Ansichten eines Informatikers

Zum Unterschied zwischen Informatik und Germanistik

Hadmut
27.7.2022 12:30

Ein Leser motzt.

Hallo Hadmut,

du scheinst überzeugt, dass Informatiker wegen [hier 20 Jahre Blog einfügen] nichts mehr taugen, und Germanisten aus vergleichbaren Gründen (insbes. politischer Natur) nichts taugen. Außerdem sind Germanisten als Gruppe deswegen für dich, ich formuliere das mal frei, parasitärer, nutzloser Müll. Wäre es dann gerechtfertigt zu schlussfolgern, dass Informatiker als Gruppe parasitärer, nutzloser Müll sind? Die Frage ist ernst gemeint, ich kann mir vorstellen, du hältst unsere gesamte moderne Gesellschaft für parasitären, nutzlosen Müll. Ggf. würde ich den Untertitel deines Blogs überdenken.

Nein. Ich halte diese Herangehensweise für töricht.

Ich habe zwar geschrieben, dass Informatiker und Germanisten von den deutschen Universitäten nichts mehr taugen und in den letzten 20 Jahren schlechter geworden sind, aber das ist nicht der Kausalzusammenhang. Ich erkläre mal die Unterschiede.

Informatik

Informatik ist ein landesunabhängiges Fach. Die Verblödung deutscher Universitäten zieht nur den Informatik-Fachkräftemarkt in Deutschland herunter, aber nicht das Fach Informatik als solches, weil es da draußen ja auch noch andere Länder gibt. Zwar sagt man sehr gerne, dass der Computer von Konrad Zuse in Deutschland erfunden wurde, danach kam aber nicht mehr viel. Die Entwicklung der Informatik fand nahezu ausschließlich außerhalb Deutschlands statt. Wir sind da nur so eine Art Wissens-Reseller.

Ich habe schon oft angesprochen, dass meine Generation von Informatikern, die C64-gestählten, besser war als ihre Professoren, und denen weit voraus. Warum? Weil das Wissen und Können wesentlich, weit überwiegend, fast ganz aus den USA kam, und wir uns das Wissen über Fachbücher und vor allem über das Internet und Usenet angeeignet haben. Wir waren im Prinzip von der Inkompetenz unserer eigenen Professoren unabhängig, weil es Informationsquellen an diesen vorbei gab. In den Neunziger Jahren kamen viele, exzellente Fachbücher auf, und die elektronische Wissensvermittlung und Softwareverteilung kam in Schwung. Während ich für meine Mathematikvorlesungen exzellente Mathematikbücher deutschen Ursprungs hatte, sogar direkt aus Karlsruhe (legendär: Harro Heuser), waren sämtliche guten Informatikbücher, die ich hatte, ausnahmslos englisch oder direkte Übersetzungen eines englischen Buches. Was zweifellos auch ein Grund für die Verwerfungen an der Uni und meinen Promotionsstreit und ähnliche Vorgänge war: Die Professoren hatten damals eine Heiden-Angst vor uns, weil wir denen fachlich weit überlegen waren. Schon oft erwähnt, aber es war einfach so prototypisch für die Situation: Während sich da eine Uni-Elite aus Mitarbeitern im gerade neu entstandenen internationalen Internet und mit Unix austobte und die Welt neu erfand, war die eine Hälfte der Informatik-Professoren noch völlig auf Papier angewiesen, hing am Fax fest und brauchte für Webseiten eine Sekretärin, die sie ihnen ausdruckte und in der Aktenmappe vorlegte. Die andere Hälfte konnte gerade so einen Mac bedienen und nur mit den primitiven und eigentlich untauglichen Mac-Programmen Nachrichten austauschen. Beth wollte damals unbedingt einen Nokia 9000 Communicator, das erste Smartphone damals, es war aber nicht möglich, ihm das beizubringen. Ich hatte ihm E-Mail auf dem Ding eingerichtet, es war ihm aber nicht beizubringen, dass „email address“ eine E-Mail-Adresse und nicht die Anrede „Dear…“ meint, weil er nicht kapieren konnte, was Routing ist und eine Information benötigt wird, wohin die Mail soll. Und das Ding dann benutzte um zu faxen, weil das Ding damals noch eine Fax-Funktion eingebaut hatte. Wenn Beth email sandte, hieß das, dass er ein Fax an die Sekretärin schickte, und die das dann irgendwie machen sollte. Und dergleichen Probleme mit anderen Informatikprofessoren mehr.

Heißt: Unsere Informatikprofessoren damals waren zwar zu einem großen Teil korrupte, fachfremde, inkompetente Idioten, und manche auf ein bestimmtes Teilgebiet beschränkte Fachidioten. Aber es hat uns (außer eben in Prüfungen und Vorgesetztenangelegenheiten wie meinem Promoitionsstreit) nicht daran gehindert, gute Informatiker zu werden, weil wir die Professoren dazu nicht brauchten und die Informatik ohnehin außerhalb Deutschlands stattfand, es auf die Qualität deutscher Hochschulen für uns nicht ankam. Im Prinzip brauchten wir nur vier Zutaten: Wissensdurst, Internet an der Uni, das Geld für den ganzen IT-Krempel, und Amazon zur Buchbestellung aus den USA. Und diese vier Zutaten hatten wir.

Weil die Informatik eben auch ohne deutsches Zutun und ohne deutsche Sachkunde existiert. Da draußen.

Und die Realität ist nun einmal, dass Informatiker, IT-Fachkräfte, dringend gesucht werden, fast überall auf der Welt. Man kann Informatiker nicht für parasitär und nutzlos halten, wenn die Stellenanzeigen lang sind, und Informatiker sich vor allem selbst ernähren, ihr Einkommen selbst erarbeiten, produktiv sind, viel Steuern zahlen.

Informatiker sind nicht parasitär, weil sie sich ja nicht nur selbst ihren Unterhalt, sondern sogar einen großen Produktivitätsüberschuss erwirtschaften, von dem noch viele andere mitleben können. Informatiker sind weder auf Quoten, noch auf öffentlichen Dienst angewiesen, und brauchen auch keine Pseudo- oder Bullshitjobs, keine Zwangsbezahlung über Rundfunkbeiträge oder Überlebensstrategien in der Politik. Informatiker bieten eine Dienstleistung oder ein Produkt an, für die ein Markt und eine Nachfrage bestehen.

Und wenn Informatiker tatsächlich arbeitslos werden, können sie immer noch als Freiberufler arbeiten oder ins Ausland gehen. Weil sie gesucht sind, weil sie Nutzen bringen.

Die Frage, ob Informatiker nützlich sind, stellt sich nicht, solange sie händeringend gesucht werden und Steuern zahlen wie bekloppt.

Germanisten

Nichts davon trifft auf Germanisten zu.

Es gibt keine internationale Germanistik, an der man sich unter Umgehung der deutschen Hochschulprofessoren selbst bilden könnte. Wieviele englische Fachbücher gibt es denn in Germanistik?

Anders gesagt: Sind die Professoren doof, sind auch ihre Studenten doof. Weil es keine von den Hochschulen – und damit von der Dummheit der Professoren unabhängige – Germanistik gibt.

Fragen wir mal anders: Was ist denn „Germanistik“ überhaupt? Was ist das Curriculum?

Ich habe mal gegoogelt. Das erste Curriculum, das ich fand, war das der Uni Graz. Nur Dünnschiss und Geschwätz, keine greifbaren vermittelten Befähigungen. Sowas wie

Die Absolventinnen und Absolventen sind nach Abschluss des Bachelorstudiums Germanistik in der Lage [Hier nur ein Auszug]:

  • logisch, abstrakt, analytisch, divergent und vernetzt zu denken und damit in die Lage versetzt, komplexe Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang mit Sprache und Literatur, gedanklich zu durchdringen und zu bearbeiten
  • das erworbene Fachwissen kritisch zu reflektieren;
  • ihre Kenntnisse und methodischen Fähigkeiten auf neue Fragestellungen und Aufgaben anzuwenden (Transferkompetenz);
  • Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und interdisziplinäre Lösungsansätze anzuwenden;
  • in mündlichen und schriftlichen Diskussionen den eigenen Standpunkt argumentativ schlüssig darzulegen
  • Gespräche zu leiten, zu analysieren und zu deren Optimierung beizutragen
  • kultur- und gruppenspezifische Traditionen in Kommunikationsvorgängen zu erkennen und diesen
    Traditionen im eigenen kommunikativen Handeln Rechnung zu tragen
  • gemäß den Normen der deutschen Standardsprache zu sprechen und zu schreiben sowie die Ent-
    stehung und Wirkung dieser Normen kritisch zu reflektieren

Gegen so ein Curriculum nimmt man Imodium akut.

Das ist doch nur leeres Gefasel und Blabla, und umfasst völlig unscharf die absoluten Basics, die man von Informatikern ohnehin erwartet, ohne das überhaupt zu erwähnen. „den eigenen Standpunkt argumentativ schlüssig darzulegen“ – „gemäß den Normen der deutschen Standardsprache zu sprechen und zu schreiben“ Das ist eigentlich Abiturstoff. Das ist eigentlich Inhalt der „Allgemeinen Hochschulreife“.

Aber selbst wenn: Wozu sollte man jemanden einstellen wollen, der seinen „eigenen Standpunkt schlüssig darlegen“ kann, wenn er sonst nichts in der Birne hat, um einen verwertbaren Standpunkt überhaupt haben zu können? Er redet Mist, aber formuliert das sehr schön? Ja, damit kann man zum Fernsehen, wo man nutzensunabhängig zwangsbezahlt wird.

Schaut doch mal in die Stellenanzeigen: Keine Sau sucht Germanisten. Außer vielleicht in Krisenländern wie Berlin, wo sie verzweifelt Leute suchen, die hier noch Lehrer werden wollen: Germanisten müssen sich mit dem Lehrerjob abfinden, und Berlin muss sich mit Germanisten abfinden. Eine Lose-Lose-Situation.

Und sonst hat Euch fast keiner lieb. Zeigt mir mal die Stellenanzeigen für Germanisten.

Warum sitzen so viele Germanisten rum und maulen, dass sie keinen Versorgungsposten bekommen, und Hartz-IV beantragen müssen?

Heißt es nicht immer, wir seien übler Kapitalismus, in dem Arbeitskräfte hemmungslos ausgebeutet werden?

Warum will Euch dann keiner ausbeuten?

Weil es bei Euch nichts auszubeuten gibt.