Ansichten eines Informatikers

Chipkrise – der verschwiegene Wirtschaftskrieg?

Hadmut
12.10.2021 14:31

Alles sehr komisch.

Wir haben ja nun seit einiger Zeit eine „Chipkrise“. Die deutschen Auto- und die japanischen Kamerahersteller können manches nicht herstellen, die Produktionsbänder stehen bisweilen still, weil es an Chips fehlt. Irgendein Autohersteller hatte die Tage schon angekündigt, den Leuten die Wahl zu lassen, noch etwas auf ihr Auto zu warten oder eine reduzierte Version etwas günstiger zu bekommen, der ein paar Funktionen fehlen, die man dann leider nicht nachrüsten kann.

Aber wieso eigentlich haben wir eine „Chipkrise“?

Die Medien erwähnen das immer wieder mal, aber sagen nie, wie es dazu eigentlich kam. Und das ist sehr seltsam, denn warum sollten wir eine Chipkrise haben? Es ist zwar sehr schwer, überhaupt mal dahinzukommen, Chips bauen zu können, aber wenn man mal weiß, wie das geht und die Fabriken hat, laufen die eigentlich durch. Viel mehr als bestimmten Sand, aus dem man sehr reines Silizium gewinnt, einige Chemikalien, Strom und etwas Personal sowie richtig festen Boden unter den Füßen braucht man da eigentlich nicht. Wie soll es da zu einer Krise kommen?

In der Vergangenheit gab es schon mal Chipkrisen, aber die hatten immer den Geruch, künstlich erzeugt zu sein, weil die Preise wieder mal zu niedrig waren. Es gibt Wettbewerb, der die Preise drückt, und immer, wenn zum Beispiel Speicherchips mal wieder zu billig sind, passiert irgendwo ein Unglück, das die Produktion hemmt, dann gehen die Preise sehr schnell wieder hoch, und dann geht die Produktion wieder, auf dass sie wieder langsam sinken können. Es gab vor Jahren mal den Fall, dass irgendwo eine Fabrik abgebrannt war, und das ausgerechnet die einzige Fabrik gewesen sein soll, die einen bestimmten Lack herstellt, den man zum Belichten der Siliziumchips braucht. Irgendwo hieß es dann in den Social Media, dass der Brand zwar stattgefunden habe, aber nicht so wichtig und relativ klein war, man aber einfach die Gelegenheit genutzt hat, da mal die Produktion für eine Weile anzuhalten und die Preise wieder raufzupumpen.

Es gab auch schon einige Gerüchte, dass gelegentliche Engpässe etwa bei Festplatten dadurch verursacht worden seien, dass die Geheimdienste für ihre geheimen Rechenzentren zur Totalüberwachung mal ganz viele Festplatten brauchten und deshalb den Weltmarkt leergekauft hätten. Als Intel mal ganz viele CPUs zurücknehmen und umtauschen mussten, weil die einen Fehler in der Fließkommaarithmetik hatten, wunderte man sich auch, wo die vielen (ansonsten) schönen und guten CPUs dann eigentlich geblieben sind. Man munkelte, die hätten in den Rechenzentren der NSA ein schönes, warmes Zuhause gefunden, weil die die so billig bekommen haben und man für die Zwecke der NSA wie Crypto-Zeugs und Abhören die Fließkommaarithmetik nicht braucht, die der Rechenfehler also nicht stört. Vielleicht gehört das zu Sagen und Legenden, aber auch dann ist es ein Indiz dafür, dass es eigentlich keine plausiblen technischen Gründe für Chipkrisen gibt.

Es gab aber durchaus mal Krisen einzelner Hersteller, die ihre Fertigungsanlagen schon auf die nächste, kleinere „Technologie“, eigentlich Herstellungsmethode umgestellt hatten und die noch nicht beherrschten, also die alte Technik nicht mehr und die neue noch nicht herstellen konnten. Das betraf aber immer nur einzelne Hersteller und Fabriken.

Gelegentlich hieß es in den Medien, die Chipkrise habe ähnliche Ursachen wie die Bauholzkrise. Weil nämlich die Coronakrise sich ihrem Ende zuneige und die Firmen gerade alle wieder aufdrehten und nachholten, was sie versäumt hätten, käme es jetzt eben zu Versorgungsengpässen. Da könnte zwar etwas dran sein, das klingt plausibel, aber das quantitative Ausmaß leuchtet mir nicht ein. Denn so ein starker Einbruch der Produktion war ja gar nicht gegeben. Im Gegenteil, mit der HomeOffice-Welle und dem ganzen Online-Conferencing haben die Leute massenweise neue PCs gekauft. Ich kann mich noch erinnern, dass es so ungefähr ab März/April 2020 mit der Corona-Krise losging und solche Dinge wie kleine Videomischpulte, Greenscreens, LED-Lampen, Headsets, Mikros, Notebooks erst mal ausverkauft waren – und ich froh war, dass ich mich zufällig und ohne das zu ahnen Ende 2019 schon ausgestattet hatte.

Also glaube ich nicht, dass es da so einen Einbruch im Chipverbrauch gegeben hätte, der jetzt wieder aufgeholt werden müsste. Zumal Chipfabriken auch nicht einfach mal so weniger produzieren können, weil deren Abläufe sehr exakt konstant gehalten werden müssen. Das geht so weit, dass wenn die eine neue Fabrik bauen, die die schon bestehende Fabrik auch äußerlich haargenau kopieren, sogar die Stellung der Gebäude zueinander, weil man fürchtet, dass es die Produktionsabläufe stören könnte, wenn die Gebäude anders zueinander stehen, weil die Wafer ja anders abkühlen könnten, wenn der Wagen auf der Strecke von einem Gebäude zum anderen 20 Meter mehr zurücklegen müsste. Die werden gewisslich nicht einfach mal so weniger produzieren oder die Anlagen über Nacht abschalten, weil die beim Anfahren immer Tage oder Wochen brauchen, bis wieder alles konstant läuft. Deshalb wäre nach einer Corona-Krise, bei der es zu Minderabnahmen gekommen wäre, im Gegenteil eher damit zu rechnen gewesen, dass die Hersteller auf vollen Lagern sitzen und die Dinger günstig abgeben.

Ein Leser hat mir nun einen beachtlichen Hinweis gegeben. Ausgerechnet die Mainstream- und IT-Marktfachzeitschrift Auto Motor Sport erkläre etwas dazu (also eigentlich schreiben sie, wie sie selbst schreiben, bei FOCUS Online ab, da habe ich auch einige Artikel zum Thema gefunden nur nicht den mit diesen Angaben):

Der nicht nur die Autoindustrie schwer belastende Chipmangel verschärft sich weiter: Die Preise für den Rohstoff Silizium sind in den vergangenen zwei Monaten explodiert. Das Halbmetall ist das unverzichtbare Basismaterial der meisten Prozessoren – und es ist nach Sauerstoff das zweithäufigste Element der Erdhülle. Auch die Förderung von Silizium in Form von Quarzsand gilt als unkompliziert. Um das Element allerdings aus dem Quarzsand zu gewinnen, sind große Mengen an Energie nötig – die entsprechenden Schmelzöfen arbeiten mit Temperaturen von zirka 2.000 Grad. Und darin besteht aktuell das Problem: Über 60 Prozent der weltweiten geförderten Siliziummenge kommt derzeit aus China. Dort ist mit einem weltweiten Anteil in Höhe von 20 Prozent wiederum die Provinz Yunnan einer der Hauptproduzenten. Wie Focus Online berichtet, ist dieser Anteil jetzt fast komplett weggebrochen, weil die dortige Provinzregierung Mitte September einen Erlass veröffentlicht hat, nachdem die örtlichen Firmen nur noch zehn Prozent der üblichen Siliziummenge produzieren dürfen – um die Energieziele der Provinz zu erreichen.

Erstaunlich. Chipkrise aus Klimaschutz?

Nun ist China nicht gerade so bekannt dafür, beim Klimaschutz ganz vorne mitzukämpfen. Ist das also irgendeine Retourkutsche für irgendwelchen Klimastreit? Nach dem Motto „Ihr werdet schon sehen, was Ihr davon habt…“?

Wird der Chipmarkt also (wieder mal) künstlich verknappt?

Ein Wirtschaftskrieg, von dem wir nichts mitkriegen sollen?