Ansichten eines Informatikers

Die Welten zwischen dem Informatik- und dem Jurastudium

Hadmut
28.12.2022 13:46

Ein Leser, der beides studiert hat, schreibt mir.

Und das ist natürlich sehr interessant, wenn der beides kennt und vergleichen kann.

Die Erklärung dazu lasse ich zur Anonymisierung mal weg, nur soviel, dass er sich nach seinem Informatikstudium auch noch ein Jurastudium „angetan“ habe.

“Angetan”, weil es im Jurastudium große systemische Widersprüche gibt, die den allermeisten aber gar nie klar werden.

Einerseits bekommt man beigebracht, dass die deutsche Rechtstradition von der Auslegung von Gesetzen und nicht von “case law”, also Präzedenzfällen, geleitet ist. So wird es an der Universität vermittelt. Der für das Bestehen wichtigere staatliche Teil des Staatsexamens – es gibt einen universitären und einen staatlichen Teil im 1. Staatsexamen – wird dann plötzlich von Praktikern (Richter, Staatsanwälte, geprüft, die sich dann faktisch fast ausschließlich von den Präzedenzfällen der Obergerichte leiten lassen und häufig eine abweichende akademische Sicht gar nicht verstehen. Bereitet man sich darauf nicht abseits der Uni durch ein fähiges Repetitorium vor, das faktisch das case law einprügelt, ist die Wahrscheinlichkeit, durch zu fallen, hoch. Lediglich eine Minderheit der Prüfer sind Professoren und zugänglich für intelligente Argumentationen jenseits des Case Law. Ob man an die gerät, ist weitgehend zufällig, denn das staatliche Staatsexamen anonym von zufällig ausgewählten Prüfern zentral korrigiert. Man kennt also seine Prüfer nicht, nur wer die schriftlichen Klausuren besteht, bekommt dann welche in der mündlichen Abschlussprüfung zu Gesicht.

Im 2. Staatsexamen ist es noch extremer. Da wird man zwar von Praktikern in Arbeitsgemeinschaften unterrichtet, wie sie prinzipiell auch später die Klausuren korrigieren. Aber die Klausuren sind ja künstliche Gebilde, die sich mittelmäßig intelligente Menschen im Hinterzimmer der staatlichen Prüfungsämter ausdenken. Um zu bestehen, muss man dieses mittelmäßige Denken irgendwie simulieren und auch die absichtsvoll geschaffene mengenmäßige Überlastung bewältigen, die Entscheidungen wie am Fließband produzieren soll. Wer sich um Gerechtigkeit sorgt, ist fehl am Platz. Gefragt sind menschliche Subsumtionsmaschinen.

Fazit: Juristische Staatsexamina sind faktisch von einem hohen Grad von Willkür, Zufall und inneren Widersprüchen geprägt. Es fällt aber sicher durch, wer zu dumm ist, besteht am besten, wer mittelmäßig intelligent ist und gut auswendig lernen kann. Probleme haben auch Menschen, die zu schlau sind, weil sie so argumentieren müssen, als seien sie nur mittelmäßig intelligent.

Man kann es natürlich positiv auch andersherum sehen: Bis zum gewissen Grad ist der verordnet mittelmäßige Diskurs nötig, weil sich das Recht an jedermann richtet. Deshalb wird bis zum Erbrechen jedes Detail argumentativ ausgebreitet, in der Mathematik würde man damit vom Hof gejagt.

Den Eindruck hatte ich schon oft, dass da Schablone wichtiger ist als Hirn.

Mir fällt da eine Sache ein, die auch schon so vielleicht 25 Jahre her ist. Ich hatte mal die Bezahlung einer meines Erachtens völlig unzulässigen und rechtswidrigen Rechnung verweigert, es ging so um, weiß nicht mehr, vielleicht 1000 DM. Ich hatte mir das rausgesucht, Literatur gelesen und so weiter, argumentiert, zitiert, belegt. Und mich dann mit dem Richter, Direktor des Amtsgerichts, in die Wolle bekommen, weil der ziemlich deutlich raushängen ließ, dass die Gegenseite schon deshalb Recht haben müsse, weil die anwaltlich vertreten waren und ich nicht, und Juristen gegen Nichtjuristen immer Recht haben, das sei dann auch immer so. Deshalb sei das auch eigentlich unbeachtlich, was ich vortrage. Ich sagte, das sei eben nicht so, denn er sei ja auch Jurist, kenne aber nicht mal das anzuwendende Recht und was er sage, sei materiell fehlerhaft, während ich hier Gesetze, Literatur, Urteile zitieren und meine Ansicht belegen könne, auch wenn ich kein Jurist sei. (Außerdem war zu erkennen, dass der und die Gegenseite sich gut kannten und häufig miteinander zu tun hatten, und der ein gutes Verhältnis mit denen haben wollte.)

Wisst Ihr, was der mir damals dazu sagte?

Er arbeite für die Prüfungsbehörde und habe diesen Fall gerade im Staatsexamen als Prüfungsaufgabe gebracht. (Ist mir schon zwei- oder dreimal passiert, dass meine Rechtsfälle und Standpunkte zu Staatsexamensaufgaben wurden, und man dann Juristen dann nicht bestehen, wenn sie zur selben Meinung kommen wie ich.) Und er lege damit einfach fest, dass seine Auffassung die Richtige sei, denn wenn das so abgeprüft und sein Auffassung als richtig und meine als falsch bewertet werde, dann sei das dann eben einfach so. Der hat nicht Recht gefunden oder erkannt, der hat es einfach gemacht.

Ich würde aber auch die Professoren nicht zu hoch hängen. Als ich noch Webseiten zum Prüfungsrecht gemacht habe, fragten mich sogar Jura-Studenten um Rat und Hilfe, weil ihr Professor ihnen Akteneinsicht in die Prüfungsbewertungen nur dann gewähren wollte, wenn sie nur ein oder zwei Punkte vom Bestehen entfernt seien, es also darauf ankommt, das zu prüfen. Für anderes habe er keine Zeit. Das ist natürlich völlig verfassungswidrig (es gibt kein allgemeines Prüfungsrecht, weil politisch unerwünscht, das ist daher alles aus Verfassungsrecht abgeleitet). Nicht bereit einzusehen, dass ein Prüfling bei jeder Bewertung einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht hat. Ich fragte, um welches Rechtsgebiet es geht. Staatsrecht. Also auch Verfassungsrecht. Dieser Professor war also in seinem eigenen Rechtsgebiet nicht in der Lage, Verfassungsrecht einzusehen und ausdrückliche Entscheidungen des BVerfG als auch für sich gültig zu akzeptieren. Aber lehrte und prüfte das Thema.

Auf irgendeiner Konferenz in Bayern, war wohl Bayreuth, irgendwas zum Wissenschaftsbetrug, habe ich mich auch mal mit einem in die Wolle bekommen. Ich hatte mich ja vorher jahrelang mit Prüfungsrecht beschäftigt, und irgendwie kam es da auch zu einem Vortrag eines Juraprofessors, ich glaube, es ging damals um die Sache des Promotionsbetrugs von Karl-Theodor zu Guttenberg. Im Publikum auch viele Juristen. Und der erzählte da etwas zum Prüfungsrecht und Wesen einer Prüfung, ich weiß nicht mehr was (habe damals aber meiner Erinnerung nach einen Blog-Artikel darüber geschrieben, könnte es also noch detailliert irgendwo haben), was einfach grottenfalsch war. Also so richtig daneben. So richtig Murks. Als dann die Fragerunde für das Publikum eröffnet wurde, sprach ich ihn drauf an. Sowas geht gar nicht, einem Jura-Professor vor Publikum zu sagen, dass er was Falsches gesagt hat. Obwohl ich – auswendig – das Bundesverfassungsgericht zitieren konnte, wo es anders steht, und es auch unzählige Urteile dazu gibt. Der hatte nur einfach gar nichts nachgelesen und seine willkürliche persönliche Meinung als geltendes Recht hingestellt. Da war die Hölle los. Da wurde erst einmal gefragt, wer und was ich bin. Ergebnis: Ich bin ein Niemand und ich bin Informatiker, kein Jurist. Standpunkt, unterstützt von kritischen Anwürfen aus dem Publikum, dass ich das als Nichtjurist ja gar nicht wissen könne. Und noch weniger stünde es mir an und zu, Widerrede gegen einen Professor zu erheben.

Das habe ich gerade im Zusammenhang mit Prüfern und Dozenten in Rechtswissenschaften erlebt, dass die ihr eigenes Thema nicht beherrschen, und in reiner Ober-sticht-Unter-Arroganz einfach festlegen, dass der Jurist immer recht und der Nichtjurist immer Unrecht hat.

Noch kein Jurist konnte mir aber die Frage beantworten, warum in jedem Gerichtsverfahren eine Seite verliert, die Misserfolgsquote also bei mindestens 50% liegt, wenn Juristen doch immer so recht haben.

Ich hatte den Jura-Studenten damals gesagt, dass man in sowas durchaus gegen den Professor klagen kann und in so rein formalen Dingen wie Akteneinsicht auch gute Chancen habe, weil schon mit der Klageerhebung die Akten nach § 99 VwGO dem Gericht vorzulegen und nach § 100 VwGO bei Gericht eingesehen werden können, es also auf die Entscheidung des Gerichts gar nicht ankomme und der Prof das auch nicht verhindern könne, weil man sein Ziel schon mit der Anhängigkeit der Klage erreicht (genau so hatte ich ja damals die Akteneinsicht in meine von der Uni geheim gehaltenen Promotionsgutachten durchgesetzt, weil die Prüfungsbehörde die Prüfung komplett wiederholen muss, wenn sie die Prüfungsunterlagen dem Gericht nicht vorlegen kann). Und dann kann man sich überlegen, ob man die Klage kostengünstig zurücknimmt/für erledigt erklärt, oder zur Klage gegen die Bewertung aufpumpt. Nein, nein, das würden sie niemals wagen, als Jurastudenten gegen ihren Juraprof zu klagen und auch noch zu gewinnen, ihn auch noch so alt aussehen zu lassen. Dann wären sie auch total unten durch und würden von allen abgesägt. Gottogott, wenn sie sich nicht trauten, gegen ihren Prof vorzugehen, dann wüsste ich ja auch nicht, wobei ich ihnen helfen könnte, die Telefonseelsorge sei ich nämlich nicht und das duldsame Ertragen ihres Professors falle nicht in mein Fachgebiet. Da bräuchten sie einen Pfarrer und nicht mich.