Ansichten eines Informatikers

Der sozialistische Trottel und die Informatik

Hadmut
29.12.2020 17:30

(Nichts) Neues aus der Laienpolitik.

In den letzten Tagen hatten mich einige Leser darauf hingewiesen, dass der WDR ein interessantes Experiment veranstaltet habe.

In Schmallenberg-Oberkirchen hat das “WOLL-Magazin” ein ungewöhnliches Wettrennen gestartet: Wer bringt die Dateien schneller ans Ziel: ein Pferd oder das Internet?

Es geht um 4,5 Gigabyte Fotos, die Fotograf Klaus-Peter Kappest zu einer Druckerei schicken möchte. Bei sich zu Hause in Schmallenberg-Oberkirchen startet er einen Datentransfer über das Internet.

Parallel reiten berittene Boten mit einer DVD los, auf die die Fotos gebrannt wurden. Zum Ziel sind es rund 10 Kilometer. Für die trainierten Reiter und Pferde eine gut machbare Strecke.

Nach gut einer Stunde sind sie am Ziel, während die Bits in Oberkirchen nur so durch die Kupferkabel schleichen. In den Industriegebieten Schmallenbergs gebe es schon Glasfaser, “aber hier sitzen viele Betriebe in den Dörfern”, sagt Klaus-Peter Kappest.

Meine Antwort war ein sachkundiges Gähnen.

Denn: schon in meinem eigenen ersten oder zweiten Semester Informatik (1986/87) war das als Rechenaufgabe dran, auszurechnen, wer Daten schneller überträgt, der Bote mit dem Datenträger oder die (damals so genannte) DFÜ (Datenfernübertragung). Und seither in wirklich jedem Jahr in der Vorlesung, solange ich diese verfolgt habe, und ich habe das damals als Tutor und Mitarbeiter auch schon erklärt und die Denkfehler aufgezeigt. Die einzigen Unterschiede:

  • Auf den Informatik-Übungsblättern war es nie ein Pferd, sondern immer ein Bernhardiner, der statt eines Fässchens Rum eine Diskette oder Festplatte usw. um den Hals gehängt bekam und mit genau gegebener Geschwindigkeit losrannte.
  • Speichertechnik (Diskette, Magnetband, Festplatte, USB-Stick), Datenvolumen, Übertragungsrate richteten sich stets nach dem aktuellen Stand der Technik, und die Entfernung wurde immer so gewählt, dass der Hund wider Erwarten, aber deutlich gewinnt.

Wie ich aber schon damals an der Uni in Tutorien und Übungen erläuterte, ist die Aufgabe zwar insofern sinnvoll, als sie einem ein Gefühl für Entfernung gegen physischen Transport gibt, aber unsinnig, weil sie voller Denk- und Technikfehler ist.

  • Der Hund (oder hier das Pferd) gewinnt immer, weil die Werte immer so gewählt werden, dass er gewinnt.
  • Es wird eine reale, serielle Verbindung mit einer fiktiven unendlich-parallelen Verbindung verglichen. Denn wenn man die Daten per Modem, DSL, Glasfaser oder was auch immer überträgt, sind das in der Regel immer Verbindung, die seriell arbeiten und nur ein oder höchstens mal drei, vier Bit gleichzeitig übertragen, eins nach dem anderen.

    Der Hund aber überträgt mit der Festplatte alle Bit parallel, da muss keines auf das andere warten. Und da beim Hund nie eine Obergrenze angegeben ist, hängt man dem halt einfach so viele Bit um den Hals und macht die Strecke (=Übertragungszeit pro Bit) so kurz, bis der aufgrund der Parallelisierung gewinnt.

  • Die Zeiten zum Bespielen und Auslesen des Datenträgers werden nicht berücksichtigt (was damals bei Disketten oder dem Brennen von CDs eine große Rolle spielte).
  • Es ist normal und bekannt, dass Datenübertragungen umso schneller sind, je kürzer die Entfernung ist, für die sie gemacht sind. Gab im Studium auch immer so schöne Tabellen nach Abstand in Zehnerpotenzen. Am schnellsten ist die Kommunikation der CPU mit dem Cache auf dem eigenen Chip (Millimeter). Und als nächstes zum RAM (Zentimeter), Festplatte (Dezimeter), SCSI/USB (Meter), LAN (10Meter), DSL (100 bis 3000 Meter) und so weiter und so fort, und jedesmal werden sie langsamer. Aus Gründen der Physik und Signal- und Informationstheorie.

    Man vergleicht hier aber eine Technik, die für Kurzstrecken gedacht ist (Festplatte an Rechner anschließen) und künstlich (Hund) auf eine viel zu große Entfernung ausdeht, mit einer Datenfernübertragungstechnik für weite Strecken, die man am unteren Ende ihrer Reichweite einsetzt.

    Lass das mal 100 oder 1000km betragen.

Es ist praktisch immer so, dass man bei jeder noch so guten Übertragungstechnik sehr große Datenmengen besser physisch überträgt. Ich konnte noch nie Fotos oder gar Videos von Reisen über Internet nach Hause sichern, sondern habe immer Datenträger mit mir herumgetragen. Bei meiner ersten Neuseelandreise (2002) hatte ich noch einen kleinen, tragbaren CD-Brenner dabei und habe jede Woche zwei CDs gebrannt (weil die Festplatte auch nicht groß genug und Speicherkarten zu teuer waren) und habe eine davon im Kuvert per Post nach Deutschland geschickt.

Als jetzt das Cloud-Computing in Mode kam, hat irgendein Anbieter angefangen, Datenübertragungscontainer anzubieten: Im Prinzip ein großer, schwerer Koffer, der mit Festplatten vollgepackt ist. Die stellen sie einem hin, dann kann man sie lokal mit Daten vollpumpen, und dann holen sie sie per Kurier wieder ab und kopieren sie in der Cloud in die Datenspeicher. Weil es keine Datenfernübertragung gibt, die mit derartigen Datenmengen klarkäme.

Auf kurze Strecken (nicht auf den ganz kurzen etwa innerhalb des PCs) verliert jede noch so gute Übertragungstechnik gegen den physischen Transport, sobald der physische Transport seinen signifikant gegenüber seiner eigenen Befülltechnik gewinnt und die Datenmenge groß genug ist. Deshalb hat sich das bei mir damals sogar von Neuseeland aus gelohnt. Schönes Beispiel: Datenübertragung zum Mond oder zum Mars. Da kann man sich dann plastisch überlegen, ab wann physischer Transport schneller ist. Einfach weil der physische Transport zwar viel langsamer, aber dafür alle Daten parallel überträgt. Und egal, wie man die Werte wählt, man kann immer eine Entfernung ausrechnen, unterhalb derer der physische Transport günstiger ist, weil zwar langsam, aber parallel, und oberhalb derer die Fernübertragung günstiger ist, seriell, aber dafür mit höherer Geschwindigkeit. Weil der DFÜ die Entfernung ziemlich egal ist, während beim physischen Transport dann der langsame Transport mit der Entfernung linear länger dauert. Weil bei der DFÜ die Dauer nicht an der Entfernung, sondern an der Serialisierung liegt und damit ziemlich entfernungsunabhängig ist (nicht ganz, aber ziemlich). Also: Physischer Transport startet im Prinzip sofort, ist aber langsam und entfernungsabhängig flach linear, während der DFÜ-Transport durch die Serialisierung erst spät startet (wenn das alles serialisiert ist), dann aber sehr steil steigt. Beide Kurven schneiden sich notwendig in irgendeinem Punkt, und auf der einen Seite des Schnittpunktes ist der eine und auf der anderen Seite der andere Weg schneller. Banale Mathematik.

Das muss man einfach verstanden haben, dass das eine mathematisch-physikalische Gegebenheit ist. Und darin liegt der Sinn der Rechenaufgabe auf den Informatik-Übungsblättern der ersten Semester.

Und dann kommt so ein Polit-Trottel daher:

Als ob Mathematik in Sozialismus und Marktwirtschaft unterschiedliche Ergebnisse liefere.

Von seiner Webseite:

Hier absolvierte ich mein Abitur auf dem Gymnasium im Schloss und studierte anschließend in Braunschweig und Potsdam. Während meiner Studienzeit arbeitete ich u.a. bei mittelständischen Betrieben und für die damalige Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht. Ich bin Politikwissenschaftler (Magister Artium) und war vor meiner Wahl in den Bundestag als wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Geschäftsführer in einem Familienbetrieb tätig.

Politikwissenschaftler.

Das ist das Ergebnis des Ansatzes, einen Bundestag aus Laien zusammenzusetzen. Und den WDR.