Ansichten eines Informatikers

Holocaust-Gedenktag

Hadmut
27.1.2019 13:54

…und ein ranzig-fader Geschmack, der in den Augen zurückbleibt.

Für gewöhnlich betreibe ich morgens mit Tablet und/oder Handy eine gewisse Presse- und Social-Media-Schau und notiere mir, wozu ich dann abends etwas bloggen will, manchmal kommen über den Tag noch Gedanken dazu (und manchmal habe ich abends vergessen, was ich morgens so wichtiges bloggen wollte).

Heute gab es unzählige Gedenkbekundungen zum Holocaust-Gedenktag.

Wir gedenken der Toten, wir denken an die Opfer, es darf sich nie wiederholen, blablabla.

Reden so fad, monoton, ewig wiederholt wie geschmacklose Weihnachtsgrußkarten.

Ich hatte früher mal eine Phase, in der habe ich fleißig Weihnachtsgrußkarten verschickt. Sogar individualisierte, mit eingedrucktem „wünscht Hadmut Danisch”. Erstens, weil es billiger war. Sich die Dinger in Stückzahlen in der Druckerei drucken zu lassen ist deutlich billiger, als sie im Laden einzeln zu kaufen. Und spart Zeit. Anklicken, zugeschickt, fertig. Zweitens, weil es weniger Arbeit macht, man muss nur noch „Liebe …” draufschreiben. Drittens, weil man sie so auf Vorrat und immer welche parat hat, wenn man ganz kurzfristig noch welche braucht, weil man irgendwen vergessen hat. Notfalls kann man die auch am 25. noch morgens schnell irgendwo einwerfen. Der einzige Haken ist, dass wenn man von jedem Motiv – und ich habe mir da lustige, auffällige, keine langweiligen Standardmotive ausgesucht – einen Stapel auf Vorrat hat, muss man sehr aufpassen, dass man Leuten nicht die gleiche schickt wie letztes Jahr. Nimmt man nämlich solche Motive, die nicht sofort in den Mülleimer wandern, sondern auf dem Weg dahin noch ein oder zwei Sekunden Lacher hervorrufen, oder einfach auffällig sind, dann fällt den Leuten ein, dass sie die ja schon mal gesehen haben. Das wirkt dann negativer als gar keine zu schicken. Nach ein paar Weihnachten habe ich damit wieder aufgehört, es nutzt sich so ab. Irgendwo habe ich noch ein paar Restbestände der Karten, die ich für Notfälle aufgehoben habe, würde sie aber auch nicht auf Anhieb wiederfinden. Das Praktische ist ja, dass keine Jahreszahl draufsteht. Sie gehen immer.

Daran musste ich heute morgen denken. Vor allem, wenn sie einfach nur dastehen und einen Hashtag-Zettel vor die Kamera halten. 3-Sekunden-Gedenken. Ach, der lässt seine Massentod-Gedenk-Tweets in derselben Druckerei drucken wie ich damals meine Weihnachtsgrußkarten? Nicht mal das, denn die Zettel, die sie hochhalten, waren angeblich weiß, und wurden erst in der Bildberbeitung beschriftet, hieß es irgendwo.

Man lässt sein PR-Team einen Tweet mit irgendeinem Standard-Motiv raushauen, und schon hat man „der Toten gedacht” und sich als der Gute positioniert. Schnell, einfach, billig, bunt, massentauglich. Was man heute so unter „(Ge-)Denken” versteht. Ein Mausklick auf die Gedenkoption. So ähnlich wie diese AIDS- oder sonstwas-Gedenkschleifchen, die man sich an die Kleidung steckt. Immerhin muss man sich die Schleifchen noch an seine eigene Kleidung stecken. Twittern kann das PR-Team. Kennt Ihr den Witz vom Golfplatz? Wo ist denn Millionär X, den haben wir lange nicht mehr gesehen? Der ist jetzt so reich, der spielt nicht mehr selbst Golf, der lässt spielen. Und so gedenkt man heute nicht mehr selbst, man lässt gedenken. So wie man ja auch allgemein das Denken „outsourct”. An Consulting-Firmen und „Denkfabriken”. Das Gedenken lässt man sich heute professionell von Medien- und Gedenkberatern machen.

Denken und Gedenken sind heute, wie alles andere auch, zum reinen Gesinnungsbekenntnis verkommen. So, wie alles politisiert und auf die Gesinnungspositionierung reduziert ist. Tribalismus. Man hält sein Tribe-Zeichen raus und das war’s. Man signalisiert dem archaischen Teil des Gehirns seines Gegenübers mit ein paar Äußerlichkeiten oder charakteristischen Grunzlauten, dass man zur selben Herde gehört, um damit die Freund-Feind-Erkennung und dadurch das Freund-Verhalten auszulösen. Stallgeruch. In einer Welt, die man sich einfach dichotom in Nazis und Antinazis eingeteilt hat und Krieg gegen „die anderen” führt, ist es sehr wichtig, die Herdenzugehörigkeit herauszustellen. Ich bin’s, einer von den Guten.

Mal sollte mal das Licht einschalten und die nach-archaischen Teile des Gehirns gebrauchen.

Denn bei Licht betrachtet, bleibt vom Gedenken nichts übrig außer der geschmacklosen Praxis, sich Leid und Tot vor den politischen Karren zu spannen. Die moderne Medien- und Gesinnungspolitik ist eine Kutsche, die von Toten gezogen wird, weil ihr die lebenden Wähler ausgehen. Viele haben ja auch gar nichts anderes zu sagen, als ständig immer nur von einem Gedenken und Bekennen zum anderen zu stolpern. Man hangelt sich so durch. Gibt’s nicht endlich wieder irgendwas zu mahnen? Was machen wir eigentlich in der Zeit zwischen Holocaust-Gedenktag und Frauentag? Der Februar ist politisch unergiebig. Das ist alles so ein bisschen wie „Wann wir’s endlich wieder Weihnachten? Ich habe doch nur diese Weihnachtsgrußkarten…”

Gelegentlich nennt man sowas „instrumentalisieren”. Aber das ist wieder einer dieser Doppelbegriffe. Man kennt ja den Effekt, dass die Wortschätze und Semantikauffassungsfähigkeiten verkümmern, die Artikulationsfähigkeiten immer weiter verkümmern, und sich alles nur noch auf einen kleinen Satz aus Kategorienschubladen beschränkt. So etwas wie Verachtung, Geringschätzung, Missbilligung, Ablehnung, Unwillen, Aversion, Skepsis, und so weiter, das findet man im heutigen politischen und journalistischen Sprachgebrauch nicht mehr. Das schnurrt alles zusammen auf einen arg reduzierten minimalen, der Semantik, der Bedeutung, der gedanklichen Verbindung und Vorstellungskraft weitgehend entleerten, ideologisch vereinheitlichten Satz an Grundkategorien, auf die alles reduziert wird. Wie ein Kind im Kindergarten, das eben auch nur mit den Bauklötzen spielen kann, die in der Spielkiste sind. Seit Jahren nur noch das Gebelle Hass – Hass – Hass. Alles ist gut oder Hass. Das macht die Welt so einfach. Und deshalb auch so wichtig, ständig sein Standpunkt-Merkmal der Truppe zu zeigen. Früher nannte man das Trooping The Colour. Man führte Kriege und stellte sich seine Heere aus angeworbenen Söldnern (heute sagt man „Externe”) zusammen. Und damit man in der Schlacht auch wussten, für und gegen wen sie heute kämpften und in welche Richtung, trug man vor der Schlacht die Flagge vor ihnen her, damit sie wissen, wer die Guten sind und wen sie angreifen müssen. Machen die Briten heute noch, aber viel schöner als wir. Irgendwo las ich mal sowas in der Art, ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich die Zahlen noch genau in Erinnerung habe, dass es im Deutschen – je nachdem, wo man die Grenze zieht – so um die 80.000 Wörter gibt, und die Gebildetsten und literatesten Autoren auf aktive Wortschätze bis maximal 20.000 Wörter kommen. Die einfachsten Gemüter – oberhalb von Behinderung und Sprechfähigkeit – aber mit Wortschätzen so um die 800 oder darunter auskämen. Wobei für mich außer Frage steht, dass Journalisten und Politiker darin immer stärker vertreten sind. Wenn man die gesamte Welt auf nur noch 800 Begriffe aufteilt, müssen die Begriffsinhalt eben sehr weit und groß werden. Es würde mich brennend interessieren, die sprachliche Varianz und – oh, ja – Vielfalt von Politikern und Journalisten zu analysieren. Aber das geht ja nicht, weil man ja nie weiß, was wirklich von denen ist.

Auch werden bei uns ja phonetisch gleich klingende Silben semantisch nicht mehr unterschieden. Was auf -er endet, muss mit „er” zu tun haben. In den USA ist es wohl noch schlimmer, die unterscheiden ja zwischen for und 4 und zwischen and und + nicht mehr und so weiter. Sprachskorbut. Jedenfalls achtet man bei dieser Kategorien- und Begriffsarmut und trotz ideologischer Reduzierung sehr darauf, für jede Kategorie einen guten und einen schlechten Begriff zu haben, um die Kategorie nach der ideologischen Grammatik und dem jeweiligen Gesinnungs-Genus unterschiedlich deklinieren zu können. So nennt man es bei den einen „Gedenken”, bei den anderen „Instrumentalisierung”. Ist zwar das gleiche, aber so, wie man verschiedene Maßstäbe anlegt, legt man auch verschiedene Begriffe an.

Ist in dieser allgemeinen Rhetorik-Erwärmung eigentlich schon mal irgendwem aufgefallen, dass das alles inhaltlich nicht passt? Dass man die ganze Zeit über rhetorisch Holocaust mit „Fremdenhass” gleichsetzt? Instrumentalisiert?

Der Holocaust richtete sich gegen Juden. Und die waren in der weit überwiegenden Mehrheit keine „Fremden”, sie waren Deutsche. Wohnungsnachbarn. Freunde. Ehepartner. Verwandte. Verschwägerte. Kollegen. Ärzte. Nobelpreisträger für Deutschland. Keine Zuwanderer oder „Fremden”. Holocaust, Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus sind historisch und semantisch verschiedene Dinge. Zwar in einem Zusammenhang stehend, aber nicht deckungs- und bedeutungsgleich. Holocaust ist nicht Fremdenfeindlichkeit, weil sie ja nicht fremd waren. Auch hier werden wieder verschieden semantische Begriffe im Zuge ideologisierter Vereinfachung in eine Kategorie zusammengepackt und – eben instrumentalisiert. „Holocaust” rufen hilft gegen Fremdenfeindlichkeit, weil is’ ja das gleiche. Vielleicht sollte man mal fragen, ob nicht gerade die, die Holocaust und Fremdenfeindlichkeit als begriffsgleich ansehen, latent antisemitisch sind, weil sie damit Juden und „Fremde” gleichsetzen. Juden sind keine Fremden. Und sie waren es auch damals nicht. Schon die Herangehensweise ist latent antisemitisch. Insbesondere und umsomehr dann, wenn man die Sprachkriterien anlegt, die man auch für „sexistisch”, „frauenfeindlich”, „homophob” und so weiter von links angelegt hat.

Instrumentalisiert ja auch deshalb, weil der real existierende – ich nenne ihn mal – Neoantisemitismus aus drei Richtungen kommt:

Die Vorsitzende der Israelitschen Kultusgemeinde München und Oberbayern sagte der Zeitung, der Judenhass habe hierzulande wieder deutlich zugenommen. “Wir erleben ihn von allen Seiten – von der politischen Linken, von Rechtsextremen wie der AfD und von Muslimen, die den Judenhass mit einer Israelfeindlichkeit verbinden.”

Zwei der drei Judenhass-Komponenten – die quantiative Verteilung noch nicht berücksichtigt – werden also gerade von denen erzeugt, die so laut „Holocaust-Gedenken” schreien. Wir haben einen massiven linken (wohl propalästinensischen) Anti-Israelismus, der sich als Antisemitismus niederschlägt, und natürlich den migrantischen Importantisemitismus.

Wäre ich Zyniker, würde ich jetzt fragen, ob die Gesamtbilanz Rechtsradikaler unter diesen Bedingungen nicht eindeutig projüdisch ausfällt, weil es bei ihnen zwar frag- und zweifellos Antisemitismus gibt, sie das aber mit ihrer Ablehnung a) Linker und b) islamischer Migranten mehr als überkompensieren und in der Bilanz über Null und weitaus pro-jüdischer dastehen als alle Linken. Die empirische Beobachtung ist, dass die Zahl der Juden, die von Israel nach Deutschland migrierten, stieg, als wir noch „nur” Neonazis hier hatten, während sie wieder sinkt und die Leute die Flucht aus Deutschland ergreifen, seit wir unter linker Migrationspolitik stehen.

Da ich aber Analytiker bin, stelle ich eine andere Frage. Nämlich die nach Propaganda, Demagogie und Desinformation. Denn wie oben erläutert, werden Holocaust und Fremdenfeindlichkeit begrifflich gleichgesetzt, um auf die gefühlte Schiene „Alles Nazi, was nicht für Migration ist” zu kommen. Die Realität zeigt aber, dass hier semantisch entgegengesetzte, diametrale Begriffe gleichgesetzt werden. Denn wenn mit islamischen Migranten ein neuer Antisemitismus entsteht, dann steht ja semantisch die Migration und nicht die Migrationsfeindlichkeit in der Nähe von Holocaust.

Aber auch dann, wenn man das Thema Juden und Holocaust einmal ausspart und sich nur auf die Begrifflichkeit des Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit beschränkt, sieht man, wie selbstwidersprüchlich und demagogisch das Auftreten ist. Denn wie man in islamischen Gesellschaften – Saudiarabien, Pakistan, Vereinigte Arabische Emirate, Neukölln, Kreuzberg – beobachten kann, verfestigen islamische Gesellschaftsstrukturen ihren Tribalismus durch uniformiertes Auftreten. Kappe, Schleier, Bärte und so weiter. Geht man hier um die Ecke in den Supermarkt, sieht man auf den ersten Blick, wer mindestens da Muslim ist. Weil sie uniform(iert) auftreten und damit Tribe-Zeichen exponieren, im Gehirn jedes Empfängers die Tribalisierungsfunktionen und das Zurückweichen vor der Mehrheit auslösen. Genau so haben die Nazis mit ihren Uniformen und Symbolen auch funktioniert. Man kann nicht gleichzeitig gegen Nazi-Uniformen und für Kopftücher sein. Weil sie gleich funktionieren.

Und der Islam ist in seiner Struktur extrem tribalistisch und fremdenfeindlich, weil er von einem kompakten, einheitlichen Herdendenken (Gläubige) ausgeht, die zusammengehörig sind, und einem aggressiv bekämpften Feindbild alles anderen (Ungläubige, Kafir). Dazu kommen extreme nationalistische Ansichten, die sich etwa darin äußern, dass jedes weltliche, demokratische System abgelehnt und als einzige Staatsform der religiöse Staat mit der Scharia als Recht angesehen wird. Auch der einschlägige Kolonialisierungsdrang sieht nach Parallelen aus.

Auf sprachlich-demagogischer Ebene ist es also Desinformation, Migrationsgegner mit Nazis oder Rechten gleichzusetzen. Die Realität ist näher am Gegenteil, weil ja gerade durch die Migration nazioide Verhaltensweisen importiert werden, diese Politik also effektiv nazophil ist.

Es stinkt alles so danach, gleichzeitig „Nie wieder!” zu brüllen und eben das gerade wieder neu zu importieren.

Anders macht es der Seehofer: