Ansichten eines Informatikers

Die prototypisch überforderte Journalistin

Hadmut
4.2.2023 14:56

Ein Leser schreibt mir, dass es da eine Journalistin gibt, die sich beschwert, dass man in Jobausschreibungen von ihr erwartet, zu arbeiten und unverschämterweise von ihr verlangt, als Journalistin genau das zu tun, was sie eben auf der Journalistenschule gelernt hat, oder haben sollte.

eine Abgängerin der Journalistenschule beklagt sich in ihren Buch (angebl. SPIEGEL Bestseller) dass in Stellenauschreibungen genau das zu arbeiten gefordert wird, was man gelernt hat.

„Ich erinnere mich noch daran, wie uns in der Journalistenschule eingebläut wurde: Ihr müsst alles können, schreiben, Audio aufnehmen und schneiden, Video selbst drehen, Videos schneiden.“

Und dann die Empörung:

„All diese Anforderungen, von denen mir in der Journalistenschule erzählt wurde, habe ich letztens in einer Stellenausschreibung eines großen Medienhauses gesehen. Außerdem war dort gefragt: eine Menge Erfahrung. Die Stelle war eine Präsenzstelle, befristet auf ein Jahr. Diese Ausschreibung ist kein Einzelfall.“

Schrecklich.

Da geht man auf die Journalistenschule, kommt dann wieder raus, und dann verlangen die in den Stellenausschreibungen, dass man gerade das tut, wovon die in der Schule gesagt haben, dass man das alles können muss.

Und das als Frau.

Um wen geht es?

Vorabdruck des Buches im Standard: Sara Weber rechnet mit dem prekären Zustand unserer Arbeitswelt ab

“Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?” Diese nicht unberechtigte Frage stellt sich die deutsche Journalistin Sara Weber. Ein Vorabdruck

Ja, da stelle ich mir als Boomer doch die Frage, warum man uns da vorwirft, dass wir nach 30, 40 Jahren Arbeit mit 40-Stunden-Wochen so langsam mal ein paar Gänge zurückschalten wollen, wenn sich solche Leute schon darüber beschweren, dass sie mit dem Arbeiten überhaupt noch anfangen sollen.

Wenn ich über Müdigkeit schreibe, meine ich nicht die Art von müde, die man mit einer extra Nacht Schlaf wieder ausgleichen kann. Sondern ich meine die Art von müde, die in den Knochen sitzt und dafür sorgt, dass abends nichts mehr geht außer Tiefkühlpizza und Netfix. Ich war so müde, dass ich sogar einen richtig guten Job gekündigt habe. Weil ich nicht mehr konnte. Weil ich ausgebrannt war. Von der Arbeit. Vom Streben nach immer mehr Produktivität. Von meiner “Karriere”.

Ja. Das mag befremdlich klingen, und der Jugend fremd und unheimlich vorkommen. Aber so war das eigentlich schon immer, dass man nach dem Arbeiten müde ist, sonst würde man es ja Rumsitzen nennen. Für alles andere gab es in den letzten 300 Jahren sowas wie das Wochenende. Oder anders gesagt: In allen Kulturen, die es über Höhlen und Kuhdunghütten hinaus geschafft haben, gehörte das mit dazu, dass man arbeitet und dann abends davon müde ist.

Wobei man anmerken muss, dass man sich zu einem gewissen Grad auch daran gewöhnen kann, wenn man es mal eine Zeit lang macht.

Von der Welt um uns herum. Und ganz besonders von all den Krisen. Unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an?

Weil es nicht funktioniert, nur essen zu wollen ohne dafür zu arbeiten. Sie sagt ja, dass ihr Tiefkühlpizza und Netflix schon zu wenig sind. Woher aber soll das kommen, wenn keiner dafür arbeitet. Denkt die, Netflix kommt aus der (DSL-)Steckdose? Was glaubt die eigentlich, wo Netflix seine Produktionen herbekommt? Dass die auf Bäumen wachsen? Wie blöd würde die Frau gucken, wenn die wüsste, wieviel die bei Netflix arbeiten und wie müde die da abends sind.

Eigentlich dachte ich, dass ich richtig gut bin im Arbeiten. Ich komme aus einer Familie, in der alle immer viel gearbeitet haben: an der Kasse, im Autohaus, bei McDonald’s. Ich habe früher mein Geld mit Babysitten verdient, bin in den Semesterferien an der Kasse gestanden, habe ein Praktikum nach dem anderen gemacht, nebenbei in einer Marketingfirma gejobbt. Ich wusste, dass ich nicht erben würde und dass meine Eltern mich finanziell nur wenig unterstützen konnten. Wenn ich beruflich vorankommen wollte, dann musste ich besser sein und mehr arbeiten als andere. Irgendwann landete ich auf dieser “Karriereleiter”, wurde Wirtschaftsredakteurin, später Redaktionsleiterin. Auf dem Papier sah alles perfekt aus. Aber innen drin hat es sich oft ganz anders angefühlt.

Das ist die Sache mit der Kopfarbeit. Das befriedigt nicht jeden.

Ich dachte damals, dass es an mir liegt: dass ich das mit dem Meditieren endlich mal hinkriegen sollte. Oder diese Tricks von erfolgreichen CEOs ausprobieren: Um 4.30 Uhr aufstehen, ein Glas warmes Wasser trinken, joggen gehen, und dann von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends am Laptop sitzen. Vielleicht müsste ich auch einfach nur häufiger im Wald spazieren gehen.

Wie wäre es denn mit der alternativen Erkenntnis, dass sie den Job nur per Frauen- und Minderheitenförderung bekommen hat und da eigentlich nur beschreibt, dass sie damit überfordert ist und den falschen Job hat? Dass es eben nicht so ist, dass man nur sozial irgendwo reinkonstruiert werden muss, um jeden Job zu können?

Heute weiß ich, dass das alles Bullshit ist. Nicht wir funktionieren nicht gut genug, sondern unsere Arbeitswelt ist kaputt. Das macht uns krank: Wir sind müde, ausgebrannt, gestresst. Und wir beginnen, die Realität zu erkennen: Self Care und Hustle-Kultur bringen uns nicht weiter.

Falsch.

Frauenförderung, Schwarzenförderung, Political Correctness haben Leute in Jobs gehievt, denen sie nicht gewachsen sind, weil das linke Credo war, dass es auf Befähigung nicht ankommt. „Quality is a myth“, wie man bei den Genderidioten sagt. Und das ist das Ergebnis. Quotentussis, die überfordert sind.

Der Punkt ist nämlich: Es sind nicht alle davon überfordert. Es gibt auch Leute, die damit prima klarkommen. Und genau dieses Leistungsprinzip, diese Meritokratie, hat man politisch abgeschafft, weil man sie verachtete und der Meinung war, dass jeder alles kann, und das alles nur eine Sache des Diskurses ist. Und die Realität kommt gerade mit dem Faktencheck daher.

Burnout wird immer noch oft als Ehrenorden gesehen, den man verliehen bekommt, wenn man hart genug gearbeitet hat. Du bist ausgebrannt? Dann hast du alles richtig gemacht, herzlichen Glückwunsch.

Nein. Die Pastillen Fisherman’s Friends kamen mal mit einem Werbeslogan daher: Sind sie zu stark, bist Du zu schwach. Das ist der Punkt. Früher hat man die Posten mit den Leuten besetzt, die damit klarkamen. Undd die, die es nicht konnten, haben dann halt eben – wie sie das oben selbst beschrieb – an der Kasse, im Autohaus, bei McDonald’s gearbeitet.

Dem wohnten ein gewisser Sinn und Zweck, eine wundersame Stringenz inne.

Das ist eine der Sachen, die wir uns aus den USA abgeschaut haben, dem Land, aus dem mein Vater kommt und das meine zweite Heimat ist. Dieses Abschauen gilt auch für viele andere Aspekte von Arbeit: Wenn in den schicken Silicon-Valley-Büros mit ihren Tischkickern alle nur von Produktivität reden und so Milliarden machen, dann kann das ja nicht so falsch sein.

Mal abgesehen davon, dass die im Silicon Valley wirklich Milliarden gemacht haben und sehr produktiv waren: Die feuern dort gerade alle, die zuviel am Tischkicker stehen und nicht produktiv genug sind.

Was wir dabei ignoriert haben, ist das kaputte System der USA, das ohne bezahlte Elternzeit auskommt, wo Krankenversicherung teuer und an den Job gekoppelt ist und es kaum Rechte für Arbeitnehmer*innen gibt.

Mal eine grundsätzliche Frage:

Sollte die Produktivität eines Arbeiters/Angestellten den Wert seines Einkommens übersteigen oder nicht?

Wenn nämlich nein: Woher sollte dann die Differenz kommen?

Wir lügen uns in die Tasche, indem wir behaupten, dass wir faul sind, wenn wir nicht jede Sekunde des Tages produktiv verbringen.

Nein.

Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir glauben, dass wir mehr bekommen und konsumieren können, als wir erarbeiten.

Diese Workaholic-Kultur und die damit einhergehende Überarbeitung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen ausbrennen. Arbeit verdichtet sich: Tätigkeiten, für die es früher einzelne Jobs gab, werden heute oft in eine Stelle gepresst. Die Arbeitslast steigt. Alle wollen die eierlegende Wollmilchsau. Ich erinnere mich noch daran, wie uns in der Journalistenschule eingebläut wurde: Ihr müsst alles können, schreiben, Audio aufnehmen und schneiden, Video selbst drehen, Videos schneiden. Social Media auch, eh klar, ihr seid ja jung. Aber dass nicht alle Praktikant*innen automatisch auch Tiktok-Superstars sind, nur weil ein bestimmter Jahrgang bei ihnen im Ausweis steht, interessiert in der Personalabteilung niemanden. All diese Anforderungen, von denen mir in der Journalistenschule erzählt wurde, habe ich letztens in einer Stellenausschreibung eines großen Medienhauses gesehen. Außerdem war dort gefragt: eine Menge Erfahrung. Die Stelle war eine Präsenzstelle, befristet auf ein Jahr. Diese Ausschreibung ist kein Einzelfall.

Gottogott. Sie suchen Journalisten, die genau das machen, was sie auf der Schule lernen mussten, und wovon die auf der Schule sagten, dass man das können muss.

Was heißt das auf deutsch?

Die Frau hat den falschen Job. Sie ist ihrem Job nicht gewachsen.

Gerade im Journalismus gibt es auch Jobs, in denen man seine Arbeitszeit selbst regeln kann. Und mal mehr, oder mal weniger schreiben kann. Warum sucht sie sich nicht so einen.

Wie sollte die Stellenanzeige denn aussehen? Wir suchen jemanden, der nichts kann und nichts muss, der kommen und gehen kann, wann er will. Wir zahlen super, alle Nebenleistungen, natürlich unbefristet und mit Rentenversorgung?

Bei Computern sprach man lange von Moore’s Law: Durch die stetige Entwicklungsarbeit in der Elektronikindustrie verdoppelt sich die Anzahl von Transistoren in einem dichten integrierten Schaltkreis alle zwei Jahre. Oder anders gesagt: Ein Laptop, den ich heute kaufe, ist doppelt so schnell wie einer, den ich vor zwei Jahren bekommen hätte – und kostet nur noch die Hälfte. Das galt zumindest die letzten Jahre noch. Ein Freund schrieb mir kürzlich, dass er genau daran im Kontext seiner Arbeit denken musste: “Wann zur Hölle bin ich ein Computer geworden?”, fragte er. Seit wann gilt die Logik von Moore’s Law nicht mehr nur für unsere Laptops, sondern auch für die Menschen, die mit ihnen arbeiten? Unsere Arbeitsproduktivität steigt immer weiter an, selbst in den ersten beiden Corona-Jahren. Aber wie lange soll das noch so weitergehen?

Die Produktivität von Journalisten steigt an?

Das wäre mir neu.

Meiner Beobachtung nach werden sie eigentlich immer blöder und oberflächlicher. Und fauler. Das kommt denen nur so vor, dass die Produktivität steigt. Es steigt nur die Überforderung.

Es wird höchste Zeit, dass da mal ein paar Verlage pleite gehen.

Wir haben nämlich viel zu viele Journalisten. In einem Punkt nämlich ist die Produktivität stark gestiegen: In der Reichweite. Früher brauchte man viele von ihnen, weil die Medien physisch in ihrer Verteilung auf Papier oder in ihrer Reichweite als Rundfunk beschränkt waren, weil man Material mit dem Auto transportieren musste. Heute ist das alles elektronisch, und wir brauchen nicht mehr hunderte Regionalblätter, die alles nochmal erzählen. Wir brauchen viel weniger Journalisten als früher.

Wird höchste Zeit, dass sie mal einen Haufen davon auf die Straße setzen. McDonald’s, die Autohäuser und die Supermarktkassen suchen händeringend Personal.

Und dann ist sie auch abends nicht mehr so müde, wenn sie die Kopfarbeit so anstrengt.