten und ihre Ausrüstung verteilten, direkt nebeneinander stellten. Ich habe es nie erlebt, dass dabei irgendwer irgendwem Kameraausrüstung gestohlen oder das versucht hätte. Aber auf seine belichteten Filme musste man immer sehr aufpassen und die sofort wegpacken, weil gerne geklaut wurden, um später ordentliche Bilder vorweisen zu können.

Viele Aufschneider, Influencer, Reiseblogger sind damit aufgeflogen, dass sie gefälschte Bilder verwendeten um vorzugaukeln, dass sie an Orten oder auf Reisen seien, die sich sich gar nicht leisten konnten.

Für beides, für die geklauten und plagiierten, aber auch für die echten, aber monoton schlechten Bilder, gibt es längst Dienste. Ich brauche ein Bild von mir am Strand von Mexiko? Kein Problem. Ich als Krieger in einer Manga-Schlacht gegen Superhelden? Geht auch.

Nun aber haben wir den nächsten Schritt, nämlich nicht mehr das Prinzip, ein Bild (Person) in ein anderes Bild (Hintergrund) per Ausschneiden, Copy, Paste in ein anderes zu packen, sodern Bilder per KI zu erzeugen. Mach mich 20 Jahre jünger, größer, muskulös und zeige mich, wie ich gerade Arnold Schwarzenegger am Strand von Santa Monica im Armdrücken besiege und im Hintergrund die Buchmacher Wetten annehmen. Und auch als Sieger beim Wettrennen und als Gewinner der Segeltrophäe.

Das große Fälschen wird jetzt erst richtig los gehen.

Eine Foto-Webseite stellt nun die Frage: Is It Worth Traveling for Photography if AI Can Do It for You? und fragt, ob es sich überhaupt noch lohnt, zum Fotografieren zu reisen, und vergleicht ein echtes Foto eines Leuchtturms mit einem KI-erzeugten Bild desselben Turms.

Vielleicht ist alles, was man urlaubs besuchen kann, schon so vollumfänglich abfotografiert, dass tatsächlich kein Neuigkeitswert mehr entsteht, und – fast – alle Fotos nur noch Variationen sind. So geht es mir in der Aktfotografie. Bei fast allen Fotos geht mir die Frage durch den Kopf, ob ich dieses Bild so schon tausend- oder doch zehntausendmal gesehen habe.

Wir sind vielleicht an dem Punkt angekommen, an dem neue Fotos keinen Mehrwert und keinen Informationsgehalt gegenüber den aus dem bestehenden Fundus erzeugten KI-Bildern mehr haben.