Ansichten eines Informatikers

„HALLO, Sie sind dran!“

Hadmut
15.2.2022 14:45

Eine Beobachtung.

Ich war heute unterwegs, ein paar Dinge erledigen und besorgen. Zwischendrin mal, weil es sich so anbot, in einer Kaufhauskantine essen.

Lange Schlange. Glücklicherweise eher hinter als vor mir, günstigen Augenblick erwischt.

Vor mir so eine Mutter mit zwei Söhnen. Der zeitgeistige Frauentyp, so vielleicht um die 30, gutmenschig, selbstzufrieden. Kinder nicht sonderlich erzogen, rempeln Leute an, Mutti merkt’s nicht oder ist ihr egal.

Die Schlange geht so voran.

Irgendwann ist auch der direkt vor ihr fertig und geht mit dem Tablett Richtung Kasse. Nur Mutti selbst merkt nicht, dass sie an der Ausgabe steht und bestellen soll. Irgendwie so in Gedanken, Tagträume oder sowas. Nichts mit Handy, auch nichts mit den Kindern, einfach nur völlig unaufmerksam.

Hinter mir rumort’s schon. Eine Combo aus älteren, beleibteren Damen wird sehr ungeduldig und drängelt sich mal „zum Gucken“ schon vor.

Mutti merkt nichts.

Die Frau, die das Essen herausgibt, versucht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nun hat sie aber nicht nur eine Maske auf und eine Glasscheibe dazwischen, sondern ist auch noch Asiatin und deshalb nicht unbedingt gerade stimmgewaltig, und mit Akzent und anscheinend bescheidenen Deutschkenntnissen behaftet.

„Dae Nächste, Bitte!“ – Akzent, aber gut verständlich.

Mutti merkt nichts und pennt immer noch vor sich hin.

Die Asiatin versucht es noch einmal, etwas lauter.

Mutti merkt nichts, guckt Löcher in die Luft, andere Richtung.

Ich: „HALLO, Sie sind dran!“ mit Handbewegung Richtung Asiatin, um Mutti zu wecken und zum Bestellen zu animieren.

Mutti: *AUFWACH…*

Mutti bestellt.

Als Mutti ihre Teller bekommen hat, faucht sie mich böse an „Das kann man auch freundlich sagen!“

Ich beschließe, mich nicht weiter auf sie einzulassen und einfach gar nicht darauf zu reagieren.

Aber bemerkenswert finde ich es schon, dass man es ihr zweimal freundlich gesagt hat, und sie das nicht mal mitgekriegt und weiter im Stehen gepennt hat. Sagt man es ihr aber so, dass sie aufwacht, beschwert sie sich darüber, dass man es ihr nicht freundlich genug serviert hat, dass sie gerade den ganzen Laden aufhält, merkt aber nicht, dass es nichts bringt, es ihr so süßfreundlich zu sagen, wie sie es gerne hätte. Denn sie merkt’s ja nicht einmal.

Wie ich dann so am Tisch saß, mal so drüber nachgedacht, dass man dieser Sorte Mensch mit diesem Spruch häufig begegnet. Meistens, aber nicht nur, Raucher. Die keine Rücksicht nehmen, und dann, wenn man was sagt, noch motzen, dass man es nicht freundlich genug gesagt hat. Und der Spruch ist immer derselbe: „Das kann man auch freundlich sagen!“. Und zwar selbst dann, wenn sie freundlich angesprochen wurden oder durch ihr Verhalten bereits selbst unfreundlich waren.

Achtet mal drauf.

Das sind Leute, die jegliche Kritik, und zwar auch dann, wenn sie selbst die sind, die in die Sphäre anderer eingreifen, sie belästigen, so egozentrisch sind, dass sie das als reinen Abwehrspruch entgegendonnern, um die Sache dann zu ignorieren und den anderen in der Selbst-schuld-Position zu sehen. Im Hirn werden Positionen vertauscht: Nicht ich habe den anderen belästigt oder gestört, sondern der andere ist der Übeltäter, weil er mich nicht so sanft angesprochen hat, dass ich es ignoriert hätte.