Ansichten eines Informatikers

Ballett und Hundekot

Hadmut
22.2.2023 12:05

Seinen Namen zu tanzen war gestern.

Ihr habt das doch sicher irgendwo am Rande mitbekommen, dass da ein Ballettdirektor aus Hannover eine FAZ-Journlistin mit Hundekot beschmiert hatte. Die Hessenschau dazu:

Goecke habe “gegen alle Verhaltensgrundsätze der Staatsoper Hannover verstoßen, Frau Hüster persönlich zutiefst beleidigt und damit das Publikum, die Mitarbeitenden des Hauses und die allgemeine Öffentlichkeit auf das Extremste verunsichert”, hieß es zur Begründung. Damit habe er der Staatsoper und dem Staatsballett Hannover massiv geschadet.

Ich finde das irgendwie putzig, dass die Staatsoper Hannover dazu noch klarstellen muss, dass das gegen alle ihre Verhaltensgrundsätze verstößt. (Zumindest derzeit.) Als ob da noch eine Regelkonformität zu diskutieren wäre. Mir wäre andererseits allerdings auch nicht bekannt, dass diskutiert wurde, womit die Dame sich derlei Wertschätzung eingehandelt habe. Beim Leistungsstand unserer Presse tut man sich dann auch wieder etwas schwer damit, die Schandtat ohne zuvorige Kenntnis ihrer Texte pauschal als völlig unvertretbar zu bewerten.

Das Staatsballett zeigt nun an der Deutschen Oper das Stück „Cacti“, in dem es um das gestörte Verhältnis zwischen Kunst und Kritik geht. Die Morgenpost: Staatsballett zeigt Tanzstück passend zur Hundekot-Attacke

Leider lässt der Artikel offen, wie das gemeint ist – ob das Stück einfach Scheiße und die Kritik berechtigt ist, oder ob es um eine choreographische Aufarbeitung und Darstellung der Hundekot-Attacke geht. Ob also der Autor damit eher den Standpunkt der Kritiker oder den der Kotwerfer damit vertreten sieht.

Aus meiner Sicht sind irgendwie beide am Ende angekommen, Zeitung und Kunst. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Werfen mit Scheiße eine klassische Kulturtechnik von Affen ist, die wir uns gerade mangels – inzwischen verlorenener – Befähigung zu humanistischem Kulturgut aneignen. Mir liegen noch keine Berichte vor, dass sich Schimpansen über cultural appropriation beklagt hätten, kann aber nicht mehr lange dauern. Man wird zweifellos Studiengänge eröffnen um sich neue Opferschichten zu erschließen.

Zu diskutieren wäre, ob die Gabe von Hundekot in Zeiten wie diesen noch als gesellschaftliches Tabu und unvertretbar zu gelten hat, oder ob die zunehmende Ignoranz, Ideologisierung, kommunikative Unfähigkeit und intellektuelle Insuffizienz der Presse in Verbindung mit ihrem Rückzug auf die Südpolthematik und den Armlängenhorizont neue Formen der Kritik erforderlich machen. Ich habe ja selbst die Meinung vertreten, dass „Shitstorms“ und „Hatespeech“ gegen die Presse von dieser selbst gefördert und verstärkt werden, weil sie das Einzige sind, was die in den Redaktionen vorherrschende Bevölkerungsschicht noch mit erwartbarer Wahrscheinlichkeit versteht und zur Kenntnis nimmt. Womöglich hat der das mit dem „Shitstorm“ nur entweder falsch verstanden oder – Tänzer eben – performatorisch interpretiert. Völlig über den Vorgang hinweggehen sollte man nicht, denn damit ist nun immerhin durch empirischen Beweis belegt, auf welchem Niveau eine Kritik an den Medien noch beim Adressaten ankommt und kommunikativ rezipiert, zumindest in den Grundzügen und der Tendenz verstanden wird. Man kann sich ausgehend davon nun langsam und behutsam nach oben arbeiten und beobachten, ab welchem Zivilisationsniveau die kommunikative Verstehensrate der Medien einbricht, um damit das Kommunikationsintervall genauer zu bestimmen, auf dem die Presse noch erreichbar ist, und das nach dem bisherigen Wissensstand nun Hundekot, Shitstorm und Hate Speech umfasst.

Was bin ich froh, dass ich weder Künstler noch Geisteswissenschaftler bin.