Ansichten eines Informatikers

Der Bücher-Boom – alles Schwindel

Hadmut
27.12.2020 19:25

Noch ein Nebeneffekt von Corona: Video-Conferencing. [Update]

Ich hatte es doch neulich von den Hintergründen für Videokonferenzen, dass ich mir irgendeinen schönen Hintergrund, Meer oder sowas vorstellen würde. Und das sogar Disney einige Star Wars Szenenfotos für umme herausgegeben hat, weil ihnen diese dämlichen Wohnzimmer- und Bücherregalhintergründe so auf den Wecker gehen.

Schon früher, aber besonders seit Corona hat man generell wenig Intellektuelle aus dem Home Office oder auch dem echten Office in Videoübertragungen gesehen, auch in Nachrichtensendungen und ähnlichem, die kein Bücherregal im Hintergrund hatten. Das zieht sich generell durch alle Ebenen, Bücherregal muss sein.

Mit einem Bücheregal markiert man sich als intellektuell, und mit der Auswahl der Titel legt man automatisch seine politische Gesinnung dar. Man bekennt sich zu denen, deren Bücher man im Regal hat. Man tritt nicht nur in einem Video auf, man zeigt sein Charakterprofil.

Aus meinem Bücherbestand ist mittlerweile nicht mehr viel übrig, weil das Zeug bei Informatikern gern veraltet, und nach drei Umzügen auch dreimal ausgemistet wurde. Dreimal umziehen ist (fast) wie einmal abgebrannt. Zumal Bücher für mich einiges an Bedeutung verloren haben, vieles ist inzwischen digital oder online.

Als ich noch in Karlsruhe wohnte, hatte ich ein großes Arbeitszimmer direkt gegenüber der Eingangstür, man konnte also von außerhalb der Wohnungstür bei offener selbiger direkt ins Arbeitszimmer gucken. Ich hatte rundherum die hohen (ich glaube, es waren 2,20 Meter) IKEA Ivar-Regale, und wirklich bis obenhin rundherum voll mit Büchern, Aktenordnern, Aktenständern. Auch solchen, die ich eigentlich nicht mehr brauchte, damit das schön gefüllt aussieht. Mein Geheimtrick (nicht weitersagen, soll ja geheim bleiben): Alle Bücher eines Regalbodens so weit vorziehen, dass sie 1-2 cm vorne überstehen und mit einer Holzleiste, die länger als das Regal breit ist, wieder reinschieben, so dass die Bücher alle exakt bündig mit der Vorderkante des Regals stehen. Das vermeidet nicht nur Staub davor, der auf dem blanken, rauen Holz des Ivar schwer zu wischen ist, sondern es sieht einfach viel besser und beeindruckender aus. Da haben viele Leute ziemlich gestaunt. Längst fast alles weg.

In Amerika bietet eine Buchhandlung einen Service an, einem Bücher am laufenden Meter, Bücherregale, Bücher als Dekoration zusammenzustellen. Man gibt das Thema vor, beispielsweise „politisch inkorrekt” und wieviele Meter Bücherregal es denn sein sollen, und sie machen einem das dann wie ein Blumengesteck in der Gärtnerei. Damit man sich passend darstellen kann. Früher war das eher so ein Dienst für Hotels, nun ist es stark für Videokonferenzen gefragt. Man sieht im Artikel, dass sie Bücher in großen Kisten grob nach „politisch”, „religiös” oder auch einfach nur „schön glänzend, sieht professionell aus” kategorisieren, und daraus dann die gewünschten Bücherregale zusammenstellen.

Weil das inzwischen eben so wichtig sei, in Videokonferenzen mit einem Bücherregal im Hintergrund aufzutreten. Also lässt man sich das inzwischen vom Profi designen.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass nur etwa 10% der verkauften Textbücher überhaupt gelesen werden.

Eigentlich reichen die Bücherattrappen, die man aus Möbelhäusern kennt, um Einrichtung darzustellen: Ganz billige, leere Pappschachteln aus dünnster Pappe, auf die nur Buchrücken aufgeklebt sind.

Update: Mir schreibt einer:

Vor 200 Jahren war genau diese Art von Bücherboom nur als Satire denkbar! Im Ferdinand Raimunds Theaterstück „Der Bauer als Millionär“ (1826) sagt der zu Geld gekommene,, aber völlig ungebildete Bauer zu seinem Diener: „Und du gehst zum Tandler [Händler] in die Vorstadt hinaus und laßt die vielen Bücher hereinführen, die ich gestern bei ihm gekauft hab‘, sperrst dann das Zimmer auf, was ich zur Bibliothek bestimmt hab‘, und schüttest die Bücher ordentlich auf einen Haufen … und daß er mich nicht betrügt, ordentlich messen, ich hab‘ sie buttenweise [eimerweise] gekauft, die Butten um 25 Gulden.“