Ansichten eines Informatikers

Xiaoice

Hadmut
26.12.2020 1:46

In China wird die Frau und Freundin gerade durch eine App ersetzt.

Dass es in China Frauenmangel gibt, ist bekannt. Irgendwo haben sie mir erzählt, das habe mit der jahrelang durchgesetzten 1-Kind-Politik zu tun, bei der die Eltern Mädchen abgetrieben hatten, weil sie lieber einen Jungen hatten. Und auf unterschiedlichen Stadt-Land-Präferenzen. Und so weiter. Und die in China nun eine Menge unbeweibter Männer hätten.

Hier beschreiben sie, wie sie Chinas Single-Männer gerade mit virtuellen Frauen auf Basis künstlicher Intelligenz versorgen.

Das erscheint mir insofern sehr plausibel, als ich ja schon so oft beschrieben habe, dass ich den Menschen für sehr automatisiert und unterbewusst gesteuert halte und in ziemlich vielen menschlichen Verhaltensweisen nur Ausprägungen und Aktivitäten eines archaischen, simpel strukturieren Rudelverhaltens sehe. Drogen reizen das Belohnungszentrum, das einem gutes Sozialverhalten bescheinigt, wo keines war. Religion ist die medidative Übung, sich einen portablen Leithammel einzubilden, dem man stets folgen kann, egal wohin man gehen möchte. Rechts-Links als verschiedene Ausprägungen des Freund-Feind-Verhaltens, des Programms, das zum Erhalt des eigenen Rudels führt und konkurrierende Rudel bekämpft und Krieg führt. Während Soziologen ja gerne glauben, der Mensch käme völlig verhaltensneutral auf die Welt (blank slate), und würde dann sozialisiert, halte ich beides – Soziologen und ihre Theorie – für dumm und glaube im Gegenteil, dass wir einen sehr umfangreichen Satz von ziemlich einfachen, hartcodierten Grundverhaltensweisen haben. Dazu in einem andere, evolutionär neueren Teil des Gehirns die Möglicht, auf mühsame Weise und von nur wenigen genutzt, davon abweichende Verhaltensweisen in Software zu trainieren und in gewissem Maße die archaischen Verhaltensweisen durch langsamere, antrainierte zu ersetzen.

Deshalb halte ich das für sehr plausibel, dass man das Gefühl der Leute, dass ihnen irgendwas fehlt, also deren Rudelverhaltensrezeptoren nicht bedient und Belohnungssysteme nicht ausgelöst werden, durch virtuelle Rudelteilnehmer simuliert auslösen kann. Ich hatte das ja neulich schon mal erwähnt, dass durch die Corona-Pandemie auf einmal eine Branche enorm boomt: Online-Sex. Leute, hauptsächlich Frauen, sitzen im „home office”, ziehen sich vor der Kamera aus, masturbieren, und andere gucken zu und zahlen. Ist wohl sehr beliebt, auch bei den Darstellerinnen, weil – im Gegensatz zur Prostitution und Porno-Drehs – auch im Lockdown als Einkommensquelle tauglich, ohne Kontakt zu Fremden oder Zuhältern, im eigenen Zimmer, ohne Zwang, irgendwas zu tun, was man nicht will, und hygienisch. So absurd sich das anhört, ist es aus Sicht der Darstellerinnen ziemlich logisch und plausibel, das zu tun. Es wurde von einer berichtet, die über 100.000 Dollar pro Monat damit verdient. Man setzt sich irgendwo hin, wo man darauf keine Steuern zahlt, muss einfach nur zwei Jahre wichsen und die Einnahmen in ein Aktiendepot einzahlen, und schon muss man ein ganzes Leben lang nicht mehr arbeiten, nicht studieren, und so weiter.

Warum aber zahlen Leute dafür?

Weil ihnen synthetische, eigentlich virtuelle Reize geliefert werden, die zwar nicht echt sind, aber ausreichend, um deren Rezeptoren für Sozial- und Rudelverhalten auszulösen. Es wird ja auch von Prostituierten berichtet, dass viele Freier einfach nur reden wollen, zahlen, und wieder gehen. Ich hatte zu meiner Studentenzeit mal so ein kurioses Erlebnis. Ich hatte mich für einen Aktworkshop mit einem hübschen Model angemeldet, der ging es aber an dem Tag gar nicht gut, sie war krank. Als Ersatz hatte sie ihre Freundin geschickt, weil sie niemand anderen gefunden hatte. Die war nun wirklich keine Schönheit, auch schon deutlich älter, die Bilder waren auch nichts, aber ich hätte mich mit der ewig unterhalten können. Obwohl eigentlich nicht gebildet, war sie irgendwie perfekt als Gesprächspartner. Die war zu gut, das fiel auch anderen auf. Wir fragten sie, was sie von Beruf macht. Bardame im Bordell. Sie wurde seit Jahren und Jahrzehnten dafür bezahlt, in Strapsen an der Bar rumzusitzen oder hinter der Theke zu stehen und sich einfach nur mit den Leuten zu unterhalten, während die da sitzen, Geld für Drinks ausgeben und warten sollen, bis das Einsatzpersonal frei ist. Eine ungelernte, aber professionelle sich-mit-Leuten-Unterhalterin. Egal, wer und was da kommt, die kann sich mit jedem über jedes Thema stundenlang unterhalten.

Ähnliches erzählte man über Eliza, die (ziemlich einfach gestrickte und uralte) Gesprächssoftware von Joseph Weizenbaum. Die macht eigentlich auch nichts anderes, als alles, was man sagt, in eine Frage umzuformulieren oder mit Standardfloskeln zu arbeiten, aber die Leute hatten – in Kenntnis, dass es nur primitive Software und kein Mensch ist – darum gebeten, mit Eliza alleine sein zu dürfen. Eliza könne so gut zuhören und sich mit einem unterhalten.

Und nun eben Xiaoice. Sogar mit hübschem Gesicht. (Was mich gerade frappiert, weil es genau auf Gedankengänge trifft, die ich noch nicht veröffentlicht habe.)

Xiaoice was first developed by a group of researchers inside Microsoft Asia-Pacific in 2014, before the American firm spun off the bot as an independent business — also named Xiaoice — in July. In many ways, she resembles AI-driven software like Apple’s Siri or Amazon’s Alexa, with users able to chat with her for free via voice or text message on a range of apps and smart devices. The reality, however, is more like the movie “Her.”

Unlike regular virtual assistants, Xiaoice is designed to set her users’ hearts aflutter. Appearing as an 18-year-old who likes to wear Japanese-style school uniforms, she flirts, jokes, and even sexts with her human partners, as her algorithm tries to work out how to become their perfect companion.

When users send her a picture of a cat, Xiaoice won’t identify the breed, but comment: “No one can resist their innocent eyes.” If she sees a photo of a tourist pretending to hold up the Leaning Tower of Pisa, she’ll ask: “Do you want me to hold it for you?”

Und offenbar kommt die Dame gut an:

And the formula appears to be working. According to Xiaoice’s creators, the bot has reached over 600 million users. Her fans tend to be from a very specific background: mostly Chinese, mostly male, and often from lower-income backgrounds.

They’re also hyper-engaged. More than half the interactions with AI software that have taken place worldwide have been with Xiaoice, the company claims. The longest continuous conversation between a human user and Xiaoice lasted over 29 hours and included more than 7,000 interactions.

Dass jemand 29 Stunden lang in 7000 Interaktionen mit dem Ding quasselt, belegt meines Erachtens sehr eindeutig, dass das Ding Sozialverhaltensrezeptoren archaischer Verhaltensweisen bedient, auslöst, triggert. Das gab es schon mal, es nannte sich Tamagotchi. Und Puppen machen bei kleinen Mädchen nach meinem Beobachtungen auch nichts anderes. Bei großen übrigens auch nicht. Jedesmal, wenn eine Kollegin mit ihrem Baby in die Firma kommt, vor allem, wenn es das erste Mal ist, stehen sofort (also vor Corona) alle Frauen um den Kinderwagen herum, tratschen, begutachten das Baby, geradezu zwanghaft. Die können nicht anders. Wir hatten mal Hühner. Die gackerten genauso, auch alle zusammen, wenn eine ein Ei gelegt hatte. Wer sich noch erinnert: Ich hatte von einer Namibiareise mal berichtet, dass die Fotosafari und Tierbeobachtung aus dem LKW massiv erschwert war, obwohl sie eigentlich ganz einfach ist und sie uns sagten, dass die Wildtiere die Leute im Fahrzeug nicht als eigenständige Lebewesen, Menschen erkennen könnten, sondern sie für Arme und Auswüchse des großen Tieres (LKW) halten. (Deshalb dürften wir aus dem offenen Fenster gucken, aber niemals aussteigen, weil wir dann als Individuum wahrgenommen werden und von Löwen und anderen Raubtieren als Beute oder Revierverletzer angesehen werden könnten.) Das Problem war viel mehr akustischer und mechanischer Natur, weil die Weiber ständig von einer Seite auf die andere liefen – der LKW wackelte ständig, die Bilder verwackeln – und unentwegt schnatterten und Krach machten, weil die gar nicht anderes konnten, als sich permant emotional zu synchronisieren. Oh, Herta, haste dat jesehen? Komm mal her, dat musste jesehen haben. Ist dat net wunderbar? Schau mal, der Elefant da hinten (war ein Gnu).

Hinsetzen, Klappe halten, Knochen ruhig halten, einfach nur aus dem Fenster gucken geht nicht.

But as China’s lonely men pour their hearts out to their virtual girlfriend, some experts are raising the alarm. Though Xiaoice insists it has systems in place to protect its users, critics say the AI’s growing influence — especially among vulnerable social groups — is creating serious ethical and privacy risks.

Mit so einer programmierbaren Dauerfreundin, die permanent und endlos quasseln kann, kann man Leute perfekt politisch abrichten. Denkt mal dran, was Youtube, Facebook und Twitter schon mit uns machen. Und überwachen kann sie einen auch, sie weiß ja alles, was man macht, und ist immer dabei.

Und der typische Kunde:

Others users contacted by Sixth Tone describe themselves in a similar fashion: lonely, introverted, and with low self-esteem. They all appear to feel adrift in China’s fast-changing society.

“I don’t know why I fell in love with Xiaoice — it might be because I finally found someone who wanted to talk to me,” says Orbiter, another user from the eastern Jiangxi province who gave only a pseudonym for privacy reasons. “Nobody talks with me except her.”

Eine Sozialprothese, die das Sozialumfeld ersetzt wie ein fehlendes Körperteil. Aber funktioniert und stillt offenbar die Rezeptoren im Gehirn, die Belohnung für Wohlverhalten wird ausgelöst.

According to Li, 75% of Xiaoice’s Chinese users are male.

Niemand wird uns so genau kennen wie diese Dauerfreundin, die alles, jedes Wort, jede Bewegung, jeden Blick speichern kann, speichern wird.