Ansichten eines Informatikers

Frühzeit der Medien und der Propaganda

Hadmut
2.2.2022 4:05

Historische Medienkunde.

Ich hatte doch öfters mal angesprochen, dass die Nazis die ersten waren, die die modernen elektronischen Rundfunkmedien – Radio und Fernsehen – eingesetzt haben, dazu auch die ersten, die Material wie Druckwerke, Plakate, Uniformen, Fahnen im großen, industriellen Maßstab eingesetzt haben, und dass sie deshalb – vor allem Hitler – auch so überartikuliert-schnarrend gesprochen haben, weil sie von Schauspielern gelernt haben, wie man mit der frühen, noch schlechten Mikrofon- und Aufnahmetechnik (der Informatiker oder auch der Elektrotechniker würden sagen: schlechter Signal-Rauschabstand) umgehen musste, um noch deutlich verstanden zu werden. Man tut ja heute immer so, als hätten die damals so gesprochen, weil die alle ein Rad ab hatten. Andere Sendungen der damaligen Zeit, selbst die Werbung bis in die 50er Jahre, hörte sich aber ähnlich an. Das war ein eigener Beruf, so überartikuliert und überdeutlich zu sprechen. Dazu natürlich noch der Einsatz von Fahrzeugen und Flugzeugen, um schnell überall hinkommen und persönlich auftreten zu können.

Ein Leserin, die in Italien aufgewachsen ist, schrieb mir mal, dass sie als Kind ihre (offenbar sehr schlaue) Mutter gefragt hatte, warum Mussolini immer so komische Sprechpausen gemacht habe. Mir ist allerdings aus der Zuschrift nicht genau hervorgegangen, ob die Leserin Mussolini noch live oder nur auf alten Aufnahmen gehört hatte. Jedenfalls hatte ihr ihre Mutter erklärt, dass das wegen der Lautsprechertechnik der damalige Zeit erforderlich sei. Man hat die auf Plätzen aufgebaut, auf der dann alles hallte, weil die Gebäude das zurückgeworfen hatten. Vermutlich auch starke Rückkopplungen. Wenn Mussolini Reden hielt, konnte der immer nur für gewisse Zeit was sagen, und musste dann eine Pause machen, bis der Hall wieder abgeklungen war.

Wichtig dazu auch der Kinofilm The Kings Speech, der König Georg VI. mit seinen Problemen zeigt, als erster Monarch Englands mit modernen Medien umgehen und öffentliche Ansprachen und eine Rundfunkansprache halten zu müssen, obwohl er schrecklich stotterte. Seine Tochter, die Queen, hatte in einer der jüngeren Ansprachen (Weihnachten oder ähnliches) mal erwähnt und sogar einen Ausschnitt gezeigt, wie eine „junge Frau“ (sie selbst) den Umgang mit den Medien lernen und auftreten musste. Obwohl in hohem Alter hat sie sich in der Pandemie noch Videokonferenzen angewöhnt, um so etwa einer Veranstaltung in Australien, wohin sie gesundheitlich nicht mehr reisen kann, beizuwohnen, und – für einen britischen Monarchen sehr radikal – auch mal mit normalen Bürgern ein Schwätzchen zu halten. Da kam mal irgendwas im Fernsehen, wo da einige alte Schachteln aus ihren Wohnzimmern heraus per Videokonferenz über ihre Sorgen und Probleme sprachen, und eine davon war halt die Queen.

In Wien hat man mir dagegen bei einer Führung durch das Schloss erklärt, dass die im Film so süß dargestellte Kaiserin Sissi (im Original Sisi) launisch und oft zickig gewesen sei, und immer dann, wenn sie keine Lust hatte oder sie mal wieder nicht zu ertragen war, man einfach ihre Friseurin in ein Kleid gesteckt und als Double mit dem Kaiser auf den Balkon gestellt hat, um dem Volk zuzuwinken. Weil sie sowieso nichts sagen musste, man sie nur aus großer Entfernung sah und sowieso nur wenige wussten, wie sie überhaupt aussieht, Kleid, Schminke, Perücke reichten da. Allerdings habe ich inzwischen auch irgendwo gelesen, dass eben jene Kaiserin Elisabeth mit dem Aufkommen der Fotografie dann sehr umfangreich Gebrauch davon gemacht und die sehr schlau zu ihren Gunsten eingesetzt hat, um an möglichst vielen Orten „präsent“ zu sein. Man könnte durchaus diskutieren, ob Sis(s)i vielleicht sogar die Erste Politikerin war, die moderne Medien politisch eingesetzt hat. Insofern wären die grotesk verkitschten Sissi-Filme in dieser Hinsicht sogar sehr angemessen und verdient – auch wenn sie nicht wahrheitsgemäß waren, hätten sie vielleicht ihren Vorstellungen einer Darstellung entsprochen, jedenfalls deren Bekanntheit und Publizität.

Fernsehen ist Propaganda.

Propaganda ist Fernsehen.

George Orwell hat das erkannt und in 1984 verarbeitet.

Man kann sich aber auch die Frage stellen, ob eine Demokratie ohne moderne Medien möglich wäre. Freilich könnte man sagen, ja, die gab es doch im alten Griechenland und nach der französischen Revolution. Aber hat die auch wirklich alle erreicht, oder nur einen kleinen Kern, der vor Ort war?

Ich hatte neulich mal über die mir bis dahin unbekannte Dreyfus-Affäre in Frankreich geschrieben, die im 19. Jahrhundert stattfand und eine Ära markierte, als die Presse der Regierung erstmals richtig Dampf machte. Ich hatte zufällig den Film darüber, Intrige von Roman Polanski, gesehen.

Warum das jetzt?

Ein Leser hat mich auf diese Dokumentation hingewiesen: Fernsehkanonen – Televisionen im Dritten Reich (NDR/WDR 1996). 1996 waren NDR und WDR ja noch halbwegs bei Verstand. Ich habe es noch nicht gesehen, nur mal kurz durchgezappt. Sieht aber sehr interessant aus.

Man wird die Ereignisse von damals nicht ohne Betrachtung der modernen Medien nachvollziehen und einordnen können – und man wird umgekehrt die Entstehung der modernern Medien nicht ohne die Betrachtung der Ereignisse erklären können.