Ansichten eines Informatikers

Warum Istanbul einstürzen wird

Hadmut
10.2.2023 0:25

Weitere Leserhinweise.

(Verdammt. Ich hatte doch von dem Problem erzählt, dass ich zwar richtig denke, aber die Finger beim Tastaturschreiben so gerne die Silben durch andere, ähnlich klingende ersetzen, weil die Bewegungsabläufe auf der Tastatur nicht nach Buchstaben, sondern nach Klang im Hirn – oder wo auch immer – gespeichert sind. Jedesmal schreibe ich Instanbul mit zwei n, anscheinend, weil ich öfter Instagram als Istanbul geschrieben habe.)

Ich hatte doch gefragt, ob der Pfusch am Bau in der Türkei eher so eine Provinzerscheinung sei, oder ob das auch Hauptstädte wie Istanbul betreffe, weil da ja so richtig viele Leute wohnen und sowohl deren Flucht, als auch deren Ableben durch Einsturz ein epochales Ereignis, ähnlich wie Alderaan.

Die überwiegende Meinung war: Jein. Ja, es gäbe auch in Istanbul Pfusch am Bau. Aber er sei ein grundsätzlich anderer, eine spezifische Form, die allerdings zum selben Ergebnis führe, nämlich dass in Istanbul gelegentlich Gebäude schon ohne Erdbeben und äußeren Anlass von selbst einstürzen. Während in der Provinz der Pfusch aber von unten her kommt, von bröseligen Fundamenten, drohe das Problem in Istanbul eher von oben her: Die Aufstockung.

Während in der Provinz ganze Bauten schwarz und unter Missachtung der ohnehin unzureichenden Bauvorschriften gebaut würden, sei Istanbul schon so zugebaut, dass das so nicht mehr geht und man stattdessen auf bestehende, eigentlich stabile Bauten, noch illegal, schwarz, weitere Etagen obendrauf baut. Gerne gleich drei Etagen. Oder auch wiederholt. Drei. Und wenn’s keiner merkt und keiner moppert, nochmal drei. Natürlich, ohne den Unterbau zu verstärken. Und das halten die Häuser eben nicht. Jedenfalls nicht sehr lange.

Hallo Hadmut,

in deinem Artikel werden schon einige gute und Haarsträubende Probleme genannt.

Was mir aber noch fehlt ist das Thema Aufstockung.

Das ist in Istanbul vermutlich ein größeres Thema, als auf dem Land. Aber in Istanbul wurde wohl irgendwann der Platz knapp und es musste in die Höhe gebaut werden. Aber statt die Häuser abzureißen und ein komplett neues Hochhaus hin zu bauen, wurden wohl oft einfach Stockwerke oben drauf gebaut. Gerne auch iterativ: Erstmal 3 höher, dann nochmal 3
höher.

Dabei wurden das Grundgebäude und die Fundamente nicht angepasst.
Teilweise sind die unteren Stockwerke auch schon sehr alt.
Schon im Alltag ist es ein wunder, dass diese Häuser stehen bleiben. Tun sie aber auch nicht immer.
(siehe: https://www.sueddeutsche.de/panorama/14-tote-istanbul-haus-eingestuerzt-1.4322265 “Die obersten drei Stockwerke waren allerdings illegal aufgesetzt, wie man jetzt weiß. Aufbauten ohne Baugenehmigung sind in Istanbul nicht selten. Mindestens 14 Menschen sind bei dem Einsturz getötet werden.)

Wenn man sich jetzt vorstellt, dass hier ein größeres Erdbeben stattfindet und die ganzen illegalen Aufbauten in die Häuserschluchten stürzen, dann wird das furchtbar werden.
Das sehen auch Experten so:
https://www.tagesanzeiger.ch/hochrisikozone-istanbul-was-wenn-die-millionenmetropole-bebt-373092442388

Interessant ist auch, was das für Deutschland bedeuten würde:
1. eine gigantische Flüchtlingswelle von Millionen Türken (teils mit Verwandten in Deutschland, also ist ihr Ziel klar)
2. ein Milliardenschweres Wiederaufbau-Paket, das wir zahlen dürfen
3. Bindung unserer Rettungskräfte über Monate

Und alles, weil die selbst gar keine Lust haben sich um ihre Probleme zu kümmern. Wir werden also indirekt auch noch für die türkische Korruption bezahlen.

Wenn wir das von der Spieltheorie her betrachten:
Es gibt den Spruch “Dein Arzt wird nicht bezahlt, wenn du gesund bist”.
In diesem Fall gilt: Die Türkei bekommt keine Hilfsgelder, wenn beim Erdbeben keine Gebäude einstürzen.

Für die türkische Regierung macht es also mehr Sinn, erstmal die Korruptionsgelder einzustreichen und dann hinterher auch noch die Hilfsgelder, von denen auch 20% in irgendwelchen Taschen verschwinden. Wir würden auf Dauer vermutlich billiger fahren, wenn wir sie zwingen erdbebensicher zu bauen und dafür auch die Statiker kostenlos zur
Verfügung stellen. Dafür aber garantieren, dass im Falle des Falles KEINE Hilfe geleistet wird.
Damit würden wir am Ende sogar Menschenleben retten, weil die Häuser ja dann nicht mehr einstürzen.

Oh, das ist aber wirklich herzallerliebst. Im Artikel der Süddeutschen hat mir dieser Satz besonders gefallen:

Im Erdgeschoss war zudem ein Textilbetrieb. Die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak schrieb, bei der Erweiterung der Geschäftsräume seien offenbar tragende Wände entfernt worden.

Ja, gut, tragende Wände werden überbewertet. Und irgendwo musste das Baumaterial für die aufgesetzten 3 Etagen ja schließlich herkommen. Und wenn die eh im Weg rumstanden…

Aufbauten ohne Baugenehmigung sind in Istanbul nicht selten, drei Stockwerke aber schon ziemlich dreist. Immer wieder gibt es Amnestien für illegales Bauen. Politiker erhoffen sich dafür Stimmen bei Wahlen. Und das Geld, das für die Legalisierung fällig wird, fließt in die Staatskassen.

Und das mit dem Meersand hatte ja schon ein Leser erwähnt:

Türkische Medien zeigten auch Fotos des Betonschutts, mit Muschelschalen durchsetzt. Das deutet darauf hin, dass für den Bau Meeressand verwendet wurde, was verboten ist. Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung zu den Einsturzursachen eingeleitet.

[…]

Im Februar 2016 fiel im Zentrum aus unbekannten Gründen ein fünfstöckiges Haus in sich zusammen. […] Nach der Katastrophe in Kartal ließ Gouverneur Ali Yerlikaya sieben Häuser in der Nähe des eingestürzten räumen, vorsichtshalber, wie er sagte. Ein zehnstöckiges Gebäude gleich nebenan nannte er “in Gefahr”.

Toll.

Und im Tagesanzeiger:

In der türkischen Grossstadt wurden viele Gebäude illegal aufgestockt. Sie könnten zur Todesfalle werden. Forschende warnen vor einem grossen Beben etwa der Stärke 7,4.

[…]

Ein Erdbebenrucksack mit Wasserflasche, Energieriegel, Helm und Taschenlampe samt Batterien sollte in jedem Fall immer in Griffnähe stehen, am Bett am besten, so sagen es die Vorsorgehinweise. Bücherregale sollte man sichern, fest an der Wand verankern, damit man nicht darunter begraben wird.

[…]

Sieben Tage Staatstrauer hat Präsident Recep Tayyip Erdogan verhängt und die Nation zur «Einheit» aufgerufen. Das soll wohl auch verhindern, dass zu viele Fragen gestellt werden. Etwa die, warum in dem riesigen Katastrophengebiet ausgerechnet so viele staatliche Gebäude zusammengestürzt sind. Zumindest die sollten doch gut gebaut sein? Krankenhäuser, Polizeistationen, Schulen.

[…]

Es ist ein bekanntes Übel. Die Baubranche in der Türkei ist mächtig, da wird sehr viel Geld umgesetzt. Regierungsaufträge werden oft an Firmen vergeben, die sich freundlich gegenüber der Macht zeigen. Immer wieder aber wird bekannt, dass findige Bauherrn am wertvollen Sand für den Beton sparen oder mal eine Stütze weniger einbauen, eine andere herausnehmen, um noch einen Laden im Erdgeschoss unterzubringen. Das wird hochgefährlich, wenn die Erde bebt.

[…]

Internationale und türkische Experten erwarten einhellig für Istanbul schon seit Jahren ein grosses Beben etwa der Stärke 7,4. Aber wann das passiert, können sie nicht sagen.

[…]

Als vergleichsweise sicher gelten in Istanbul die höchsten Bauten, die neuesten Wolkenkratzer, und die tief im Boden versenkte moderne U-Bahn. Gleiches soll für die Tunnel unter dem Bosporus gelten.

Ja, schön.

Ein anderer Leser schreibt

Hallo Hadmut,

meine Schwester hat [anonymisiert] Jahre mit ihrer Familie in Istanbul gelebt und die Geschichten über wildes Bauen gehören auch in Istanbul zur städtischen Folklore.

Da wechselt dann ein Koffer Bares den Besitzer und schon ist die Baugenehmigung im Nachhinein da. Oder man hat eine Baugenehmigung, baut aber nicht danach, sondern mehr und höher und auch dort ist später alles plötzlich “in Ordnung”, nachdem Geld den Besitzer wechselt.

Das war in der Vergangenheit nur in Griechenland ähnlich wie auch die Waldbrände dort nichts mit dem Klimawandel sondern mit Brandstiftung zur Baulandgewinnung zu tun hatten.

Weil Istanbul Erdbebengebiet ist hat meine Schwester seinerzeit ein Riesenzelt angeschafft, das wir in Deutschland vorher zur Probe aufgebaut haben. Wird auch empfohlen eines zu haben.

Es ist schon im Bewusstsein mit dem Erdbebengebiet, aber die Befolgung von Regeln generell ist nicht so angesagt wie der Istanbuler Verkehr zeigt.
Gibt da die Anekdote, dass als die ersten Rote-Ampel-Blitzer aufgestellt wurden, sich die Leute darüber ausgetauscht haben wie schnell man denn fahren muss, dass die das Nummernschild nicht drauf haben.

Ja. Wunderbar.

Erstaunliche Ansichten, wo doch manche Migrationsprotagonisten gerne Tröten, dass das Nachkriegs-Deutschland ja eigentlich nur von den Türken aufgebaut worden sei.

Eigentlich dachte ich ja immer, das Warten auf das „Große Erdbeben“ finde an der Westküste der USA statt. Kalifornien, die San-Andreas-Verwerfung. Es gibt auch Leute, die meinen, es sei spannender, wann der Yellowstone hoch gehe. Es gibt ja Leute, die meinen, dass im Bundestaat Washington so viel Atommüll in maroden unterirdischen Tanks von der Größe von Hochhäusern lange und nicht mehr zu kontrollieren ist, nicht mal Roboter das noch unter Kontrolle kriegen, dass bei einem Beben oder ähnlichem die Brühe in das Grundwasser laufen und die ganze westliche Hälfte der USA unbewohnbar werde. Vielleicht schießen die Russen oder Chinesen da auch mal mit ein paar Atombomben rein, damit da was geht.

Dagegen ist Istanbul viel bescheidener, aber einfach näher. Da fällt dann einfach alles zusammen, und dann kommen vielleicht nochmal 5 oder 8 oder 10 Millionen nach Deutschland, was Erdogan auch vielleicht gar nicht so ungelegen kommt, der will hier ja mehr Einfluss haben.

Das wird sicher lustig.