Ansichten eines Informatikers

Das Kompetenzparadoxon und das Problem der laienunzugänglichen Gesetze

Hadmut
20.12.2022 22:24

Ein Leser spricht ein wichtiges Problem an.

Leserzuschrift:

Hallo Herr Danisch,

vielen Dank für Ihren umfassenden Kommentar zu den Klimaklebern und den Schadenersatzansprüchen.

Zum Update ganz am Schluß und dem Einwurf des Rechtsanwaltes:
Sie beschäftigen sich offensichtlich extrem genau mit den Gesetzestexten, haben Ahnung von dem, was Sie schreiben und sind – meine Einschätzung – hochintelligent.
Wenn der Herr Rechtsanwalt damit recht hat, dass Sie es trotz alledem nicht schaffen, Gesetze korrekt anzuwenden und zu interpretieren, und Sie sich – seiner Meinung nach – sogar blamieren, tja, dann kann etwas mit der Gesetzgebung nicht stimmen.

Denn wenn die Gesetzeslage mittlerweile sogar für hochintelligente Menschen derartig verkompliziert und unverstehbar ist, dann sind wir – wie Sie wahrscheinlich auch meinen – in einer Juristokratie gelandet, in der hochspezialisierte Kenner der Materie sich ihre eigene Lebensgrundlage damit schaffen, die Dinge für den Laien so unverstehbar zu machen, dass ihre Zunft wiederum unbedingt benötigt wird.

Bei uns in der organischen Chemie gibt es die Markovnikow-Regel (grob ausgedrückt: wo Vögel sind, fliegen Vögel hin).
Angewendet auf die Juristerei: je mehr Gesetze es gibt, um so mehr Juristen braucht es, umso mehr Gesetze gibt es…usw.

So oder so, der Herr Rechtsanwalt hat ein Problem.
Entweder liegt er mit seinem Kommentar zu Ihrer Gesetzesinterpretation falsch oder er muß zugeben, dass seine Zunft die Bevölkerung lähmt.

Beste Grüße

Oh, ich danke für das Lob.

(Soviel Honig bekommt man auch nicht alle Tage ums Maul geschmiert, ist aber gut, muss auch mal sein.)

Der Leser spricht aber einen ganz wischtigen Punkt an:

Mag ich aus Sicht der Juristen noch so unwissend, dumm, selbstblamierend, unfähig sein: Ich beschäftige mich immerhin seit weit über 20 Jahren intensiv mit vielen Gebieten des Rechts und habe tausende Gerichtsurteile gelesen, hatte lange Jahre Regalböden voller Rechtsliteratur und die NJW abonniert (und gelesen), war Stammkunde bei der Badischen Landesbibliothek und der Bibliothek des BGH, war jahrelang im Datenschutz und in der Compliance tätig, und drei Jahre in einer Rechtsabteilung in einem großen Rudel Juristen.

Wenn ich mich selbst mit diesem Hintergrund noch so entsetzlich blamiere, wie der Anwalt schrieb, schon wenn es um eine ziemliche einfache Angelegenheit wie das Lesen zweier kurzer BGH-Urteile und den § 823 BGB geht – wie soll dann der Durchschnittsbürger die Gesetze noch verstehen, befolgen, einhalten können?

Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht:

Wie kann es sein, dass man einerseits unterstellt, dass nur Volljuristen die Gesetze noch verstehen, interpretieren, auslegen können, trotzdem aber von jedem jederzeit verlangt, die Gesetze zu kennen und zu beachten?

Wenn man mir vorhält, dass ich auch nach 20, 30 Jahren, in denen ich mich mit Recht befasse, nicht in der Lage wäre, Norm und Urteile so zu lesen und verstehen, dass ich auch nur eine tageslichttaugliche Meinungsäußerung dazu abgeben kann, und das einem überlassen müsste, der das vielleicht nur 7 Jahre gemacht hat, wie kann man dann von mir – oder anderen – erwarten, dass ich die Gesetze einhalte?

Im Bereich Datenschutz ist es so, dass mittlerweile auch die studierten Volljuristen nicht mehr wissen, was das alles so bedeuten soll und wie man rechtskonform handeln könnte.

Das Kompetenzparadoxon

Wisst Ihr, was ich noch seltsamer finde?

Einerseits sagen die Juristen, dass nur ein Volljurist die Gesetze überhaupt lesen, verstehen, sich dazu äußern kann.

Gleichzeitig findet man es aber völlig in Ordnung und nicht zu beanstanden, dass an die, die die Gesetze machen, die sie schreiben, die der Legislative angehören, die Abgeordneten im Bundes- und in den Landtagen gar keine Anforderungen gestellt werden und man dafür einfach gar nichts können muss.

Da sitzen reihenweise Leute, die nicht mehr vorzuweisen haben, als vielleicht ein Abitur, oder ein abgebrochenes Studium, oder sogar solche, die man aus dem Jura-Studium rausgeprüft hat, die also erwiesen zu doof für Jura sind, findet dass dann aber völlig normal, dass solche Leute die Gesetze machen, schreiben, erstellen, die ich dann nicht einmal zu lesen in der Lage sein soll.

Und wehe man sagt was deswegen, dann hat man sofort die Juristen und die Staatsanwaltschaft am Hals, weil man das ja nicht sagen darf, dass die im Bundestag dumm sind.

Und erstaunlicherweise kann man in Deutschland sogar Verfassungsrichterin werden, ohne dass auch nur irgendwer nachprüft, ob man überhaupt ein Staatsexamen hat, und man sonst noch nichts mit Recht gemacht haben muss.

Und natürlich ist auch jeder Jurist von Natur aus berufen, in jedem Fall zu entscheiden, auch wenn er davon so gar keine Ahnung hat.

Aber wenn ein Bürger sich mal zu Schadensersatz äußert – wovon er ja ständig betroffen sein kann, als Anspruch oder Pflicht – dann soll er die Klappe halten, weil er sich so blamiert.

Ist das nicht alles äußerst selbtsam?