Ansichten eines Informatikers

Der Niedergang der Innenstadt von Karlsruhe

Hadmut
2.12.2022 20:32

Nicht, dass ich mit dieser Stadt noch Mitleid hätte. Aber bemerkenswert ist es schon.

Als ich angefangen habe zu studieren, fand Karlsruhe einfach in seiner Fußgängerzone, der Kaiserstraße statt, in deren Verlängerung ja die Uni selbt war. Da war einfach alles, da bekam man alles. Die Uni- und normalen Buchläden. Die Copyshops. Die Klamottenläden. Haushalts- und Werkzeugfachgeschäft Hammer und Helbling. Karstadt und Hertie. Es war halt so eine Stadt im Ganzen mit ihrer Fußgängerzone. Als Student brauchten man eigentlich nicht woanders hin, und die Studentenkneipen lagen in den Seitenstraßen.

Tagsüber.

Nachts wurde es düster. Damals gab es noch den allgemeinen Ladenschluss um 18:30, und da musste man schon hetzen (damals bedeutete hetzen noch, sich zu beeilen, und nicht, seine Meinung zu sagen), und sich einen Plan für die ganze Woche zu machen, an welchem Tag man in welchen Laden geht, denn wenn man tagsüber arbeitete, oder Vorlesungen hörte, hatte man kaum eine Chance, vor 18:00 oder 18:10 in die Stadt zu kommen, konnte also nur noch einen Laden besuchen. Das hatte damals den Grund, dass Männer tagsüber arbeiteten und das Geld verdienten, und die Fragen tagsüber einkaufen gingen. Man fand es deshalb im Allgemeinen nicht erforderlich, die Läden abends geöffnet zu lassen, weil ja die Frau im Haushalt tagsüber einkaufen gehen konnte und Männer nicht einkauften.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich in meiner Anfangszeit, als ich mich noch nicht so gut in Karlsruhe auskannte, mal von irgendeiner Abendveranstaltung kam, mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone fuhr, ich weiß es nicht mehr, wohl so gegen 21 oder 22 Uhr, alles dunkel, alles tot, niemand mehr auf der Straße, außer zwei Streifenpolizisten. Ich hatte Hunger, aber alles zu, nichts mehr zu finden. Und war noch bis dahin gefahren, wo später der Breuninger und die Postgalerie waren, weil es da einen McDonalds gab, aber sogar der hatte abends dicht und dunkel. Und weil ich da gefahren war, aber mittendrin, scheinbar unvermittelt kehrt gemacht hatte (weil ich gesehen hatte, dass der McDonalds dunkel war), die Polizisten aber dachten, ich würde vor ihnen umdrehen, hielten die mich zur Polizeikontrolle an, ließen das aber schon wieder sein, als sie im Geldbeutel meinen Studentenausweis sahen. Ich habe ihnen erklärt, dass ich umgedreht bin, weil ich nach dem McDonalds geguckt hatte, und gefragt, ob sie wüssten, wo es noch was zu essen gab. Nee, sie seien ja nicht von Karlsruhe und würden sich nicht auskennen, nur den Weg kennen, den sie Streife laufen, aber da gäbe es nichts.

Freilich gab es die Studentenkneipen, wo es auch zu essen gab, aber die musste man erst mal kennen. Pfannestiel und so, muss man aber halt erst mal kennen und lange hatten die damals auch nicht auf.

Das wurde schlagartig besser, nachdem der erste chinesische Schnellimbiss geöffnet hatte. Der hatte soviel Erfolg, dass man da kaum noch reinkam, der war abends wirklich gestopft voll. Ich kann mich noch erinnern, dass ich da mal abends drin war, mir mühsam einen Platz in der Warteschlange innendrin erkämpft hatte, drinnen der übliche Schnatterlärm vieler Leute, die sich unterhielten, eng gestopft. Als auf einmal Totenstille herrschte und alles entsetzt guckte: Ein SEK, könnte auch die GSG9 gewesen sein, kam in voller Kampfmontur und bewaffnet reinkamen. Alles guckte in Todeserwartung, und der erste ging wie Darth Vader zur Kasse und sagte „Wir haben telefonisch vorbestellt!“ – alle so „Puuuuh … durchatmen“ Selbst die holten sich da nämlich abends was zu essen, denn sonst gab es ja nichts, und gut und billig waren die ja damals. Innerhalb kürzerster Zeit schossen die dann aus dem Boden und es gab dann an fast jeder Ecke einen Schnellchinesen.

Und dann ging es irgendwann bergab. Da haben die ein paar Meter neben der Fußgängerzone ein völlig überflüssiges Einkaufszentrum gebaut, weil sie dachten, dass man dann einfach mehr Gechäfte hätte und die Leute auch mehr kaufen würden, das haben sie aber nicht. Stattdessen sind die Hälder aus der Kaiserstraße gezwungendermaßen ins Einkaufszentrum umgezogen, und die Fußgängerzone ist abgestürzt. Da waren dann so 1-Euro-Läden und sowas drin, ansonsten nur noch Klamottenläden. Und als ob das nicht schon tödlich gewesen wäre, und man schon gemerkt hätte, wie die Fußgängerzone abstirbt und verwest, kam damals die Diskussion auf, die Straßenbahn, die durch die Fußgängerzone fuhr, tieferzulegen und unterirdisch fahren zu lassen, wie eine U-Bahn.

Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, warum man das wollte, aber ich glaube, es gab keinen vernünftigen Grund. Man hatte die Chance, dafür Geld vom Land zu bekommen, als macht man es, egal ob es einem nutzt oder nicht.

Ich kann mich auch noch erinnern, dass die Drogenszene in Karlsruhe eskalierte. Ich weiß noch, dass ich am Europaplatz mal einen Streit im Drogenmilieu beobachtet habe, bei dem die einem mit dem Messer an den Hals gingen. Weil an einer Ecke ein Polizeiauto stand, von dem aus die das da bewachen sollten, lief ich hin und sagte denen, dass die sich da gerade mit dem Messer an den Hals gehen. Der Polizist gelangweilt und regungslos zu mir „Ja, das machen die öfter“. Tonfall: Das ist hier normal.

Ich habe das nicht mehr mitbekommen. Ich war seit 2003 nur noch wenig und seit 2008 gar nicht mehr in Karlsruhe. Die Stadt hat mich aus den bekannten Gründen nur noch angekotzt, aber zumindest habe ich von Bekannten gehört, dass die Fußgängerzone nur noch Baustelle sei und da eigentlich gar nichts mehr los sei.

Man berichtete mir, dass Karlsruhe immer krimineller und gewalttätiger werde. Als ich in München beim Nachtskaten mitfuhr, und mich mit jemandem über das Nachtskaten in den verschiedenen Städten unterhielt, mir das in Dresden so gut gefallen hatte, sagten mir mehrere Leute, dass sie einmal in Karlsruhe gefahren seien und das nie wieder tun würden. Da würde unfassbar rücksichtslos und aggressiv fahren, da wären Cliquen unterwegs, die das ausnutzen würden, um da Leute umzunieten. Nie wieder würden sie da fahren.

Nun schreibt mir gerade einer

Karlsruhe/ Kaiserstraße/ “Gute Nacht “

https://bnn.de/karlsruhe/karlsruhe-stadt/innenstadt/h-m-schliesst-seinen-store-in-der-karlsruher-kaiserstrasse

Kaiserstraße gestern, Donnerstag, gegen 14 Uhr, nahe am Marktplatz, wo der Weihnachtsmarkt aufgebaut ist.):

Massenhaft Leute, aber ich (lese 5 europäische Sprachen) kann deren Sprachen nicht mehr einschätzen. Polizei patrolliert im PKW. Alle paar Meter Bettler -eine mit signalgrünem Kescher, den sie den Leuten unter die Nase hält- und Straßenmusikanten ( auch mit schulpflichtigen Kindern ).

Friedrichsplatz: Weitere Weihnachtsbuden.
Ein Polizeibus mit abgedunkelten Scheiben.
Kurz nach 16 Uhr wird es hier finster.

Eine freundliche Einladung zu einer Veranstaltung am Abend in einem Kunstmuseum haben wir mit Bedauern abgelehnt. Uns ist das Risiko zu hoch, auch wenn die BNN ihre Polizeiberichte in entschärfter Form präsentiert.

Es geht irgendwie alles kaputt.

Mich würde trotz allem interessieren, warum H&M nun dort schließt. Im Artikel der BNN heißt es:

H&M reiht sich in eine Vielzahl von Ketten ein, die die Kaiserstraße verlassen oder sich verkleinern. Decathlon hat seit Anfang Oktober keine Filiale mehr in der Postgalerie und ist nur noch im Durlach Center vertreten.

Eine Stadt, politisch zerstört.

Mit dem Karlsruhe, das ich während meiner Studienzeit erlebt habe, hat das einfach gar nichts mehr zu tun. Vom Grundriss vielleicht noch. Und vom Ausmaß der Korruption.