Ansichten eines Informatikers

Heidelberg

Hadmut
4.2.2022 12:15

Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht.

Ich hatte mich neulich schon gewundert, warum man die beiden Morde, nämlich den Hörsaalmord an der Uni Heidelberg, und den Polizistenmord von Kusel, medial so unterschiedlich behandelt. Während man beim Polizistenmord noch am selben Tag die Informationen über die – mutmaßlichen – Täter blubberten, am nächsten Tag das Foto des Haupttäters durch die Presse ging, und ich inzwischen die Lebensgeschichte beider Täter aus der Presse kenne, seine Insolvenz, seinen Jagdunfall, seine Schützenfähigkeiten, die wechselhafte Historie seines ehemaligen Jagdscheines, Art und Umfang des in seinem Wildereibetrieb angebotenen Fleischbestandes samt Abrechnungsbilanz und Charakterzüge kenne, erfährt man vom Mord in einem Heidelberger Hörsaal: Nichts.

Nach 48 Stunden völlig weg aus der Berichterstattung, als hätte es den Vorgang nie gegeben.

Was eigentlich erstaunlich ist, denn der Vorgang ist ja viel gemeingefährlicher. Amokläufe gab es einige, bei uns bisher nur an Schulen. Aber grundsätzlich könnte sowas ja jedem passieren, der irgendwo sitzt, während der Polizistenmord von Kusel ja nun keine ganz allgemeine Gefahr darstellt, weil er ja aus einer Situation heraus erfolgte, in die nur Polizisten, Zollbeamte usw. kommen können, und vor allem, das eine Situation war, die sich entwickelte und auf die sie sich zumindest theoretisch hätten vorbereiten und wehren können, und die Toten ja auch bewaffnet waren und zumindest grundsätzlich die Möglichkeit hatten, zu schießen. Der männliche Polizist hat ja wohl auch sein ganzes Magazin verschossen, 14 Schuss (und trotzdem fast nichts getroffen, was manche zu Fragen animiert, warum der nicht besser schießen konnte, aber vielleicht war der da schon angeschossen).

Wer dagegen in einem Hörsaal sitzt, hat sich weder von Berufs wegen in Gefahr, noch selbst in eine gefährliche Situation begeben, und ist gegen einen Täter mit Schusswaffen nicht nur völlig wehrlos, sondern auch unvorbereitet. Nicht für die Situation ausgebildet.

Man könnte also erwarten, dass der Hörsaalmord von Heidelberg wegen seiner höheren Gemeingefährlichkeit mehr oder zumindest ebensoviel Aufmerksamkeit findet.

Der Polizistenmord macht natürlich auf der anderen Seite emotional betroffener, weil Leute ermordet wurden, die sich da für uns, für die Allgemeinheit eingesetzt haben, und Motivlagen wie Liebeskummer, psychische Erkrankungen, Beziehungstaten, Lebenskrisen da ausgeschlossen sind. Da geht es um offenkundige Kriminalität.

Trotzdem finde ich es seltsam, dass die Fälle so unterschiedlich behandelt werden, obwohl sie ja bezüglich des Schemas Mann tötet junge Frau in und während ihrer Berufsausbildung durch Kopfschuss mit der Schrotflinte sogar gleich ist, und sowas kommt ja nicht so oft vor.

Vor allem aber ist eines besonders seltsam:

Beim Polizistenmord von Kusel gibt es keine Tatzeugen. Man buddelt ersatzweise solche Vergangenheitszeugen aus, die dann sagen, dass sie den einen Täter früher mal die Straße entlanggehen, berichtet sogar über Zeugen, die glaubwürdig versichern, den anderen Verdächtigen noch nie gesehen zu haben und gar nicht zu kennen.

In Heidelberg dagegen gibt es einen ganzen Hörsaal voller Studenten, dazu einen Dozenten, und zweifellos noch viele Zeugen außerhalb des Hörsaals geben, denn das war ja mitten am Tage auf dem Campus einer (auch unter Corona) belebten Universität, dazu ein riesiger Polizeieinsatz. Ein Hörsaal und ein Campus voller Zeugen aus der Generation Twitter. Ich hatte früher in meinen Sicherheitsbelehrungen als Beispiel ein für asiatische Hochhäuser inzwischen typisches Schild: Im Brandfall zuallererst rausrennen und dann erst über das Feuer twittern.

Nun hätten wir da eine Generation, die normalerweise nichts sehnlicher wünscht, als in Presse und Fernsehen ihr Seelenleid auszubreiten, und man hört: Nichts.

Ein Leser fragt deshalb an (und ich präsentiere mal nur eine Auswahl seiner Fragen, denn er stellt sehr viele Fragen:

  1. Warum kommen keinerlei weitere Zeugen zu Wort?
  2. Warum äußert sich keiner der 30 Studenten aus dem Hörsaal?
  3. Warum gibt es keine Interviews mit den Verletzten? .. …….mit den Ersthelfern?……… mit den Polizisten, die den Selbstmörder fanden?
  4. Hatte der Täter keinerlei Freunde, Verwandte oder Bekannte?
  5. Gab es keinerlei Zeugen auf dem Campus, die einen jungen Mann mit Langwaffen gesehen haben? Alle in der Presse aufgeführten Zeugen haben vom Tathergang absolut nichts gesehen. Sie waren alle nur wegen des massiven Polizeiaufgebots und der kreisenden Hubschrauber irritiert.
  6. Wieso gibt es bei den ganzen Unklarheiten des Tatgeschehens bereits nach 2 Tagen einen längeren Wikipedia-Eintrag?
  7. Gab es keine 2G-Einlasskontrollen an der Universität bzw vor dem Hörsaal oder haben die Kontrolleure die 2 Langwaffen versehentlich übersehen????
  8. Wie hat er die Langwaffen überhaupt unauffällig zur Uni gebracht? Im Rucksack??? Wie hat er sie – er hat ja kein Auto – überhaupt aus Österreich (dort wurden sie ja erworben) nach Heidelberg transportiert????
  9. Wieso war die Suizidstelle schon nach wenigen Stunden planiert und für die Öffentlichkeit frei zugänglich, die Gebäude wurden aber geschlossen gehalten???
  10. Die merkwürdige Rundmail, die die Studenten lapidar darauf hinwies, dass sie an der Uni wg eines Großeinsatzes auf Polizei treffen könnten……
  11. Zu welchem Zweck wurden mehr als 100 Einsatzfahrzeuge auch noch deutlich nach 12.51 Uhr inkl. zahlreicher Feuerwehr-,Kranken- und auch Panzerwagen geordert? Warum wurde das von einer professionellen Filmproduktionsfirma dokumentiert? https://www.youtube.com/watch?v=3Uc4cSConQs
  12. Die Eltern der Verstorbenen – so ein Reporter – waren der Einladung der Universität zur Trauerfeier nicht nachgekommen. Am selben Tag wurde ihre Tochter im pfälzischen Essingen beerdigt. Dazu gab es keinerlei Bericht.
  13. Die Trauerfeier selbst war völlig nichtssagend, blieb völlig unpersönlich. Weder Opfer noch Täter oder Zeugen wurden konkret erwähnt, kein Name wurde genannt, keine Biographie angedeutet; Angehörige/Freunde der Beteiligten waren offenkundig auch nicht anwesend.

Weiß ich nicht.

Nicht alle Fragen erscheinen mir plausibel. So ist die „professionelle Filmproduktion“ wohl eher ein Zufallstreffer, das sieht nämlich nicht nach einer professionellen Produktion aus, sondern eher wie aus anderem Grund zufällig an der Straße gestanden und dann bei jedem Blaulich mitgeschwenkt, und dann auf Youtube verwurstet.

Ich weiß auch nicht, ob die Aussagen da überhaupt alle stimmen. Ich weiß nichts über die Trauerfeier.

Aber komisch ist das alles schon.

Der Heidelberg-Vorfall stinkt schon sehr nach „Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!“