Ansichten eines Informatikers

Digitalisierung frisst ihre Mütter: 40 Jahre Kamera-Wachstum futsch

Hadmut
10.12.2020 22:25

Sind gerade die Dinosaurier wieder gestorben?

Die hier meinen, das Smartphone habe die Kameraindustrie wieder auf die Größe von vor 40 Jahren zurückgeworfen und damit 40 Jahre Wachstum plattgemacht.

Nette Graphik.

Es stellt sich aber die Frage, ob das Smartphone die Kameras wirklich plattgemacht hat, oder ob die Kameras in der Zwischenzeit einfach nur die Zwischengewinner auf dem weg in die Digitalisierung waren, weil nicht alles gleichmäßig ging.

Denn vor 40 Jahren machten die Kamera-Hersteller einen ersten Elektroniksprung. Ich hatte mich ja damals schon sehr umfangreich mit Kameratechnik beschäftigt, weil man Vater alte Kameras gesammelt hatte, und ich die immer erst mal zur Begutachtung, Reinigung, kleinere Reparaturen, Funktionstest bekam, und deshalb einen recht guten Überblick über die Kameratechnik bis in die 60er Jahre hatte. Im wesentlichen mechanisch, Blitzgeräte mit Blitzbirnen, die man einmaligem Blitz dann wegwerfen musste. Elektrisch war da nur die Batterie für die Blitzbirne – manchmal nicht mal das, weil die Blitzwürfel und Blitzschienen für Kompaktkameras damals sogar wie auf einer Streichholzfläche durch Bewegung mittels einer gespannten Feder ausgelöst wurden – und die Belichtungsmesser mit Selen-Zelle, die nicht mal eine Batterie brauchten, aber auch nur die Qualität eines Schätzeisens erreichten, weil immer so eine Brachialintegralmessung.

In den Siebziger Jahren ging das dann los mit Elektrizität und Batterien in den Kameras, vor allem, weil die ersten Winder (Motoren für den Filmaufzug) kamen, die 70er Jahre haben wir aber bis auf ein paar Ausnahmen weitgehend übersprungen, auch weil es eben damals „neu” und nicht zum Sammeln war. Die Rollei 35 war damals so eine Super-Kamera, aber noch mechanisch und aus Metall. Die Minox 35 war ähnlich gut, aber hatte schon so ein Erscheinungsbild nach Plastik (obwohl teils beschichtetes Metall), ich hatte so eine, und die war richtig gut, aber schon mit Elektrik, die brauchte eine Batterie.

Erst mit den Achtziger Jahren kam dann so ein richtiger Schub, der meinen Vater dann auch dazu brachte, seine heißgeliebte (und sehr gute) Zeiss Ikon Contaflex Super von der aktiv eingesetzen Kamera zum Sammelzeugs zu verfrachten und durch eine topmoderne Canon AE-1 zu ersetzen. Mit der Contaflex konnte (und musste) man die Grundprinzipien noch so richtig gut lernen, die AE-1 dagegen war damals schon eine ziemlich automatische Kamera, kurz darauf ersetzt durch die AE-1 Program und dann die A-1, die eigentlich so den Zeitpunkt markierte, als die Digitaltechnik Einzug in den (Semi-)Amateur und allgemeinen Profikamerabereich hielt, weil deren Funktionen, nämlich Belichtungszeit und Blende zu wählen, nicht mehr durch einfache Analogschaltungen zu machen waren, und dann auch die Verschlüsse elektronisch gesteuert wurden.

Minolta brachte damals mit der 7000 den brauchbaren und bezahlbaren Autofokus heraus, die 7000 sah aber noch ziemlich altbacken nach 70er-Jahre-Kamera aus. Kurz darauf wurde sie durch die sehr viel moderner und windschnittiger aussehende Dynax 7000i ersetzt, die ich mir als Student damals gleich kaufte, mühsam zusammengespart und -gearbeitet. Und das war dann schon richtig moderne Elektronik, mit LCD auf der Oberseite, alles per elektronischen Tipptasten, zusätzliche Softwarefunktionen als kleine Kärtchen zum Einstecken (und leider sauteuer separat kaufen, üble Masche). So um 1988.

Und genau das hat dem Kameraboom ausgelöst:

Moderne Kameras, die alles automatisch machen, Belichtung und Autofokus. Man muss es nicht mehr lernen, man muss es nicht mehr machen, die Ausbeute ist höher und die Kamera viel schneller. Auf einmal kann man richtige Schnappschüsse machen, die vorher nur mit popeligen Fixfokus-Kameras (Agfa: Ritsch-Ratsch-Klick!) drin waren.

Dazu wurde, was man nicht so merkte, auch die Filmentwicklung mit elektronik aufgedonnert und dadurch kleiner und billiger gemacht. Es gab dann diese Minilabs, mit denen man direkt im Supermarkt hinter der Kasse Filme in einer Stunde enwickeln und abziehen lassen konnte.

Könnt Ihr Euch noch erinnern, wie man früher die belichteten Filme irgendwo im Elektronikmarkt zum Entwickeln abgab und dazu in eine Papiertüte steckte, die man beschriftete, und die dann Tage später sortiert nach dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens dort wieder abholte?

Das war wichtig. Denn noch bis in die Siebziger musste man Filme zum Entwickeln und Abziehen ins Fachgeschäft bringen (oder sie im eigenen Labor entwickeln).

Auf einmal ging das alles

  • schnell
  • bequem
  • einfach
  • relativ zu vorher billig

Weil man eine Teildigitalisierung hatte. Herkömmliche Technik teilweise mit Elektronik aufgemotzt, so gut es damals eben ging.

Auch bei den Digitalkameras war es so, dass sie im Prinzip immer noch ein Hybrid waren, den Spiegel und die Mechanik brauchten.

Erst mit dem Handy hat man im Prinzip alle Digitaltechniken wieder zusammen in einem Gerät und in einer bis dahin nicht möglichen Qualität Fotos einer winzigen Kamera. Ich hatte mal eine Minox-Agentenkamera und einen passenden Diaprojektor dazu, und obwohl die Dias damals schon etwas größer waren als die Sensoren in den Handys heute war die Bildqualität schier unterirdisch. Jetzt hat man alles, einschließlich der Bildbe- und -verarbeitung, Anzeige, Versand, in einem einzigen Gerät, ohne noch Speicherkarten herumstecken zu müssen.

Die Frage ist also, ob das Handy wirklich den Kameramarkt erledigt hat, oder ob der Kameramarkt einfach nur 30-40 Jahre lang davon profitiert hat, dass es eine Digitalisierung gab, aber sie noch in der Entwicklung war und deshalb nicht ohne Kamerakorpus auskam und alle paar Jahre veraltet war und ersetzt werden musste.