(Keine) Bombenstimmung in Berlin

Herrje, ist das wieder was…

Hier in Berlin und Umgebung finden sie ja alle paar Tage irgendwo eine Bombe aus dem zweiten Weltkrieg. Musste auch schon mal den Arbeitsplatz räumen, weil man beim Umbau eines Spielplatzes in der Nähe unter dem Spielplatz eine gefunden hat. In Koblenz fanden sie mal eine keine 20 Meter von dem Bett, in dem ich ein dreiviertel Jahr geschlafen habe. In Dresden bin ich zweimal täglich direkt an einer vorbeigefahren, fast drübergefahren, bis sie sie gefunden haben. Und die Sprengung der Riesenbombe in München, die nicht mehr transportabel war, habe ich vom Balkon aus gehört. Eine Geologin, die beruflich überregional bei irgendwelchen großen Baumaßnahmen da beim Aushub der Grube irgendwas begutachtete, erzählte mir mal, dass da sehr häufig die Bombentrupps kommen und da irgendwelche Dinger aus dem Boden holen. Es heißt, dass das auch noch zig Jahre so weitergehen werde.

Will sagen: Eigentlich sollte sich das rumgesprochen haben, was zu tun ist und wie es abläuft. Das sollte doch eigentlich längst Routine und allen bekannt sein. Man verzieht sich, kommt nach ein paar Stunden wieder, und fertig. Das Prozedere sollte doch inzwischen wirklich jeder kennen. Steht doch ständig in der Zeitung, kommt in den Medien.

Heute: Bombenentschärfung im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen.

Die Evakuierung in #Gesundbrunnen ist so gut wie abgeschlossen. In Kürze beginnt die #Entschärfung der #Weltkriegsbombe. Derzeit werden ca. 600 Menschen, die nicht bei Freunden oder Angehörigen untergekommen sind, in einem Hotel untergebracht und versorgt. #b1212 @polizeiberlin pic.twitter.com/qkraqv43Gu

— Bezirksamt Mitte (@BA_Mitte_Berlin) December 12, 2021

Heute vormittag hieße es im Radio aber noch, dass sich die Entschärfung „um mehrere Stunden“ verzögere, weil die Evakuierung nicht wie geplant am frühen Morgen haben vor sich gehen können. Die Polizei müsse von Wohnung zu Wohnung und die Leute einzeln „überzeugen“, ihre Wohnungen zu verlassen.

Meldung dazu bei RBB24:

Bis 6 Uhr sollten alle Menschen den Sperrkreis verlassen haben, doch selbst am Mittag findet die Polizei noch immer Anwohner vor Ort. Wann die Entschärfung beginnt, ist unklar. […]

Noch seien in dem Sperrkreis rund um den Fundort des Sprengkörpers nicht alle Wohnhäuser geräumt, sagte Polizeisprecherin Dajana Hirth am Sonntagmittag dem rbb. Immer wieder würden Uneinsichtige angetroffen, die den Aufforderungen der Beamten nicht nachkommen. Zudem müssten noch einige Transporte für Pflegebedürftige und Gehbehinderte organisiert werden.

Und im Tagesspiegel:

In einigen Häusern im Sperrkreis war die Polizei noch auf einige Bewohner getroffen. Wie viele das gewesen sind, lasse sich nicht beziffern, sagte eine Polizeisprecherin auf Anfrage des Tagesspiegel. […]

Zwar habe die Polizei mehrsprachige Flyer im Sperrgebiet verteilt und die Informationen zudem auf der eigenen Homepage sowie auf der Webseite des Bezirksamtes im Internet veröffentlicht. Jedoch würden die Benachrichtigungen nicht alle Menschen erreichen, erläuterte die Sprecherin. Dafür müssten die Polizistinnen und Polizisten jedes Haus und jede Wohnung einzeln durchgehen. Parallel dazu würden Lautsprecher-Ansagen gemacht.

Mehrsprachige Flyer.

Was sind wir denn nun eigentlich?

• Sind wir inzwischen ein Land, in dem die Leute Polizei und Regierung nicht mal mehr glauben, wenn die sagen, dass eine 250kg-Bombe entschärft wird? Oder dass es solche Bomben überhaupt gibt? Oder dass wir überhaupt einen Weltkrieg hatten?
• Sind wir ein Land, in dem die Leute eine 250kg-Bombe für ungefährlich und sich für unverletztlich halten? Rummst nur ein bisschen, sonst passiert da nichts?
• Sind wir ein Land voller Leute, die gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen wollen, was um sie herum passiert, und sich bis zum Warnehmungsausfall abkapseln?
• Sind wir ein Land von Leuten, die zu erreichen man mehr Sprachen braucht, als die Polizei auf einen Flyer drucken kann?
• Oder sind wir schlicht ein Land von Analphabeten, die nicht lesen können oder wollen, und deshalb schriftlich nicht mehr erreichbar sind?
• Sind wir vielleicht ein Land, in dem die Plünderungsgefahr so hoch ist, dass die Leute auch unter Gefahr ihre Wohnung nicht alleinlassen wollen?

Was sind wir?

Was sind wir, wenn die Warnung „Vorsicht, eine 75 Jahre lang gerostete 250kg-Fliegerbombe wird aufgesägt“ nicht mehr funktioniert?