Ansichten eines Informatikers

Das Call-Center und die Sex-Hotline

Hadmut
19.12.2022 15:04

Bei der Gelegenheit noch ein derber Schwank aus meinem Berufsleben.

Ich war mal in einem Unternehmen – welches, das tut hier nichts zur Sache – das ganz viele Kunden und natürlich Kundenhotlines und sowas hatte.

Zwar hatte ich mit der Kundenhotline nicht direkt zu tun, die hatten da, wie üblich den first level, den second level und den third level support, durch den man sich als Anrufer eskalieren konnte und musste. Und wenn die dann der Meinung waren, dass sie das Problem nicht lösen können (oder einfach nicht verstehen), dann ging es an den „fourth level support“, also die jeweilige Fachabteilung.

Und als IT-Security-Heini und im Vergleich zum jungen Gemüse bekannte Internet-Gottheit überragenden Verstandenhabens, der schon die schrägsten Fälle verstanden, geknackt und behoben hatte, was für andere mitunter nach schwarzer Magie aussah, bekam ich dann so alle paar Wochen mal einen Fall auf den Tisch, wenn es entweder um Security ging oder was mit Internet, was sonst keiner verstand.

Eines Tages drückte also der 3rd-level-support den Security-Alarmknopf in Sachen Hack und Datenschutz, womit die Sache bei den Juristen und bei mir zur sofortigen Bearbeitung aufschlug.

Was war passiert?

In relativ kurzer Zeit, so ein, zwei Tage, waren eine deftig zweistellige Zahl von Kundenbeschwerden reingekommen. Verschiedene Kunden, über ganz Deutschland verteilt, kein zusammenhängendes Muster (wie etwa gleicher Straßenzug) erkennbar, aber alle erhoben sie die gleiche Beschwerde, und alle waren sie sehr aufgebracht und höllenstinksauer, einige wenige auch amüsiert:

Ein auffällig ungehobeltes Frauenzimmer von ordinärstem Tonfall und Zuschnitt und zu missbilligender Ausdrucksweise habe sie angerufen und versucht, ihnen auf nur bedingt stubenreine Weise den Kauf eines Produktes eben unserer Firma anzutragen. Die Frau sei unmöglich aufgetreten, und man habe das Telefonat abgebrochen und die angezeigte Nummer ergoogelt, es handele sich um eine Telefonsexnummer. Die Frage sei, wie eine Telefonsexnummer dazu käme, unsere Produkte als seriöse Firma zu vertreiben und derart ordinär zu bewerben, und wie eine Telefonsexnummer überhaupt an Kundendaten, Namen und so weiter käme. Datenschutz.

Roter Alarm. Alle auf Gefechtsstation.

Sichtete man die Beschwerden, die da eingegangen waren (modulo des Umstandes, dass natürlich auch die im Call-Center, die sie entgegennahmen, individiuell formulieren und mehr oder weniger aufgeregt sind), dann erschienen die alle nach dem gleichen Muster, alles gleichartige Vorfälle, aber man konnte auf den Gedanken kommen, dass es zwei oder drei verschiedene Anruferinnen gleichen Typs gibt.

Für uns stellten sich also solche Fragen wie

  • Woher haben die die Kundendaten?
  • Warum nur Frauen und warum so ungehobelt?
  • Und vor allem: Wenn da was Übles im Gange ist, warum versuchen die dann, zu unseren Gunsten Geräte zu verkaufen und nicht selbst irgendwas zu verhökern?

Wir hatten natürlich zuerst einen Betrug im Verdacht, dass da jemand in unserem Namen einen Schwindel versucht, das bewahrheitete sich aber nicht. Jemand versuchte, unsere Geräte zu verkaufen, zu unserem Vorteil (aber in der Kundenwirkung natürlich zu unserem schweren Nachteil). Es ging also erst einmal darum zu verstehen, was überhaupt die Natur des Angriffs war, worin das Geschäftsmodell des Angreifers bestand. Was da überhaupt ablief.

Recherche und Detektivsinn ergaben dann:

Die Firma hatte normale Verträge mit mehreren Call-Center-Dienstleistern. Darunter auch Auftrage für passive und aktive Dienste. Also solche, bei denen das Call-Center nur wartet, bis Kunden anrufen, und solche, bei denen man Kunden aktiv anruft (Wir möchten Sie gerne über neue Angebote und Tarife informieren und sowas). Und für beides hatten die Call-Center ganz legal und korrekt nach Auftragsdatenverbeitung Zugriff auf die Kundendatenbank, um sowohl Anrufe entgegennehmen zu können, als auch aktive Anrufe zu tätigen. Datenschutzrechtlich geprüft und einwandfrei, alles in Ordnung.

Nun ging es einem dieser Anbieter aber gerade finanziell nicht sehr gut, und er hatte nicht genug Mitarbeiter in seinem Call-Center für die seriösen Dinge, die waren überlastet.

Derselbe Anbieter betrieb aber auch Telefonsexhotlines. Und es war wirklich dieselbe Firma im Rechtssinne, auch datenschutzrechtlich also nur eine Rechtsperson, nur eine verantwortliche Stelle. Denen ging es nun auch nicht gut, weil das Geschäft Telefonsex aus der Mode kam, aber umgekehrt, die hatten zuviel Personal. Die Damen saßen rum, hatten nichts zu tun und waren stinksauer, weil die anscheinend nach Telefonminuten anteilig und nicht fürs Rumsitzen bezahlt wurden, also nichts bekamen, wenn keiner anrief.

Also dachte sich der Unternehmer in seiner Not, dass man aus beiden Nöten doch eine Tugend machen könnte: Im Call-Center hat er mehr zu tun als Mitarbeiter, und im Telefonsex umgekehrt, mehr Mitarbeiter als zu tun, also könnte man doch die Telefonsexdamen dazu einspannen, immer dann, wenn sie nichts zu tun haben, Aktivanrufe zu tätigen. Freilich, ohne sie zu schulen und zu prüfen, ob sie dafür geeignet sind.

Und so kam das eben, dass die Telefonsexdamen zwischen ihren Domina-Telefonaten Kunden anriefen und zum Kauf von Geräten bewegen wollten, ihren Tonfall aber nicht umschalteten, weil sie es auch nie anders gelernt hatten.

Ein Sicherheitsvorfall war es also nicht, ein schwerer Datenschutzvorfall im engeren Sinne auch nicht, weil es ja dieselbe Firma war, auch wenn die Netzwerke und Datentöpfe eigentlich völlig getrennt hätten bleiben müssen (Details würden zu weit führen), und eigentlich lag das Problem nur im Tonfall der Damen und der verwendeten Telefonnummer, die sich auf Telefonsex rückgoogeln ließ. Ohne diese beiden Macken wäre nichts zu beanstanden gewesen, denn im Prinzip durfte der Unternehmer das, nur eben nicht so.

Aber das gab dann schon richtig Ärger.

War übrigens das einzige Mal in meinem Leben, dass ich eine Telefonsexnummer angerufen habe, und das auch noch dienstlich, vom Diensttelefon und in Anwesenheit von Juristen auf Lautsprechen. Es war göttlich mit anzuhören, als der Telefondomina klar wurde, dass wir gerade die mit der Peitsche sind und nicht sie.