Ansichten eines Informatikers

Wie aus Universitäten Ideologiehöllen wurden

Hadmut
22.3.2019 1:27

Beachtliche Analyse.

Die Neue Zürcher Zeitung hat ein hoch lesenswertes Interview mit einem Professor namens Niall Ferguson: «Als Rechter bist du ein potenzieller Nazi. Kommunisten hingegen sind moralisch einwandfreie Sozialdemokraten»

Er zählt zu den wichtigsten Historikern der Gegenwart. Im grossen Gespräch rechnet Niall Ferguson mit dem Wohlfühldenken vieler Kollegen ab: Er legt offen, wie die Linke die angelsächsischen Universitäten gekapert hat. Und wie jene, die ständig von Inklusion sprechen, Andersdenkende konsequent exkludieren.

Das ist ja schon länger bekannt, dass sie von Toleranz und Inklusion reden, in Wirklichkeit aber alles meucheln, was nicht exakt der diktierten Einheitsmeinung entspricht.

Der Philosoph Allan Bloom beschrieb bereits 1987 eine Tendenz, die er «the closing of the American mind», das Sich-Verschliessen des amerikanischen Geistes, nannte. Seine Hauptthese könnte aktueller nicht sein: Ein kultureller Relativismus killt das kritische Denken und das anständige Verhalten. Erleben wir gegenwärtig die Wiederkehr einer alten Debatte?

Nicht ganz – Bloom bezog sich, wenn ich so sagen darf, auf die guten alten Zeiten. Und ich würde mich freuen, hätten wir es heute bloss mit seiner Sorge über einen wachsenden Relativismus zu tun. Dann hätten wir guten Grund, darüber zu lachen und uns zu entspannen. Doch es steht viel mehr auf dem Spiel.

Der Psychologe Jonathan Haidt hat jüngst ein Buch mit dem Titel «The Coddling of the American Mind» publiziert. Und das Kuscheln des amerikanischen Geistes ist zweifellos viel folgenschwerer als dessen Sich-Verschliessen.

Das zentrale Problem ist, dass sich die Universitäten von Orten der Wissenschaft und Arbeitsplätzen der Wissenschaftler in einen Versammlungs- und Finanzierungsort psychisch gestörter und kranker Menschen verwandelt haben. Abstruserweise ist diese Entwicklung in den USA vor sich gegangen und wir haben sie hier ohne Not und Anlass nachgeahmt. Stellt Euch vor, in Afrika sterben Menschen an Ebola, und hier ist es Zeitgeist, die Krankheitssymptome zu imitieren, ohne eigentlich die Krankheit zu haben.

Es geht dabei nicht um ein intellektuelles, sondern um ein moralisches Problem – die Hypersensibilität von Studenten. Aus Angst, Ideen könnten schmerzen, wollen sich die jungen Leute mit ihren unangenehmen Ideen gar nicht mehr beschäftigen. Studenten sind zu Schneeflocken geworden, die man vor gefährlichen Gedanken beschützen muss – und das an Universitäten, die es letztlich nur zu dem einzigen Zweck gibt, dass ein freier Ideenaustausch stattfinden kann.

Universitäten als Luftschutzbunker gegen Gedankeneinschläge.

Das ist eng verstrickt mit linker Ideologie: Der Gleichheitswahn drückt Leute in Universitäten, die da einfach falsch und überfordert sind, und umgekehrt brüten die Universitäten dann wieder linke Ideologien aus.

Die Korrektheit siegt über die Wahrheit. Aber es ist doch letztlich nur eine kleine Minderheit von Studenten, die diese Agenda publikumswirksam vorantreibt . . .

Sicherlich eine Minderheit, aber eine machtvolle. Viele Professoren und Verwalter sind längst eingeknickt. […] Nicht nur die Geister einzelner Individuen machen dicht, nein, die Institutionen selbst beginnen sich abzuschotten.

Dabei spielen die Medien eine große Rolle. Die Medien sind die Maschine, die Minderheiten als Mehrheiten und Mehrheiten als Minderheiten und Randgruppen darstellt.

Die Linken haben die Macht übernommen

Der Stimmungswandel, der in den letzten dreissig Jahren stattgefunden hat, ist tiefgreifend. Ich muss es so direkt wie simpel sagen: Die Linken haben die Macht übernommen. Und sie, die sich in der Theorie für die Inklusion starkmachen, haben in der Praxis alle Andersdenkenden konsequent exkludiert.

In den 1980er Jahren hiess es: Vielfalt an Ideen, Positionen, Zugängen. Heute heisst es: Diversität von Hautfarben, Geschlecht, sexuellen Präferenzen.

Exakt das, was ich über Feminismus so oft schreibe: Die völlige Beschränkung auf das Vegetativ-Genitale ohne Beteiligung von Gehirn. Genau das hat sich der Universitäten bemächtigt.

Es gab in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten eine breit geteilte intellektuelle Neugierde, eine echte Vielfalt der Gebiete und Themenzugänge, es fanden richtige Debatten statt, die von Erzkonservativen bis hin zu Marxisten geführt wurden. Man konnte alles sagen, was Hand und Fuss hatte, alle Thesen waren debattierwürdig. Man schenkte sich nichts – aber man achtete sich. So war es damals in Oxford. […]

Heute herrscht ein Regime, das sich von einer solchen offenen akademischen Gesellschaft nicht stärker unterscheiden könnte. In diesem Regime sind Professorinnen von Gendergeschichte gefragt, ein neuer Professor für – sagen wir – Militärgeschichte ist im Gegenzug undenkbar geworden.

Komplett verblödet. Gezielt verblödet. Man brauchte Ideologiereaktoren, schnelle Brüter.

Und deshalb geht damit auch ein völliges Absaufen in Wissenschaftsbetrug und ganz allgemein Betrug einher:

Anders die sogenannt Progressiven – sie sind oftmals die eigentlichen Karrieristen, und ihre Schriften dienen ihnen bloss als Mittel zum Zweck. Darum legen sie oftmals auch wirklich lausige Aufsätze und Bücher vor. Aber das spielt keine Rolle, denn auf die richtige Herkunft kommt es an. Wenn heute ein Professor für moderne deutsche Geschichte an einer amerikanischen Fakultät emeritiert wird, nun, dann wird er eben durch eine junge Professorin mit Schwerpunkt Geschichte der amerikanischen Ureinwohner ersetzt. Und es ist ja nicht so, dass ich mir das irgendwie zusammenreime – ich habe dreissig Jahre lang aus nächster Nähe beobachtet, was geschah. Der Begriff der Diversität hat sich fundamental gewandelt und in sein Gegenteil verkehrt.

„Diversität” ist eine Verschiebung. Früher war es egal, wer man war, und wichtig, dass man etwas konnte. Inhaltlich-gedankliche Diversität war gefragt.

Für Ideologiemeiler und Versorgungszentren braucht man aber geistige Uniformität, und die Diversität täuscht man dann mit Hautfarben, Geschlechtern, Sexuellen Präferenzen vor.

Und wir tun in den USA nicht einmal mehr so, als wären wir ein meritokratisches System – was zählt, sind die richtigen ethnischen und sexuellen Merkmale.

In den 1980er Jahren hiess das: Vielfalt an Ideen, Positionen, Zugängen. Heute heisst es: Diversität von Hautfarben, Geschlecht, sexuellen Präferenzen. Die neue Diversität ist das Gegenteil von echter Vielfalt. In ihrem Namen werden all jene diskriminiert, die nicht der gewünschten Weltanschauung entsprechen.

Das haben wir 1:1 nach Deutschland kopiert.

Intellektuell und wirtschaftlich sind die Linken Versager. Aber man hat es geschafft, das alles ins Kulturelle zu verschieben:

Aber was lange verborgen blieb, war die Tatsache, dass die Linke schon damals sehr erfolgreich einen kulturellen Kampf gegen das Establishment führte. Unterstützung dafür fand sie in der Frankfurter Schule, in Michel Foucault und der French Theory – und irgendwann wurden die Jammer- oder Beschwerdestudien als Disziplin erfunden.

Dazu brauchen sie freilich viele, viele Dumme als Treibstoff. Und die findet man auch hierzulande mehr als genug. Und mit denen betreibt man heute die Universitäten:

Im Zentrum dieser Disziplinen stehen die Beleidigten und Empörten, also zusammengefasst: die Opfer. Die Palette reicht von Identity-Politics über Intersektionalität – womit die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung gemeint ist – bis hin zu Gender und African-American Studies. Dabei gibt es einen gemeinsamen Nenner: Es galt und gilt, den Kanon der toten weissen Männer zu dekonstruieren.

Ja. Es geht nur ums Kaputtmachen. Mehr können sie nicht.

Der unterdrückende weisse Mann, der die Schuld trägt an allem Bösen in dieser Welt – das ist doch ein Klischee.

Klar. Aber der Topos hat sich in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten – jedenfalls der angelsächsischen Welt – durchgesetzt.

Wie gesagt – das Dumme an sich geht von den Geisteswissenschaften aus – und gleichzeitig schreiben mir immer wieder Geisteswissenschaftler, dass doch alles Wissen, die Mathematik, die Erkenntnis, alles von den Geisteswissenschaften abhänge.

Die Realität ist aber, dass sie nur noch dumm und korrupt sind, schon lange nichts mehr hervorbringen, nur noch Schaden anrichten. Die Geisteswissenschaften brüsten sich, die Wissenschaft hervorgebracht zu haben, sind aber so dumm und blind, dass sie nicht merken, dass sie sie alle gerade vernichtet haben.

Sie sind nicht einfach nur dumm, sondern sie sind so dumm, dass sie alles zerstören und sich dabei einbilden, Schöpfer und Grundlage zu sein. Völlig außer Stande, die eigene Position und die eigenen Handlungen zu werten, aber sie nehmen für sich in Anspruch, als Lieferant der Erkenntnistheorie alles Wissen erst zu ermöglichen.

Und was in der akademischen Welt in den letzten dreissig Jahren stattgefunden hat, vollzieht sich nun in den staatlichen Verwaltungen und zunehmend auch in den börsenkotierten Unternehmungen.

Das ist der Strudel, in den ich da reingeraten bin.

Was mir Sorgen macht, ist die Verarmung des intellektuellen Diskurses. Nicht mehr die Geschichte der Eliten war seit den 1980er Jahren von Interesse, sondern nur noch die Geschichte der Unterdrückten oder jener, die sich selber dazu stilisierten. Und die neuen Akademiker verfolgten – machtpolitisch klug und sehr erfolgreich – ihren Eigennutz und ihre Karriere konsequent. Wer sich weiterhin für die Geschichte des Kanons interessierte, wurde ausgebootet.

Ausgebootet. Ich dachte früher mal, ich wäre ein Einzelfall. Es wäre nur mir so gegangen. Aber im Lauf der Jahre habe ich durch die vielen Zuschriften und Anrufe von Lesern gemerkt, dass es hunderte, tausende solcher Fälle gibt.

Nur: Das war hauptsächlich in den ersten 10 Jahren meiner Webseite. Da haben mich auch noch unheimlich viele Leute wegen Prüfungsrecht konsultiert. So ab ungefähr 2011 hat das stark nachgelassen. Da waren die Umbauten dann wohl schon weit fortgeschritten.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen?

Ganz ehrlich: Ich weiss es nicht. Der Rahmen des Sagbaren im akademischen und öffentlichen Raum hat sich in den letzten Jahren drastisch verengt. Evidenzbasierte Argumente spielen keine Rolle mehr. Es gewinnt, wer die lautesten Unterstützer hat, und es verliert, wer um seine Reputation fürchten muss.

Analysefehler. Wie die Frage nach der Therapie, wenn der Patient schon tot ist. Diese Universitäten sind nicht mehr zu retten. Jedenfalls nicht bei uns. Während man in den USA das geisteswissenschaftliche Dummvolk trotz tenure über juristische Tricks und ganze Fakultätsschließungen wieder loswird, hat man sie bei uns verbeamtet. Die wird man nicht mehr los.

Wenn überhaupt, dann kann Geist nur noch außerhalb von Universitäten stattfinden.

Zur Funktionsweise:

Wenn eine Person attackiert und isoliert wird, dann wenden sich für gewöhnlich alle von ihr ab, auch die früheren Unterstützer, denn wer setzt schon gern seine eigene Reputation aufs Spiel? Sie ist unter Akademikern, Intellektuellen und Politikern das wohl höchste Gut. Die Logik geht so: Wer gegen die politisch korrekte Orthodoxie ist, ist ein Rassist. Und wer einen Rassisten unterstützt bzw. sich nicht deutlich von ihm abgrenzt, ist selber ein Rassist. Es braucht einigen Mut, um sich mit der eigenen Reputation gegen diese Logik der Verleumdung zu stellen. […]

So, wie Sie es schildern, tobt an der Akademie nicht nur ein Kultur-, sondern ein richtiggehender Machtkampf. Würden Sie das so sagen?

Ja. Ich brauchte ein paar Jahre, bis ich begriff, dass es nicht um die besten Ideen ging, sondern um die besten Tricks. […]

Und dann geht es plötzlich wieder um ein Thema, das ich auch schon im Blog hatte:

Ich war Student, als der Historikerstreit 1986 und 1987 stattfand. Das war zweifellos ein entscheidender Moment, in dem sich eine Art Dogma verfestigte, das weit über Deutschland hinausreichte. Ernst Noltes Erörterung über das Verhältnis von Kommunismus und Nationalsozialismus hatte einiges für sich – dass nämlich Letzterer nur als Reaktion auf Ersteren wirklich zu begreifen war, oder noch einfacher: dass beide gleich schlimm waren. Dagegen wandte sich Jürgen Habermas, der diese Sicht der Dinge als revisionistisch abtat – und er gewann den Streit.

Wie bzw. warum gelang ihm das?

Weil in den 1980er Jahren in der Akademie bereits eine sozialdemokratische Mehrheit den Ton angab, besonders in der deutschen Historikerzunft. Ernst Nolte und Michael Stürmer unterlagen gegen Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka und all die anderen aufstrebenden Historiker. Diese Entwicklung war nur konsequent, denn denken Sie daran: Hitler hatte den Zweiten Weltkrieg verloren, und Stalin hatte ihn gewonnen. Die Sowjetunion war am Ende auf der Siegerseite, die während und nach dem Krieg nach einer positiveren Sicht verlangte. Uns allen wurde der Holocaust in Schulen und Medien eher nähergebracht als Stalins Verbrechen. Es reicht, daran zu erinnern, wie isoliert Robert Conquest war, als er seine Bücher über ihn schrieb.

Ich schreibe ja häufig darüber, dass ich mit meiner Promotion in die Nachwehen des zweiten Weltkrieges und der Siegermächte geraten bin. Nun scheint es aber so, dass die gesamte linke Zerstörung der Wissenschaft eine Folge des Sieges Stalins über den Kommunismus-Gegner Hitler war. Das habe ich ja schon oft untersucht, dass es bei „Nazi”-Vorwürfen eigentlich nie um Juden oder Massenmord ging, sondern dass das Schlüsselwort für alles ist, was sich der Weltausbreitung des Kommunismus in den Weg stellt. Und der Schock durch Hitler-Deutschland beruht nicht etwa – wie immer vorgetäuscht – auf dem Grauen vor Millionen Toten. Sowas hätte Kommunisten noch nie gejuckt.

Es geht um das schiere Entsetzen darüber, dass sich jemand mit dieser Vehemenz und sogar mit weit nach Russland reichenden Angriffen dem Kommunismus entgegengestellt und dessen Ausbreitung erst einmal für Jahrzehnte gestoppt hatte. Ich habe früher schon geschrieben, dass manches dafür spricht, dass eher die Briten und die Amerikaner dahintersteckten, Hitlerdeutschland als Blockade aufzubauen, und Deutschland nur deren Prellbock, deren Strohmann, deren Watschenhansel war, und es nie um etwas anderes ging als die Grenze zwischen Ost und West.

Die Kommunisten waren überzeugt, die Welt einnehmen zu können, oder zumindest ganz Europa. Der Schock, dass sich jemand der als überlegen gewähnten Ideologie entgegenstellt, war so stark, dass selbst solche, die das nicht miterlebt haben, unter einer geerbten oder anerzogenen Feindpsychose leiden: Alles Nazis.

Heute führen Rot-Rot-Grün das Ansinnen der Kommunisten von 1918 weiter: Kommunismus über ganz Europa. Deshalb reden die ständig von Europa. Stalin is alive.

Mir fällt auf, dass Habermas da omnipräsent ist – so doof und doch so vieler Kultfigur und Autorität. Sogar im Verwaltungsgericht habe ich es erlebt, dass sich der vorsitzende Richter auf Habermas berief. Alle von Sinnen.

Habermas, der Verkünder der siegermächtlich verordneten Weltsicht.

Die Liberalen und Konservativen gewannen also den Kalten Krieg und bestimmten die Wirtschaftsordnung, die Sozialisten gewannen aber die kulturelle Hegemonie an den Universitäten und in den Medien. Ist das, maximal zugespitzt, Ihre These?

Das ist sie, kurz und knapp zusammengefasst. Ich stelle sie hiermit zur Debatte, und man möge mit Argumenten darauf entgegnen.

Nun, ich steige in die Debatte ein, aber ich bestätige sie.

Demnächst mehr von mir dazu.