Ansichten eines Informatikers

Genossen und Kameraden

Hadmut
20.7.2020 11:34

Ein Leser weist mich noch auf eine Anomalie in den angeblichen NSU-2.0-Drohmails hin.

Nochmal zu diesem Screenshot:

Der Leser meint, da wäre ein Denkfehler drin. „Auf Befehl der Kameraden” gehe gar nicht, weil man als „Kameraden” nur Leute auf gleicher Ebene, Gleiche, bezeichnet. Nicht aber Vorgesetzte.

Man könne deshalb von „Kameraden” keine Befehle erhalten, sonst wären sie ja keine Kameraden. Niemand würde sich in diesen Kreisen so ausdrücken.

Der Leser meint, wer sich so ausdrücke, müsse einen Sprachhintergrund haben, in dem „Genossen” der zentrale Begriff ist, der dann einfach in „Kameraden” übersetzt wurde, weil man das wohl für eine Übersetzung von Links- auf Rechtssprech gehalten habe. Im Gegensatz zu „Kamerad” bezeichne „Genosse” nämlich auch Vorgesetzte.

Der Leser hält die im Screenshot gezeigte Drohmail deshalb für nicht authentisch.

Jetzt, wo der mir das so schreibt … scheint plausibel. Weil „Genosse” eben ideologisch-gleichmacherisch aufgeladen ist (Beispiel: der Genosse Staatsratsvorsitzenden Honecker. Oder der Genosse Minister. Oder der Genosse General), man will ja damit explizit ausdrücken, dass alle auch in der vertikalen Hierarchie irgendwie gleich sind, was beim „Kamerad” (meines Wissens) nie der Fall war. Ich verwende den Begriff „Kamerad” in einem aktiven Wortschatz gar nicht, ich habe dafür keine Verwendung, deshalb ist er mir nicht so geläufig. Aber er kommt mir synonym wie „Die Gefährten” aus Herr der Ringe vor, plus etwas Militärsprache obendrauf. Aber nicht vertikal, nur horizontal, was die Hierarchie angeht. Wenn ich so drüber nachdenke: Ja. In meinem Grundwehrdienst vor 35 Jahren wurden auch nur die Leute aus der eigenen Gruppe mit gleichem Dienstgrad als „Kameraden” bezeichnet. Und zwar genau deshalb, weil das Kameradschaftsverhältnis das Gegenstück zum Vorgesetztenverhältnis war. Wenn der Vorgesetzte was von einem will, macht man es, weil der den Befehl gegeben hat. Wenn der Gleiche aus der Gruppe was von einem will, macht man es wegen der Kameradschaft. Kameradschaft war der Verhaltenskodex, wenn kein Befehl vorliegt.

Der Einwand erscheint mir jedenfalls nicht abwegig. Dazu noch diese gegenderte Sprache und die überladene Verzierung mit Nazi-Phrasen wie bei einem überschmückten Weihnachtsbaum…