Ansichten eines Informatikers

Die neuen Rudelgrenzen der Gesellschaft

Hadmut
13.10.2021 1:56

Großraum Amygdala und Rudelverhalten.

Die WELT schreibt darüber, dass ein mir völlig unbekanntes „Sinus-Institut“ die Gesellschaft untersucht habe und zu dem Schluss gekommen sei, dass es die „bürgerliche Mitte“ nicht mehr gebe, sich dafür drei neue Milieus gebildet hätten.

Es geht um die Beratung von Politik, Werbung und so weiter.

Leider ist der Text erst mal nicht so ganz eindeutig, welche denn nun diese drei neuen Milieus sind. Erst am Ende stellen sie das klar.

Die ehemalige „Mitte“

Borgstedt selbst spricht von „Warnsignalen“, die sie auch an bestimmten Sätzen festmache: „Früher hieß es: ,Unsere Kinder sollen es mal besser haben.‘ Heute sagen Eltern: ,Hauptsache, kein Hartz IV.‘“ Offenbar ist etwas ins Wanken geraten. Und noch etwas fällt auf: „Dieses Mal gehen die Veränderungen vor allem von der Mitte aus“, sagt sie. „Das gab es so noch nicht.“

Ergebnis einer Zertrümmerung der Gesellschaft.

Die bürgerliche Mitte – das ist jene aufstiegsorientierte Schicht, die viel leistet und sich stetig weiterbildet, um es zu Sicherheit und Wohlstand zu bringen. Wie identitätsstiftend sie für das Land ist, zeigt der internationale Vergleich: Für 48 Länder liegen Sinus-Modelle vor, aber das Bürgerliche ist laut Borgstedt „etwas spezifisch Deutsches, das stark durch die Wirtschaftswunderjahre geprägt wurde“.

Mit anderen Worten: Leute wie wir. Die Schicht, die das Land aufgebaut und wirtschaftlich an die Spitze gebracht hat.

Doch seit einigen Jahren beobachten Borgstedt und ihr Team, dass Veränderungen von der Mitte ausgehen. Deren Vertreter verstünden sich als fleißige, loyale Arbeitnehmer, die stets taten, was von ihnen erwartet worden sei. Doch nun rede die Öffentlichkeit plötzlich von Dingen wie Diversität, Klimakrise und globaler Gerechtigkeit. „Diese Menschen haben das Gefühl, dass sie als Normalbürger ersetzt und ihre Lebensentwürfe entwertet werden“, sagt Borgstedt. „Nach dem Motto: Da guckt man jahrelang ‚Traumschiff‘ – aber jetzt, wo man selbst in Richtung Ruhestand geht und häufiger mal eine Kreuzfahrt machen will, wird man dafür schief angeschaut.“

Das ist etwas komisch beschrieben, trifft aber ungefähr das, wie ich mir da so vorkomme. Nur dass ich nicht oft Traumschiff geguckt habe.

Ich komme mir da auch sehr ausgeplündert vor.

Diese Spannungen und Brüche gehen so weit, dass die Sinus-Forscher mit dem neuen Modell „das Ende der bürgerlichen Mitte“ ausrufen. […]

Die ehemalige Mitte zieht sich in eine Nische zurück. Dieses neue, nostalgisch-bürgerliche Milieu strebt nach Ordnung und Sicherheit, wird aber von Abstiegsängsten geplagt. „Diese Gruppe fühlt sich oft nicht mehr in ihren Bedürfnissen gesehen“, erklärt Borgstedt. „Auch deshalb, weil viele Debatten komplett an ihrer Lebenswirklichkeit vorbeigeführt werden.“

Ja.

Das hängt auch damit zusammen, dass in Politik und Medien, besonders dem Rundfunk, die Mitte inzwischen nicht mehr vertreten ist, sondern linke Spinner und Extremisten die Kontrolle übernommen haben. Das führt dazu, dass die Debatten so weit an der Gesellschaft vorbei gehen.

Es sind nicht die Einzigen, die sich abgehängt fühlen. Auch das prekäre Milieu wähnt sich oft ausgegrenzt – Pflegekräfte und Lkw-Fahrer, die sich fragen, warum ihre Berufe nicht ordentlich bezahlt und gesellschaftlich anerkannt werden. Sogar im Konsum-hedonistischen Milieu wachsen die Ressentiments: Die Spaß-affine untere Mittelschicht ist laut Institut „zunehmend genervt vom Diktat der Nachhaltigkeit und Political Correctness“.

Das „neo-ökologische Milieu“

Wenn Silke Borgstedt erklärt, wie sich die deutsche Gesellschaft verändert, dann erzählt sie von Laura. Die 27-Jährige studiert Kulturwissenschaften, engagiert sich in einer globalen Nachhaltigkeitsinitiative und jobbt in einem Secondhand-Laden. Sie selbst kauft keine fabrikneuen Kleider mehr und bewirtschaftet einen Gemeinschaftsgarten – getreu ihrem Lebensmotto: „Wir müssen umdenken!“ Laura gibt es nicht wirklich; Borgstedt und ihre Kollegen haben sich diese Persona ausgedacht – als fiktive Stellvertreterin einer realen, neuen gesellschaftlichen Gruppe: des „neo-ökologischen Milieus“.

Man könnte auch einfach von Gutmenschen reden, die sich selbst über andere stellen, weil sie davon überzeugt sind, das Gute zu tun, weil sie auf Plastikstrohhalme verzichten.

Laura macht keinen Dreck, aber hat dann wohl auch keinerlei gesellschaftlichen Nutzen. Baut keine Straßen, keine Kraftwerke, keine Krankenhäuser, erfindet nichts, aber kommt sich unheimlich gut und moralisch höherwertig vor.

Die „adaptiv-pragmatische Mitte“

Diese Spannungen und Brüche gehen so weit, dass die Sinus-Forscher mit dem neuen Modell „das Ende der bürgerlichen Mitte“ ausrufen. An ihre Stelle ins Zentrum der Gesellschaft rückt die „adaptiv-pragmatische Mitte“: junge Leute, die flexibel bleiben, um voranzukommen; sei es mit Jobwechseln oder Umzügen. Zwar tragen sie viele bürgerliche Werte weiter, doch ihnen fehlt das Vertrauen darin, sich ihren Erfolg selbst erarbeiten zu können.

Da fühle ich mich auch etwas vertreten, weil ich ja häufig umgezogen bin und häufig den Job gewechselt habe. Es gibt da aber eine neue Schicht von jungen Leuten, die eigentlich nicht viel mehr als einen Notebook und einen Koffer voll Klamotten brauchen und als „digitale Nomaden“ durch die Welt reisen, ohne jemals Steuern zu zahlen.

Das „postmaterielle Leitmilieu“

Diese engagierte Bildungselite setzt sich fürs Gemeinwohl ein und pflegt einen öko-liberalen Großstadt-Lifestyle – Stichwort Lastenfahrrad. Anders, als es ihr Name vermuten ließe, sind die Postmateriellen keine Minimalisten: „Die sagen zwar gerne ,Weniger ist mehr‘, sind aber gut ausgestattet und leben eher in Kompensationslogiken“, erklärt Borgstedt. „Man gönnt sich weiter Flüge und verzichtet dafür auf Fleisch.“

Man könnte auch sagen: Die Heuchler.

Oder: Grüne. Die mit den vielen Flugmeilen.

Rudeldenken

Damit wären wir wieder bei der Amygdala, dem Rudeldenken, der Identifikation von Freund und Feind, von Rudelgenossen und Klassenfeinden. Denn die Grenzen werden entlang dieser Gesellschaftsgruppen gehen.

Die Folgen wurden bei der Bundestagswahl sichtbar: „Je moderner oder postmoderner die Werteorientierung, desto weniger relevant sind die Volksparteien“, sagt Borgstedt. Zugleich sei aber deutlich geworden, dass deshalb noch längst nicht alle Grün wählten. So hege man im Konsum-hedonistischen Milieu den Wunsch, dass alles so bleiben möge, wie es ist: „Da haben wir einen hohen Anteil an AfD-Sympathisanten.“ Und das Milieu der Performer teile mit den ökologisch orientierten Gruppen zwar viele Ziele; doch verfolge diese liberale Leistungselite ganz andere Wege, um dorthin zu kommen.

Das Ergebnis ist ein Zerfall der Gesellschaft.

Der Zusammenhalt schwinde, die Lebenswelten drifteten auseinander.

Was sind nun die neuen Milieus?

Sie beschreiben es so:

Postmaterielles Milieu (12 Prozent)
die engagierte Bildungselite. Sie sieht sich als gesellschaftliches Korrektiv, setzt sich für Diversität ein und versucht, klimabewusster zu konsumieren.
Neo-ökologisches Milieu (8 Prozent)
die junge, progressive Mittelschicht. Sie fordert einen nachhaltigen Wandel und lebt ihn selbst vor – erfolgsorientiert, experimentierfreudig und gelassen.
Nostalgisch-bürgerliches Milieu (11 Prozent)
Die harmonieorientierte, untere Mitte fühlt sich vom Wandel überfordert, fürchtet den Abstieg, sehnt sich nach Sicherheit und den alten Zeiten.

Wie man leicht sieht, ist die Summe nicht bei 100. Das liegt daran, dass sie noch sieben weitere Milieus entdeckt haben wollen,

  • Konservativ-gehobenes Milieu
  • Milieu der Performer
  • Expeditives Milieu
  • Adaptiv-pragmatische Mitte
  • Traditionelles Milieu
  • Konsum-hedonistisches Milieu
  • Prekäres Milieu

So ganz eindeutig ist das nicht, nach der Beschribung würde ich den ersten beiden der sieben angehören.

Das Problem

Das Problem daran ist, dass zu viele dieser Milieugruppen, aus denen die Gesellschaft künftig bestehen soll, wenn es denn so stimmt, mehr konsum- als leistungsorientiert sind. Da sind nicht mehr genug Leute da, die etwas leisten, die die Gesellschaft und die Infrastruktur noch aufbauen und voran bringen.

Das wird alles zerfallen, und zumindest die mobilen werden abwandern.

Der Rest wird früher oder später in ihren Ansprüchen versinken, die nicht mehr erfüllt werden.