Ansichten eines Informatikers

Rant gegen Business-Anzug und Krawatte im Sommer

Hadmut
10.6.2016 1:07

Weil’s etwas Feedback zu meinem Artikel über kurze Hosen gab, hier noch eine vertiefte Darstellung.

Meine Meinung von typischer Business-Kleidung – und solchen, die sie fordern – ist seit einigen Jahren ziemlich schlicht. Nicht nur, weil man zwar immer von Gleichberechtigung und Abschaffung von Geschlechterstereotypen redet, gleichzeitig aber daran festhält, dass Frauen im Sommer natürlich im kurzen Kleid herumlaufen dürfen, Männer aber doch gefälligst Anzug und Krawatte zu tragen hätten.

Sondern auch, weil die meisten, die Anzug und Krawatte fordern, in dem Bereich nicht kompetent sind.

Oder anders gesagt: Ich halte es für einen zentralen Irrtum, Anzug und Krawatte für ein Gebot geschäftlichen Umgangs zu halten oder gar vorzuschreiben.

Die Krawatte

Ist Euch mal aufgefallen, wie viele Leute, die mit Anzug und Krawatte rumlaufen, nicht ordentlich Krawatte binden können?

Um es mal direkt zu sagen: Wer keinen ordentlichen doppelten Windsor hinbekommt (und der besteht ja schon aus nur vier einfachen Windungen), der sollte von Krawatten einfach absehen und sich damit abfinden, dass er damit überfordert ist. Und er sollte es auch von anderen nicht verlangen.

Häufig sieht man Leute mit diesem schrägen Wickelknoten für Doofe, treffend auch als „Flaschenkorken” bekannt. Oder Leute, die die Krawatte und dazu noch den Hemdkragen locker aufmachen. Das taugt für die Kneipe, für den Mann mit dem Bier am Klavier, und da kann man das tun. Gerne auch mit Motivkrawatten. Aber nicht sonst. Wenn einem die Krawatte zu eng ist, dann legt man sie ab und zieht sie nicht auf.

Die Krawatte ist auch nichts für Leute, die sie sich von der Frau binden lassen müssen und dann darauf angewiesen sind, sie immer nur auf und zu zu ziehen. Eine Krawatte macht man abends auf und bindet sie beim nächsten Mal neu. Wer das nicht kann, soll es lernen oder es ganz bleiben lassen. Sich die Krawatte von anderen binden zu lassen ist unter jeder Würde.

Dazu kommt, dass die Krawatte auch gesundheitsschädlich ist. Ich bin irgendwann mal dahintergekommen, dass ich von der Krawatte Nackenschmerzen bekomme. Nein, nicht weil ich den Knoten zu fest binden würde. Sondern weil ich bevorzugt Anzüge mit Weste trage, und die Krawatte unter der Weste nicht so leicht rutscht. Und dadurch immer einen leichten Zug auf den Nacken ausübt, weil man sie ja nicht oben locker raushängen lässt. Ich habe eine große Krawattensammlung, aber seit ich dahinter gekommen bin, trage ich sie nur noch selten.

Man sieht allerdings immer wieder Leute die aussehen, als würden sie sich mit der Krawatte gleich umbringen wollen.

Ich komme unten noch auf den Punkt Hygiene. Hand auf’s Herz, wie oft bringt Ihr Eure Krawatte in die Reinigung?

Viele Leute sind auch nicht in der Lage, die Länge der Krawatte richtig einzustellen. Den extremsten Fall habe ich mal vor 15 Jahren auf der CeBIT erlebt. Da stand einer am Pissoir neben mir, hatte seine Krawatte viel zu lang gebunden, und pinkelte sich unten die eigene Krawattenspitze an. Na, prima. Und damit Kunden begrüßen.

Das Hemd

Den allerwenigsten derer, die so großen Wert auf Anzug mit Krawatte am Arbeitsplatz legen, ist bewusst, dass der eigentliche Dreh- und Angelpunkt das Hemd ist.

Entgegen aktuell ungebildeter Meinung ist der ganze Anzugskram nämlich nicht in erster Linie ein Modeakt. Das glauben nur die Leute von heute, die nichts anderes mehr als das moderne Fertighemd aus dem Laden kennen. Bildung ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

Die Entstehung der Anzugsordnung für Männer hat vor allem was mit Sauberkeit und Hygiene zu tun (dazu unten gleich mehr), was vielen heute nicht klar ist. Denn das ist alles entstanden, bevor es Waschmaschinen und chemische Reinigungen gab, und bevor man sich Mäntel und Sakkos kleiderschrankweise im Laden um die Ecke kaufte. Es gab mal Zeiten, in denen hat man nur einen Mantel gehabt und den dann lebenslang getragen. Und in denen selbst wohlhabende Leute nicht mehr als einen Anzug (Sonntagsanzug) hatten.

Deshalb hat man damals das, was man waschen konnte, nämlich das Hemd, und den ganzen Rest unterschieden. Nur das waschbare Hemd durfte direkt auf die Haut, alles andere musste mittels des Hemdes von der Haut getrennt sein, damit es nicht so schnell verschmutzt. Und deshalb hat man unter Anzügen das knittrige, ausgewaschene Hemd so getragen, dass man es nicht sieht, und dazu getrennte Kragen und Manschetten, oft sogar aus anderem Meterial (z. B. Zelluloid-Kragen) und bisweilen einen Brustlatz (gibt’s teilweise noch beim Frack oder teuren Hemden) oder Kummerbund getragen. Das Prinzip war, die knittrige, ausgewaschene Leibwäsche unsichtbar und das Sichtbare vom Körper getrennt zu halten. Dazu gehört auch die Krawatte, die aus Fliege/Halstuch hervorgegangen ist und das Hemd überdeckte.

Und genau das ist auch heute noch so. Was viele nicht wissen: Schon aus hygienischen Gründen trägt man unter dem Sakko ein langes Hemd, dessen Ärmel etwa 1-2 Zentimeter länger als die Sakkoärmel sein müssen, und dessen Kragen Sakko von Hals trennt.

Man merkt das sogar manchmal noch, Ihr kennt doch sicherlich diese klassischen, sehr teuren Businesshemden in Blau mit weißem Kragen und weißen Manschetten. So sah das eben aus, als die noch getrennte Teile waren und man die drüber steckte. (Übrigens bestand im Mittelalter auch die Hose noch aus zwei getrennten Röhren – einem „Paar Hosen”, Hose = Schlauch, vgl. Windhose oder hose wheel – und einem separaten „Hosenlatz”)

Das heißt, dass man zu einem kurzen Hemd kein Sakko tragen kann, das geht gar nicht. Der Innenfutterstoff im Sakko gehört auch nicht auf die Haut.

Außerdem trägt man zu einem kurzen Hemd keine Krawatte, weil die Krawatte Teil des Aufzugs ist, bei dem das ganze Hemd bedeckt ist.

Und man trägt das Hemd auch genau dann geschlossen, wenn man eine Krawatte trägt. Weder trägt man die Krawatte zum offenen Hemd (sieht aus wie Harry), noch trägt man das Hemd ohne Krawatte geschlossen (sieht aus wie Depp).

Und damit gibt es bemerkenswerterweise nur zwei Varianten, formal ordentlich angezogen zu sein:

  • Langes, geschlossenes Hemd, Krawatte mit ordentlichem Knoten, Sakko
  • Kurzes offenes Hemd, keine Krawatte, kein Sakko

Viele derer, die meinen, dass Businesskleidung sein müsse, liegen da schon mal schief.

Was übrigens auch schlimm ist, ist die neue Unsitte, Anzug mit Weste, aber ohne Krawatte und mit offenem Hemd zu tragen. Sieht auch bescheuert aus und ist ein Widerspruch in sich, weil beides, Weste und Krawatte die Aufgabe erfüllen, das Hemd zu verbergen, also die Weste nicht ohne Krawatte auskommt.

Und man trägt die Krawatte eben auch nicht locker zum offenen Hemd wie ein fahrender Handelsvertreter.

Wenn’s einem zu warm wird, dann legt man die Krawatte ab, und dazu auch die Weste, falls man eine anhat, und dann öffnet man das Hemd.

Die Temperatur

Kommen wir mal zu den Gründen, warum Anzug und Krawatte nicht mehr in die Zeit passen, jedenfalls sommers.

Denn zum Hemd gehört aus hygienischen Gründen auch noch ein Unterhemd, genaugenommen ein ärmelloses (die ich nicht ausstehen kann), womit der Mann von Welt dann Unterhemd, Hemd, Krawatte, Weste, Sakko übereinander anhat, dazu Kniestrümpfe, Hose, geschlossene Schuhe. (Socken zum Anzug geht auch nicht, weil man weder das Bein sehen, noch die nackte Beinhaut die Hosenbeine kontaminieren soll.)

Da aber an Businesskleidung Schweißränder als No-Go gelten, beschränkt sich das auf kühlere Temperaturen oder eben klimatisierte Räume. Wenn man schon Wert auf formales Auftreten gegenüber Kunden legt, dann nur – auch mit Rücksicht auf Kunden – in klimatisierten Räumen. Deshalb klimatisieren die Asiaten wie die Wahnsinnigen.

Das passt aber nicht mehr in unsere Zeit des Umweltschutzes, der erneuerbaren Energien und des Energiesparens.

Ein zentraler Punkt dabei ist, Klimatisierung durch Belüftung zu ersetzen, und das passt nur zu dünner, luftiger Kleidung, nicht zu Businesskleidung.

Übrigens haben sie ausgerechnet in Japan, wo alles so extrem formal ablaufen muss, genau das Problem erkannt und aufgrund von Energienot dafür geworben, zugunsten reduzierter Klimaanlagenleistung lockerere luftigere Kleidung einzuführen.

Es heißt doch immer, Immigration sei eine Kulturbereicherung und wir sollten uns kulturell öffnen und alte Zöpfe abschneiden.

Dann machen wir das doch mal.

Schaut Euch mal an, wie die Männer in den heißen arabischen Ländern rumlaufen. Nicht in Anzug und Krawatte. Sondern in einem leichten, lockeren, luftigen langen arabischen Hemd (ich habe mir in den Vereinigen Arabischen Emiraten zum Ausprobieren auch so eine Kandura gekauft, ungewohnt aber angenehm) das ganz locker sitzt und unten völlig offen, also ein Kleid ist. Ohne Hose. Mit offenen Schlappen.

Und zwar bis in höchste Kreise, bis in die Scheichs- und Königshäuser. Auch in Banken, im öffentlichen Dienst, Beamte. Weil es der Temperatur angemessen ist.

Wir wollen doch immer so gerne Sitten und Gebräuche von Einwanderern übernehmen. Dann machen wir das doch mal.

Hygiene

Ich habe oben schon angesprochen, dass der Geschäftsanzug eigentlich mit Hygiene, den damals verfügbaren Stoffen und Waschmöglichkeiten zu tun hat. Das haben wir heute so nicht mehr.

Dafür legen wir heute noch mehr Wert auf Hygiene. Und unter dem Aspekt der Hygiene ist ein Anzug eigentlich nicht mehr vertretbar.

Anzüge kann man (von besonderen Ausnahmen abgesehen) nicht in der Waschmaschine waschen, nur in der chemischen Reinigung. Hat was damit zu tun, dass die Stoffe in polarem Lösungsmittel (Wasser) quellen und aus der Form gehen. Abgesehen davon, dass die Reinigung giftig und umweltschädlich ist:

Hand auf’s Herz: Wie oft bringt Ihr Eure Anzüge in die Reinigung? Und die Krawatten? Na, seht Ihr?

Absurderweise kann man Reinigungs- und Verschleißkosten nicht mal von der Steuer absetzen.

Und damit sind wir bei Thema feucht-warmes Mikroklima, Schweiß, Hautschuppen. Was meint Ihr denn, was in so einem Anzug und in einer Krawatte alles so vor sich hingammelt?

Ich geb Euch mal noch einen Hinweis: Man soll ja mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass die Sitze in der Berliner U-Bahn enorm verkeimt sind, da sammelt man wirklich alles ein. Und das mit einem Anzug, den man nicht jeden oder jeden zweiten Tag frisch wäscht?

Igitt!

Und glaubt ja nicht, dass das im eigenen Auto so viel besser wäre. Gepolsterte Sitze, die man auch schon schwitzig warm sitzt und mit Schweiß und Hautschuppen imprägniert. Wie oft desinfiziert Ihr Eure Autositze? Geht das überhaupt?

Noch eine Hilfe aus anderer Richtung:

Es ist ja bekannt, dass Deutschland bei der Krankenhaushygiene schlecht abschneidet und es bei uns besonders viele multiresistenze Keime gibt, die Holländer es sogar als besonderes Risiko einstufen, wenn jemand vorher in einem deutschen Krankenhaus lag.

Sie untersuchen ja nun, woran das liegt, dass die Deutschen so schlecht abschneiden.

Sie sind drauf gekommen, dass das auch mit der Kleidung der Ärzte zu tun hat. In vielen Ländern haben die Ärzte nur ganz kurze einfache Hemden („Kasack”, kennt man von den ganzen Krankenhausserien), während in Deutschland der Arzt selbstverständlich in seinem langen weißen Kittel unterwegs war und nach Arzt aussehen musste. Und gerade mit den langen Kitteln und Ärmeln verteilen sie besonders viele Keime. Die ersten Krankenhäuser verbieten die langen Kittel und ziehen den Ärzten jetzt auch diese kurzen, aber häufig zu wechselnden Kasacks an. Weil ein nackter, aber häufig gewaschener Arm viel sauberer als so ein versiffter Ärmel ist.

Und wenn schon die weißen – immerhin täglich gewechselten – Arztkittel enorme Keimschleudern sind, was sind dann die Anzüge, wie die Leute wochen- und monatelang tragen? (Ein australischer Fernsehmoderator hat sich mal daran gestört, dass seine Kollegin massenhaft böse Leserbriefe bekam, weil sie ein Kleid zweimal anhatte. Daraufhin hat er ein ganzes Jahr lang jeden Tag denselben Anzug getragen und keiner hat’s gemerkt. Ratet mal, wieviele Leute das auch sonst machen.)

Wohlgemerkt: Innen 37°, außen vielleicht 30°. Da gedeihen die Keime perfekt.

Was uns als Businesskleidung angepriesen und vorgeschrieben wird, sind in Wirklichkeit oft die letzten Siffkittel. Sozio-Quatsch, der auf Darbietung der Konformität hinausläuft.

Lesen hier Mediziner oder Biologen mit?

Könnt Ihr das mal untersuchen? Würde mich mal interessieren, wie sich die Keimbelastung von Businessanzügen gegenüber regelmäßig gewaschener freizeitmäßiger Sommerbekleidung verhält.

Als Informatiker weiß ich, dass die meisten Keime nicht etwa auf dem Klo, sondern auf Tastaturen, Mäusen, Handys befinden, in der ganzen Fingerfettschmiere. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei Anzügen dann besser ist, die man ständig darüber schmiert.

Der soziale Aspekt

Oh, ja, natürlich merke ich, dass Kleider Leute machen und einen die Leute enorm danach beurteilen, was man anhat. Ich habe damit früher gerne gespielt, also ich noch Workshops vor geladenen Gästen gehalten habe und die alle morgens im Hotel fein rausgeputzt im Hotel saßen. Ich gehe nämlich nicht gerne im Anzug frühstücken, kann ich nicht leiden. Und Krümel oder gar Erdbeermarmelade auf dem Hemd schon gar nicht. Deshalb habe ich die Angewohnheit, in Jeans und T-Shirt zum Frühstück zu gehen und mich erst dann geschäftlich anzukleiden, dann aber bevorzugt edel mit Weste, guter Krawatte und angemessenem Knoten. Und da merkte man das doch sehr, dass einen dieselben Leute, die einen eben von oben herab übergangen haben, plötzlich unterwürfig von unten nach oben anschauen.

Es gefällt mir aber nicht.

Es ist auch nicht mehr Zeitgeist, im Gegenteil, wir sollten das als Teil der Medienkompetenz geringzuschätzen lernen.

Ich finde es viel interessanter, in kurzen bunten Hosen auf eine Polit-Veranstaltung voller ministerialer Anzugträger zu gehen und die dann durch Fragen und Kommentare aufzumischen und die Rangordnung zu klären.

Mir geht das Anzugstheater gewaltig auf den Wecker.

Fazit

Ich bin längst zu der Überzeugung gekommen, dass es eigentlich gar nicht so höflich ist, dem Kunden heute in einem Anzug gegenüberzutreten, vor allem, wenn es ein versiffter ausgebeulter stinkiger Polyesteranzug ist. Manchmal halte ich diese Siffkittel sogar für eine ziemliche Frechheit.

Genau wie in der beschriebenen Krankenhausuntersuchung halte ich jemanden in kurzer, frisch gewaschener Kleidung und dafür mit gewaschenen Händen allemal für sauberer und damit auch höflicher. Das ist mir viel lieber, wenn mir jemand so gegenüber tritt.

Und davon ganz abgesehen: Ich finde es extrem unhöflich, wenn mir jemand gegenüber tritt, der von Kaffee oder Zigaretten zwei, drei Meter weit aus dem Maul stinkt, weil er gerade eben die Kippe weggelegt hat, und mir dann zur Begrüßung noch die eklig gelb-braunen klebrigen Nikotin-Finger hinstreckt. *Würg*

Da kann dann auch der teuerste Anzug nichts mehr retten, ich empfinde das als Frechheit.

Mir ist das ziemlich egal, was die Leute anhaben, sehr gerne kurze Hosen und ein T-Shirt oder Poloshirt, dafür ist es mir wichtig, dass die Leute (und ihre Klamotten) sauber und gewaschen sind, nicht stinken und mir beim Händeschütteln nicht das Bedürfnis verursachen, mir die Hände waschen oder desinfizieren zu müssen.

Wer seinen Kunden höftlich, respektvoll, angenehm gegenüber treten will, der achtet auf ganz andere Sachen, als auf Anzug und Krawatte – und hat alle Ursache, die sogar zu verbieten. Siehe Krankenhaus.

Ich halte die Geschäftsanzüge schon lange nicht mehr für höflich. Ich halte sie für Bluff und Firlefanz, und in hygienischer Hinsicht längst für eine Zumutung für alle Beteiligten. Dazu für giftig und für Energieverschwendung.