Ansichten eines Informatikers

Umgekippt

Hadmut
20.6.2018 21:57

Wenn’s einen aus der Kurve wirft. Nachtrag:

Ein Leser weist mich nach meinem Hinweis auf die bittere Fahrzeugnot bei der Feuerwehr auf diesen Artikel hin, wo man („Fahrerin”) bei einer Übungsfahrt auf dem Gelände eines Verbrauchermarkts einen LKW umgeworfen hat.

Der Leser meint, die sei wohl zu schnell/sportlich in die Kurve gegangen.

Das muss es nicht. Das kann auch eine mangelhafte Einweisung in das Fahrzeug sein.

Ich möchte da mal wieder eine Anekdote aus dem Schatz meiner Lebenserfahrung zum Besten geben. Als ich bei der Bundeswehr im Grundwehrdienst war, musste ich zu meinem Leidwesen auch Wache schieben. Dazu gehörte manchmal auch das Bewachen des technischen Bereiches, in dem viele LKW verschiedener Einheiten in den Hallen standen. Die Hallen und den ganzen technischen Bereich kann ich da gut, denn da hatte ich ja vorher selbst meinen LKW-Führerschein gemacht.

Wir waren da immer zu zweit unterwegs.

Eines Nachts fiel uns auf, dass an einem Hallenkomplex eine Tür nicht richtig verschlossen war, weshalb wir da – mit durchgeladener, entsicherter und vorgehaltener Knarre – die Halle innen kontrolliert haben. Eigentlich mehr als Gelegenheit, die Langeweile zu vertreiben. Niemand drin, keine Gefahr.

Wie wir da also alles mal durchgucken, stehe ich vor einem der LKW, einem sogenannten Bohrgerät, schaue von vorne drauf, und denke, an diesem LKW stimmt doch irgendwas gar nicht. Der ganze LKW schien, wenn man so von vorne draufsah, so parallelogramm-rauten-mäßig ein paar Grad zur Seite gebogen zu sein. Alles so parallel verschoben, wie bei einem Stapel Bücher. Ich denken noch so „häh?”, da fiel mir auf, dass die Windschutzsscheibe auf eine sehr seltsame Weise gebrochen war. Sie war kaputt, aber nicht, wie man das von diesem Sicherheitsglas kennt, zerbröselt, sondern in der Fläche völlig intakt, aber außenherum entlang der Gummifassung zwischen Scheibe und Blech auf dem gesamten Umfang entlang einer dünnen Linie gebrochen und hing nur noch an der Sicherheitsfolie im Glas. Offenbar durch diese Verwindung des ganzen Fahrzeuges herausgebrochen. Ansonsten war an dem LKW nichts ungewöhnliches zu finden. Das ganze Ding in sich so seitlich verbogen, ansonsten kein Schaden. Wenn man nicht genau geguckt hat, ist das eigentlich gar nicht aufgefallen.

Keine erkennbare Ursache.

Was macht man?

Melden macht frei. Ans Telefon und das gemeldet. Ja, hieß es, wissen wir schon. Aber eigentlich ist das vertraulich, das hätte eigentlich niemand sehen dürfen und sollen. Wie wir denn überhaupt in die Halle gekommen seien. Naja, da fehlte eben eines der Vorhängeschlösser und wir hatten gedacht, da sei jemand eingebrochen und … Aufgabe der Wache eben, dafür ist sie ja da. Anschiss kassiert, immer erst melden, bevor man sowas macht. Dann hätte man uns auch gesagt, dass wir draußen bleiben sollen, und nur ein Schloss gebracht.

Seltsame Story.

Am nächsten Tag mal meine Bekanntschaften zur Fahrschule spielen lassen und herausgefunden, was da passiert war.

Das Ding war, wie gesagt, ein Bohrgerät. Das ist ein LKW, der auf der Ladefläche im Prinzip eine große Bohrmaschine aufgebaut hat, die normalerweise liegt, aber hydraulisch aufgestellt werden kann, und mit der man runde Schächte bohren kann. Ziemlich tief. Es gehören noch einige normale LKW mit Bohr-Rohren dazu, die dazu aneinandergefügt werden. Das ganze dient dazu, um im Kriegsfall auch bei ABC-Fallout und Verseuchung an sauberes Wasser zu kommen, weil man damit ziemlich tiefe Brunnen bohren kann, tief genug, um durch die ganzen Lehm- und Sonstwas-Schichten zu kommen und „altes” Wasser hochzuholen, zu dem irgendwelcher Dreck noch nicht vorgedrungen sein kann.

Dieses Ding ist sauschwer zu fahren, deshalb darf man das nur mit einem Zusatzführerschein fahren. Einer der Fahrlehrer, den ich da kannte, hat mir das dann erklärt. Ein Problem sei, dass das ganze Fahrzeug asymmetrisch sei, auf einer Seite schwerer als auf der anderen. Deshalb fährt es sich in Rechts- und Linkskurven unterschiedlich, die muss man unterschiedlich fahren. Das zweite sei, dass die Dinger eine Fehlkonstruktion wären, die hätten nämlich zum Bohren größere Tanks an Hydrauliköl, die aber miserabel gebaut seien. Deshalb nämlich kann das Öl während der Fahrt übel schwappen. Vor allem, wenn man da irgendeine Sicherheitsmaßnahme nicht ergreift. Deshalb kann sich das Fahrzeug manchmal unvorhergesehen richtig fies wackelnd benehmen und einen die Kontrolle verlieren lassen. Wenn dann auch noch beides zusammenkommt, seltsames Kurvenverhalten plus unvorhergesehenes Schwappen, dann schmeißt’s das Ding um.

An diesem Abend vor meiner Nachtwache hatten die Unteroffiziere wieder mal im Uffz-Heim gesoffen und einer, ein penetrantes Großmaul, der diese Sondereinweisung nicht hatte, hatte über die, die da in der Fahrschule für diesen Zusatzführerschein waren, böse gespottet, während die sagten, doch, dass sei richtig schwierig, das muss man lernen. Er war der Meinung, Unsinn, er sei so gut, er könne alles fahren, also sind sie alle miteinander in den technischen Bereich, um da mal eine Runde zu fahren, der Depp setzt sich rein, fährt los wie Harry im Cabrio, und schmeißt das Ding prompt in der ersten Spitzkurve um. Totalschaden. Wenn ich mich recht erinnere 750.000 DM. Das kann man nicht einfach wieder geradebiegen.

Deshalb hatten sie das Ding mit schwerem Gerät wieder aufgestellt und in die Halle geschoben, um erst mal nüchtern zu werden und sich zu überlegen, wie man daraus eine Meldung macht, das Ding sollte also offiziell erst ein oder zwei Tage später umkippen, wenn der Restalkohol weg ist. Dabei hatten sie dann vergessen, das Vorhängeschloss wieder anzuhängen und die Tür richtig zuzumachen.

Die Sache war aber irgendwie ohnehin schon aufgeflogen, weshalb der Wachoffizier, dem ich das gemeldet hatte, schon Bescheid wusste. Auch die Offiziere waren aber der Meinung, dass man das erst morgen, bei Licht, klären wolle.

Das gleiche Problem könnte aber möglicherweise auch bei Feuerwehrautos auftreten. Ich weiß es nicht, ich bin noch nie ein Feuerwehrauto gefahren (schade eigentlich…). Aber manche von denen haben ja Wassertanks, um etwas Löschwasser sofort verfügbar zu haben. Vielleicht hat das auch geschwappt, ich musste daran jedenfalls gleich denken.

Was ich aber von meiner eigenen, spährlichen Fahrpraxis sagen kann: LKW haben einen höheren Schwerpunkt als PKW und verhalten sich in Kurven ganz anders, sind auch anders gefedert. Da kann man nicht so in die Kurve brettern. Also, man kann schon … aber nur einmal. Dann steht man in der Zeitung oder der Gerätehalle.

Ob das Ding nun Normal-LKW oder Schwapp-LKW war: Das sieht nach einem Einweisungsfehler aus (falls nicht andere Ursachen wie Reifendruck oder nachgebender Boden dazu kamen). Deshalb war das bei der Bundeswehr so, dass der Führerschein alleine nicht reichte, man brauchte für jeden Fahrzeugtyp eine separate Einweisung (wie die Musterberechtigung bei den Piloten). Und dabei lernt man auch, wie sich die Fahrzeuge in Kurven verhalten, weil das eben viel spezieller und unterschiedlicher als bei PKW ist.

Allerdings muss ich dann auch sagen, dass wer auf dem Gelände eines Verbrauchermarktes um 19.45, also während des Publikumsverkehrs, einen LKW überhaupt in einen Fahrzustand bringt, der zum Umkippen reicht, hat ganz unabhängig vom Umkippen ein ganz grundsätzliches Problem. Das haben die uns damals massiv eingebleut, extrem vorsichtig zu sein, wenn man auch nur in die Nähe von Fußgängern, Radfahrern u.ä. kommen kann. Selbst wenn man in gehörigem Abstand an der Oma vorbeifährt und dann die Druckluftbremse mal harmlos zischt und die vor Schreck vom Rad fällt, hat man schon ein Problem.

Ich weiß auch nicht, ob ich mit einem Feuerwehr-LKW so ohne weiteres auf so einen Parkplatz fahren würde, wenn es nicht gerade brennt. Eine andere Sache, die sie uns eingebleut haben, war, niemals mit dem LKW über Fußwege oder nicht direkt für LKW gebaute Straßen zu fahren. Man könnte nämlich durch das schiere Gewicht Rohre, Leitungen, Kabel im Boden beschädigen und ebenfalls hohen Schaden anrichten.

Nachtrag: Ein Leser schreibt mir, dass Feuerwehrautos in NRW nur mit ganz vollem oder ganz leerem Wassertank fahren dürfen. Ist der halb voll, wird er vorher entleert. Eben weil die Fahrdynamik nicht zu kontrollieren sei. Ein ganz voller oder ganz leerer Tank kann nicht schwappen.

Übrigens: In der LKW-Fahrschule habe ich damals gelernt, dass die Dieseltanks deshalb sogenannte „Schlingerwände” haben, also abwechselnd links-rechts stehende eingeschweißte Bleche, die verhindern sollen, dass der Diesel im Tank sich aufschaukeln und ins Schwappen kommen kann.