Ansichten eines Informatikers

85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff

Hadmut
2.7.2020 22:55

Abstufungen von Besorgtheit.

Nach dieser Meldung soll Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt haben:

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist besorgt über die großen Lücken in den Munitions- und Sprengstoffbeständen des Kommandos Spezialkräfte (KSK). […]

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die vermissten 85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff „abgezweigt“ worden seien, sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch vor Journalisten. Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn betonte: „Das ist wirklich ein Gefährdungspotenzial, das sich dahinter aufbaut.“

Im Zuge der Ermittlungen beim KSK nach einer Serie von rechtsextremistischen Vorfällen war festgestellt worden, dass der Verbleib der großen Mengen von Munition und Sprengstoff nicht geklärt ist. „Das ist keine Kleinigkeit“, sagte Zorn. Das seien Mengen, die durchaus auch bei Attentaten eingesetzt werden könnten. Kramp-Karrenbauer sagte, es sei zwar auch möglich, dass es sich um einen Fehler in der Buchhaltung handele oder die Munition im Einsatz geblieben sei. „Es kann eben auch sein, dass wirklich abgezweigt worden ist“, betonte sie aber.

Schlimmer als das Fehlen von Munition und Sprengstoff finde ich, dass davor „könnte” steht. Und dahinter „ungeklärt”.

Das finde ich jetzt völlig unvertretbar: Sie wissen nicht einmal, ob es ihnen fehlt. Was herrschen da für Zustände?

Mein Grundwehrdienst liegt 35 Jahre zurück. Da gab es meines Wissens noch keine Computer bei der Bundeswehr (außer dem Commodore C16 in meinem Spind, den ich mir gekauft hatte, weil er in das Privatfach passte). Es gab noch mit Röhren betriebene Analogrechner in der Größe eines Sarges, die man mit einem Stromerzeuger mit Zweitaktmotor versorgen musste. Das Funkgerät in meinem Iltis war Analog, zum Frequenzwechsel drehte ein Motor die Trommel mit den mechanisch eingestellten Frequenzgliedern.

Trotzdem führten wir exakt Buch über jede einzelne Patrone. Ich kann mich noch erinnern, wie fassungslos die Amerikaner, mit denen wir mal auf einem Truppenübungsplatz waren, schauten, als sie unser Zählungstheater miterlebten. Als ich zum Schießen dran war, wurde ins Schießbuch eingetragen, dass ich da jetzt genau 5 Patronen erhalten habe, die mit einer ganz bestimmten Handbewegung (der eine hält die flache Hand mit den fünf Patronen hin, der andere zählt nach, legt seine Hand flach darauf, dann dreht man seine Hände und sagt dazu „Fünf Schuss richtig übergeben – Fünf Schuss richtig übernommen”.

Auf Wache gab es ein Brett mit 10×10 Bohrungen für 100 Schuss, das exakt gefüllt übergeben werden musste, damit man auf den ersten Blick sieht, ob die Munition vollständig ist. Man erzählte mir, dass es mal einen außerordentlichen Vorfall gegeben habe. Einem sei mal beim Entladen ein Schuss losgegangen. Weil das aber jede Menge Papierkram und Ärger bedeutet, wollte der Vorgesetzte die fehlende Patrone mit einer Notfallreservepatrone ersetzen, die er mal irgendwo abgezweigt hatte (beim MG-Schießen kann man nicht kontrollieren, ob die auch wirklich alle verschossen wurden). Es kamen aber zwei Vorgesetzte auf dieselbe dumme Idee und stellten eine Ersatzpatrone dazu, und dann wurde nicht eine zu wenig an die nächste Wache übergeben, was ja noch irgendwie nachvollziehbar gewesen wäre, sondern eine zuviel. Und das gab richtig Ärger. Da wurden dann sämtliche Zimmer und Spinde gefilzt.

Mir wurde damals auch erzählt, dass irgendeine Kompanie irgendwo das Sprengen von Bäumen üben wollte (braucht man zum Straßensperren) und die mit „Sprengmasse formbar” (ähnlich wie Marzipan) umwickelt hatte, als gerade dann, als sie sprengen wollten, einer mit einer einstweiligen Verfügung vom Gericht ankam, weil es da einen archäologisch wertvollen Frühzeitfriedhof gab. Weil es aber keine Sprengung gab, standen die dann da stundenlang herum und haben das Zeug mit dem Taschenmesser aus der Rinde gekratzt, weil die Masse nach Gewicht wieder vollständig sein musste.

Wir hatten rund um den Exerzierplatz viele kleine Munitionsbunker, die ständig überprüft wurden. Inventur.

Und heute, im Zeitalter von Computern, digitalen Waagen, Barcodes, RFID-Chips, aber auch Terror wollen die nicht wissen, ob ihnen 85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff fehlen oder auch nicht?

Moment mal.

War nicht Ursula von der Leyen jahrelang Verteidigungsministerin und hatte die nicht McKinsey und Accenture hunderte Millionen gezahlt, um Bestellwesen und Versorgungslogistik zu modernisieren, und die wissen nicht mal, ob ihnen 85.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff überhaupt fehlen oder nicht?

Was haben die da gemacht?

Wie will man die Versorgung mit Munition und Sprengstoff sicherstellen und organisieren, wenn man nicht mal weiß, wieviel man hat und wo?