Ergänzende Anmerkungen und vertiefende Betrachtungen zur Kugellagerfrage des gemeinen Supermarkteinkaufswagens bei erhöhten Geschwindigkeiten

Ich habe weitere Zuschriften erhalten, die ich Euch keinesfalls vorenthalten möchte, damit man auch in dieser schweren Zeit auf vertiefende Sachkenntnisse zu Einkaufswagen zurückgreifen kann.

Hier nochmal, worum es geht: In Südafrika wollte einer Geld sparen und ist im Einkaufswagen über die Autobahn gefahren, indem er sich am LKW hinten festgehalten hat. Leser hielten das für Fake, weil die Kugellager des Einkaufswagens das nicht halten könnten, während ein anderer Leser meinte, die hätten gar kein herkömmliches Kugellager, sondern nur so eingepresste Rillen mit ein paar Kugeln drin, damit es möglichst einfach und billig ist:

Der Ingenieur

Ein Kugellageringenieur schreibt mir dazu

Hallo Herr Danisch,

nachdem ich mein Berufsleben als Ingenieur bei einem der großen Kugellagerhersteller verbracht habe, ein paar Zeilen zur Lagerung des Einkaufswagens. Sie haben völlig recht mit Ihrer Vermutung.

Die Drehzahl, die Ihr Leser errechnet hat, ist überhaupt kein Problem. Wesentlich für ein Wälzlager ist das Produkt aus Drehzahl und seinem Teilkreis, also mittlerer Durchmesser zwischen Innen- und Außendurchmesser. Ein 08/15-Kugellager aus dem Katalog bringt da einen Kennwert n x dm von 500 000 auf die Beine. Selbst, wenn das Lager so groß wie die ganze Rolle wäre, betrüge der mittlere Durchmesser maximal 60 … 70 mm.

Also sagen wir: 500000 / 70 = 7000 min-1. Reicht. Kleinere Lager wären in dieser Hinsicht erst recht kein Problem. Allerdings wird kein Mensch 4 derartige Lager in einen Einkaufswagen einbauen. Viel zu groß, zu schwer und teuer, aufwändig zu montieren und in jeder Hinsicht für so einen popeligen Einbaufall grotesk überdimensioniert.

Da kann man wirklich alles abspecken, was ein gutes Kugellager zu einem solchen macht. Wärmebehandlung, Oberflächenfinish, Maßgenauigkeit – wird alles nur rudimentär gebraucht, Hauptsache, es dreht sich irgendwie, der Rest ist wurst. Dabei gehen dann aber auch genau die Eigenschaften flöten, die dem Lager seine Drehzahleignung und – noch wichtiger – seine Tragfähigkeit und Verschleißfestigkeit verleihen. Also: Blöde Idee mit dem Einkaufswagen.

Zu ihrer Erfahrung mit den nassen Skateboard-Lagern: Es ist leider so, dass Wälzlagerstahl sehr rostempfindlich ist. Das hat auch nichts mit einer schlechten Qualität zu tun, sondern liegt an der Stahllegierung, die für größtmögliche Laufbahnhärte optimiert ist. Denn Härte = Lebensdauer und ein guter Maschinenbauer baut seine Lager so ein, dass keine Feuchtigkeit drankommt. Skateboards und Inliner sind eben kein guter Maschinenbau. Es gibt allerdings auch rostfreie Edelstahl-Lager. Natürlich auch mit Pferdefuß: Edelstahl lässt sich nicht härten. Die Lager schlagen dann im Skateboard oder Inliner recht schnell aus ohne dafür nass werden zu müssen. Einen Tod muss man halt sterben.

Freue mich, wenn es zur Erhellung beigetragen hat.

Beste Grüße & schönen Abend noch

Gut, dass wir das geklärt haben.

Experimentell-empirische Betrachtungen

Ich war zwar mit den Inline-Skatern und nicht mit dem Skateboard unterwegs, und das in manierlichen Geschwindigkeiten, trotzdem ist es interessant zu wissen, dass der Weltrekord für Skateboard-Geschwindigkeit laut dieses Videos bei 89.41 mph/143.89 km/h liegt (oder jedenfalls 2016 lag):

Was jetzt nicht einschlägig ist, weil der ja bestimmt die besten Kugellager drin hatte, die es dafür zu kaufen gibt, und die Straße trocken war.

Insofern ist sicherlich aufschlussreicher, dass mir ein Leser den Hinweis schickte, dass es eine Dokumentation über kanadische Obdachlose gibt. Im Laufe dieses Videos gibt es eine Filmszene, in der man mal das Freizeitvergnügen mittelloser Obdachloser ausprobieren will. Die nämlich fahren mit Einkaufswagen den Berg runter. Und das sieht dann so aus (die Doku geht eine Stunde, die relevante Stelle ist bei 22:45:

Ich denke, jetzt sind wir schon wieder ein ganzes Stück schlauer.