Ansichten eines Informatikers

Informatiker und Aufräumen

Hadmut
16.2.2022 17:19

Mal so eine Anmerkung.

Gerade zum Blogartikel von neulich, in dem ich schrieb, dass ich beim Ausmisten und Aufräumen in einer Schachtel noch ISDN-Kabel und -Zeugs gefunden hatte, obowhl ich seit 10 Jahren in der Wohnung kein ISDN mehr verwende, weil ich es damals für aufhebenswert hielt, kann ja sein, dass man es nochmal braucht, es nun aber rausfliegt, weil ISDN nicht mehr angeboten wird, hatten mir viele Leute geschrieben, dass sie das ganz anders sehen.

Gerade dann, wenn man etwas nicht mehr neu kaufen könnte, müsste man es weiter aufheben.

Wobei manche einräumen, dass ISDN dafür ein schlechtes Beispiel sei, weil man überzeugt sei, dass das wirklich tot ist und nicht wiederkäme (obwohl nahezu alle der seit ISDN nicht mehr erreichen Zuverlässigkeit und Tonqualität nachtrauerten, was jetzt allerdings auch nur teilweise stimmt, denn mit guten VoIP-Telefonen mit modernen Codecs kann die Tonqualität noch weit besser als mit ISDN sein; ich hatte neulich ein Telefonat mit einem Kumpel, der sich ein neues VoIP-Telefon gekauft hat und sich damit und über Kopfhörer an meinem Telefon eigentlich anhörte, als würde er neben mir stehen).

Einer sah es nicht ein, und meinte, ich wäre ein ISDN-Fan, und wollte mich davon überzeugen, dass ISDN nicht tot sei, indem er mir reichlich links auf e-Bay-Artikel schickte, in denen Leute gebrauchten ISDN-Kram verkauften. So, als ob ich ISDN weiterleben lassen könnte, indem ich mir eine alte, verbeulte ISDN-Telefonanlage mit 32 Anschlüssen in die Wohnung stelle. Ich musste ihm klarmachen, dass ich das nicht will, und dass beide Umstände, nämlich, dass ich ISDN (privat) seit 10 Jahren nicht mehr verwende, vor Jahren schon alle ISDN-Telefone rausgeworfen und mich nun auch von den letzten Kabeln und NTBAs getrennt habe, hinreichend zum Ausdruck bringe, dass ich bei aller Wertschätzung für ISDN nicht den geringsten Wunsch verspürte, es weiter zu betreiben. Und zwar sogar dann, wenn auch Telefonanlagen wie die FritzBox auf der Wohnungsinnenseite noch immer einen ISDN-Anschluss böten (ja, habe ich, benutze ich aber schon lange nicht mehr). Es ist auch nicht so, wie sich manche Fans einreden, dass ISDN jetzt über DSL übertragen wird. Das wurde mal parallel zu DSL übertragen und mit dem „Splitter“ aufgetrennt (Frequenzweiche), aber seit ISDN abgeschaltet wird, wird es auch nicht mehr über DSL übertragen. Das ist eine Voice-over-IP-Verbindung, die nur vom Router/Modem dann lokal in eine ISDN-Emulation umgesetzt wird.

Und das ist sehr nützlich, wenn man aus irgendwelchen Gründen noch ISDN-Telefone oder ISDN-Nebenstellenanlagen weiterbetreiben will, die man schon installiert hat und nicht ersetzen will oder kann. Aber es ist nicht sinnvoll, ISDN neu zu installieren. Da ist man mit einem FritzFon oder VoIP-Telefonen einfach deutlich besser bedient, braucht dafür neben der Ethernet-Verkabelung keine zweite Verkabelung mehr, kann virtuelle Nebenstellenanlagen usw. verwenden, und man bekommt die inzwischen auch für kleines Geld hinterhergeworfen.

Aber was ich eigentlich sagen will:

Ja, ich habe Verständnis dafür, sogar großes Verständnis, Dinge auf Vorrat zu kaufen oder zu halten, die man nicht mehr nachkaufen kann. Geht mir öfters so. Hatte ich sogar schon gelegentlich erläutert, zum Beispiel bei Textilgeldbeuteln. Ledergeldbeutel mag ich nicht und bei Textilgeldbeuteln gibt es praktisch nur Schrott, weil von Design und Organisation grottig. Ich hatte mal einen, der war perfekt. Hielt aber auch nur etwa 10 Jahre. Ich hatte ihn kurioserweise nochmal im Fan-Shop eines Freizeitparks mit Parklogo und völlig überteuert gesehen (also typisches China-produkt, das über die Werbemittelkanäle vertrieben wird, aber auch in den Werbemittelkatalogen habe ich das Ding nicht mehr gefunden), trotzdem aber nochmal gekauft, weil eben für mich perfekt, hielt aber auch nur 10 Jahre. Neulich habe ich dann endlich mal einen entdeckt, der nicht ganz, aber annährend so gut war, allerdings auch schon wieder Restposten, und deshalb alle aufgekauft, die es bei Amazon noch zu bestellen gab (es wurde immer nur einer geliefert, weil sie nur noch einen hätten, dann tauchten sie doch wieder als lieferbar auf, dann gab es wieder nur einen usw.), bis ich genug hatte, um nach Haltsbarkeitsdauer hochgerechnet bis zum Lebensende mit Geldbeuteln versorgt bin, unter der Annahme, dass ich keinen besseren finde und sich die Anforderungen nicht ändern.

Ich neige deshalb generell dazu, mir dann, wenn ich etwas gefunden habe, was mir gefällt, für die geplante Nutzungsdauer Vorräte anzulegen. Ja.

Aber:

Das ist nur meine Reservestrategie, was die konkrete Nutzung angeht.

Es ist natürlich wunderbar, sowas wie alte Kameras oder sowas zu sammeln, um sie zu haben. Aber nicht, um sie zu benutzen.

Ich neige in meinem tiefsten Inneren dazu, die Fähigkeit und das Wissen, etwas reproduzieren zu können, höher einzustufen, als den Gegenstand zu besitzen. Wenn mir etwas wichtig ist, wenn ich etwas zum Gebrauch (und nicht etwas aus ideellen Gründen) benötige oder haben will, ist es mir wichtiger, zu wissen, wie ich es schnell und zuverlässig wiederherstellen, ersetzen kann, als es zu bewahren.

Ich würde deshalb ISDN-Telefone und ähnliches nur so lange aufbewahren, solange ich keinen sicheren „Upgrade-Pfad“ und keine „Disaster-Recovery“ habe. Deshalb habe ich kein Problem damit, ISDN-Telefone wegzuschmeißen, sobald ich DECT- oder VoIP-Telefone habe, die die Funktionen abdecken. Mir ist nicht die spezielle Implementierung wichtig, sondern die Fähigkeit, die benötigte Funktion wiederherzustellen.

Es kann allerdings gut sein, dass sich da meine Arbeitsweise als Informatiker auf mein persönliches Denken ausgewirkt, abgefärbt hat.

Denn genau denselben Denkansatz betreibe ich in der Informatik seit mindestens 10 Jahren:

Früher war es üblich, und ich kenne ältere Kollegen, die das heute noch so machen, als Software ein „Golden Image“ zu produzieren, also eine seit Jahren gehegte, gepflegte, hin- und her kopierte und mit unendlichen Backups tradierte Betriebssystem- oder Softwareversion zu halten, in der dann alles drin ist, samt aller Sicherheitslücken und Software- und Konfigurationsleichen. Nur ja nicht anrühren, weil keiner mehr so genau weiß, wie es zusammenhängt und was alles drin ist.

Ich dagegen bin längst auf die – im Linux/Unix-Umfeld seit 10 Jahren auch etablierte und übliche – Methodik umgestiegen, die Software und Installation gar nicht mehr zu backupen (nur noch die Betriebsdaten), und dafür die Software automatisiert über Werkzeuge wie puppet, ansible, cloudinit, Docker, Kubernetes, CoreOS zu erstellen. Anders gesagt: Nicht die Torte wird aufbewahrt, sondern das so präzise geschriebene Kochrezept, dass man die Torte jederzeit exakt neu produzieren kann. Und das heißt dann eben auch, dass man ein System jederzeit löschen und innerhalb von Minuten automatisiert und identisch wieder neu herstellen kann.

Deshalb übe ich auch immer wieder Kritik daran, wenn irgendwo irgendeine Malware oder Ransomware einschlägt, und dann irgendwelche Universitäten oder Behörden oder Gerichte für Monate außer Gefecht sind. Das darf eigentlich nicht passieren, dass einem der ganze Laden so zusammenfällt. denn im Prinzip müsste man in der Lage sein, mit gelöschter oder auch völlig neuer Hardware die komplette Softwareinstallation und -konfiguration komplett und vor allem automatisiert, ohne wesentliches administratives Eingreifen, neu erstellen zu können, und zwar schnell (Minuten, Stunden, höchsens 1-2 Tage), und lediglich die Betriebsdaten, Arbeitsdaten vom Backup wieder einspielen muss.

Das ist mir auch privat wichtig, und ich vermute, dass sich bei mir da die Informatiker-Denkweise in das private Denken hinüber durchgesetzt hat.

Es mag manchem grotesk erscheinen, aber mir ist es tatsächlich wichtig, meine Wohn- und Lebens-, wie die Arbeits-Umgebung (unterstellt mit einer angemessenen Menge Geld) jederzeit irgendo anders reproduzieren zu können, als irgendwelche Antiquitäten wie ISDN aufzubewahren. Viele Dinge haben deshalb für mich so lange einen besonderen Wert, wie ich keine mindestens gleich gute Ersetzungsstrategie habe.

Hängt vielleicht auch damit zu sammen, dass ich zu oft umgezogen bin, und man sagt ja, dass dreimal umgezogen wie einmal abgebrannt ist.

Es gibt Leute, die ihre Wohnung voller Sammlerstücke und Antiquitäten haben, die sich darüber freuen, dass es Einzelstücke sind. Kann ich verstehen.

Ich fühle mich aber bei dem Gedanken unwohl, wenn ich Dinge hätte, derer ich bei Brand, Diebstahl, Wasserschaden, weiß der Kuckuck, unersetzlich verlustig ginge. Weil mich sowas enorm wurmt. Mir persönlich ist das wichtiger, wenn mich ein Verlust nicht weiter juckt, weil ich es identisch oder funktionsabdeckend neu bestellen kann.

Damit beruht mein Hang zur Vorratshaltung, den ich nicht bestreite, wie etwa beim Geldbeutel, nicht primär darauf, dass ich das gerne tun würde, dass ich gerne bevorrate oder aufbewahre (auch wenn es bei mir durchaus so aussieht), sondern es ist nur die Ersatzstrategie, die sich bei mir aus dem Unwohlsein über die Diskrepanz entwickelt, dass mir etwas wichtig ist und ich dafür keine Reproduktions- oder Wiederbeschaffungsmethode habe, die die Funktion wenigstens gleichwertig wiederherstellen kann.

Das liegt aber im Fall eines Telefons nicht vor.

Denn ein ISDN-Telefon hat keinen Nutzen, wenn es kein ISDN-Angebot mehr gibt. Man kann es aufbewahren, wenn man noch eine ISDN-Anlage in Betrieb hat, für die man keine Ersatzteile mehr bekommt. Aber ein ISDN-Telefon an sich ohne ISDN-Netz ist nicht nur funktionslos, sondern funktional auch längst von VoIP-Telefonen überholt.

Deshalb bewahre ich Geldbeutel auf, solange ich nicht weiß, wo ich mindestens gleich gute bekomme, aber keine ISDN-Telefone. Weil diese für mich keine Funktion mehr haben, also auch nicht reproduziert werden müssen, und weil mit VoIP und DECT längst besserer Ersatz da ist.

Die Geldbeutelstrategie würde ich überdenken, wenn es kein Bargeld und keine Karten (Kreditkarte, Personalausweis, Führerschein usw.) mehr gibt, die Funktion also entfallen ist. Oder jemand einen besseren anbietet.