Ansichten eines Informatikers

Debian’s suicide

Hadmut
31.12.2015 17:49

Seltsame Nachrichten aus dem Linux-Umfeld. [Nachtrag 2/Update]

Vergangene Nacht ging die Meldung herum, dass Ian Murdock mit 42 Jahren gestorben sei. Murdock war der Gründer der Debian-Distribution, und Debian hatte er nach seiner damaligen Freundin Debra (Spitzname „Deb”) und sich selbst („Ian”) benannt. Statt einer Todesursache seltsame Anmerkungen etwa bei Golem

Ian Murdock starb am 28. Dezember. Die genauen Umstände seines Todes sind zurzeit nicht bekannt und die Angehörigen bitten darum, in ihrer Trauer nicht gestört zu werden.

und bei Heise

Murdocks Familie bittet, im Respekt für seine Privatsphäre Spekulationen über die Todesursache zu unterlassen.

Also ob man damit die Spekulationen nicht geradezu anheizen würde. Im Netz findet man dazu nun sehr seltsame Informationen, die – wenn sie denn stimmen, dazu unten einige Anmerkungen – weit mehr sind als Spekulationen. Es wird nämlich behauptet,

  • er habe sich umgebracht,
  • er habe dies vorher auf Twitter angekündigt und sein derzeitiger Arbeitgeber (Docker) habe sich noch bemüht, Kontakt zu ihm aufzunehmen,
  • Geldsorgen wären es nicht gewesen, er hätte letztes Jahr 1,4 Millionen US$ verdient,
  • sein Selbstmord stünde in Zusammenhang mit einer fragwürdigen Polizeiaktion, in der er wegen einer Nichtigkeit bestraft, in seiner eigenen Wohnung von der Polizei verprügelt, sogar sexuell belästigt worden sei, und bereits eine Geldstrafe reingedrückt bekommen habe, was ihn zu der Überzeugung gebracht habe, seine Karriere sei zu Ende,
  • sein Selbstmord sei eine Protestaktion gegen die Polizei, er habe geäußert, dass es mehr Gewicht habe, wenn ein gutverdienender weißer Geschäftsmann auf Misshandlungen durch die Polizei hinweise als wenn wieder mal irgendwo ein bedeutungsloser Schwarzer erschossen würde.

Dazu ist auf pastebin folgende Zusammenstellung seiner – angeblichen – Tweets aufgetaucht:

7:12pm: I am a white male, make a lot money, pay a lot of money in taxes, and yet their abuse is equally doned out. DO NOT CROSS THEM!
7:08pm: This was right after the female officer ripped off my underwear.. I guess that's not considered rape if you're not a woman being raped.
7:03pm: "We're the police, we can do whatever the fuck we want.."
6:49pm: What does one have to get education wise to become a police officer.. asking for a friend.
6:42pm: The rest of my life is to fight against the police.. they are NOT friends, so don't ever ever believe otherwise.
6:41pm: The police are uneducated, evil, and sadistic. Do not trust them.
6:33pm: (2/2) They are uneducated, bitter, and and only interested in power for its own sake. Contact me imurdock@imurdock.com if you can help. -ian
6:31pm: (1/2) The rest of my life will be devoted to fighting against police abuse.. I'm white, I made $1.4 million last year,
6:07pm: i'm hoping coming from a successful white guy it will help everyone
6:06pm: i'm going to post my case on my blog.. if anyone can post it on hacker news or wherever i would apprieciate it
6:00pm: @jacksormwriter wants me dead
5:48pm: Writing up my experience for others to hopefully prevent others from police abuse then you won't hear from me again
5:45pm: where they put you in a cell with absolutely no instructions whatever aside from the spell on the floor in piss?
5:45pm: shall i post pictures for all my bruises from my against the police officers?
5:38pm: they said no
5:38pm: i asked if they had cameras
5:37pm: then followed my home from there
5:37pm: i had to have swtitches
5:36pm: then they pulled me out of my house and did it again
5:36pm: they followed me home
5:36pm: i had to go to the hospital
5:35pm: they beat the shit out of me twice, then charged me $25,000 to get out of jail for battery against THEM
5:34pm: if anyone wants to come over and see what the police did to me i would be more than happy for that
5:30pm: I'm not committing suicide today. I'll write this all up first, so the police brutality ENDEMIC in this so call free country will be known.
5:27pm: Maybe my suicide at this, you now, a successful business man, not a NIGGER, will finally bring some attention to this very serious issue.
5:25pm: My career is over now, so I'll be gone soon.
5:23pm: Quote: "We're the police, we always win."
5:22pm: I'll write more much later. They still don't have cameras on all police so I'm going to use my somewhat celebrity to hopefully stop this.
5:21pm: My bail for "assault against a police officer" are all that: $25,000.
5:20pm: Then beat me up some more.
5:20pm: I'll write more on my blog later. But the police here beat me up for knowing on my neighbor's door.. they sent me to the hospital.
5:17pm: https://t.co/I1CSCJErWf
5:14pm: watch my blog later http://ianmurdock.com
5:13pm: i'm committing suicide tonight.. do not intervene as i have many stories to tell and do not want them to die with me #debian #runnerkristy67

Wenn das so wäre, würde es einiges erklären, warum man versucht, die Diskussion darüber unter der Decke zu halten.

Aber stimmt es überhaupt?

Zwar bestätigen diverse Leute, dass es solche Twittermeldungen gegeben habe. Viele Leute vermuten aber, dass sein Account – posthum – gehackt und für anderer Leute Ziele missbraucht worden sei. Es gibt aber auch diverse Leute die behaupten, das stimme nicht, die Tweets wären echt.

Aber selbst, wenn die Tweets wirklich von ihm wären, müsste man gewissen Zweifel daran haben.

Ich hatte mal vor ein paar Jahren die Aufgabe, auf Bitten der Familie und der Polizei das Blog einer Person schnellstmöglich stillzulegen, die sich gerade umgebracht hatte. Die Person hatte eine halbe Stunde vor dem Suizid noch sehr wüste Texte, Beschuldigungen, gestellte Bilder gepostet, in der sie andere für ihre Lebenskrise und ihren Tod verantwortlich machte, und das in sehr ausfälliger und für die Familie nicht hinnehmbarer Weise (zumal das rechtlich ja dann sofort an den Erben klebt). Damals habe ich auch mit dem Polizisten gesprochen, der die Sache routinemäßig untersuchte (wird halt überprüft, ob das wirklich Selbstmord war oder nur so aussehen sollte und ob der Tote auch wirklich der ist, der er den Umständen nach zu sein scheint usw.), und der eben häufig mit Suiziden zu tun hatte, und der sagte mir damals dazu, dass in den Köpfen von Selbstmördern in den letzten Stunden und Minuten sehr häufig völlig verrückte Dinge vorgehen, da drehen irgendwie Teile des Gehirns durch, die versteigen sich oft in irgendeinen Verfolgungswahn oder abstruse Behauptungen. Da versagen dann, wenn sie zum Suizid ansetzen, häufig Verstand, Realitätssinn, jede Sicherung. Die damals betroffene Webseite sei ein typisches Beispiel dafür. Hin und wieder würden sie solchen Vorwürfen auch nachgehen, wenn darin hinreichend konkret Straftaten behauptet würden, aber in der Regel würden die keiner Nachprüfung standhalten. Manchmal sei aber eben doch was dran, weshalb sie da immer drauf achten und das nachprüfen, wenn es konkret genug und strafbar ist. Der Polizist selbst war ein völlig ruhiger, sehr vernünftiger und intelligenter Mann mit einiger Berufserfahrung, und ich habe keinerlei Grund daran, seine Aussage zu bezweifeln (auch wenn ich sie mangels eigener Erfahrungen einfach nicht beurteilen, bestätigen oder widerlegen kann, ich muss dem das mal so glauben). Es heißt in kitschigen Monumentalfilmen häufig, dass Sterbende nicht lügen würden. Lügen vielleicht nicht, aber Selbstmörder scheinen kurz vor Ende oft nicht mehr in der Lage zu sein, Realität und Feuerwerk im Kopf zu trennen. Das ist nicht schön, aber man sollte das einfach wissen und solcherlei Aussagen immer mit einer gewissen Vorsicht und Distanz anpacken.

Selbst wenn also die Tweets echt sind, heißt das also noch nicht, dass sie auch wahr und zutreffend sind. Direkt nachprüfen kann man es allerdings auch nicht, denn der Twitter-Account wurde angeblich sofort nach seinem Tod gelöscht (kann also so schnell eigentlich gar nicht gehackt worden sein).

Zudem hatte er in den – angeblichen – Tweets darum gebeten, dass man ihn nicht abhalten möge, weil er die Zeit nutzen wolle, um noch wichtige Dinge aufzuschreiben und auf seinem Blog zu publizieren, die nach den Kommentaren dort aber nie erschienen sind.

Ein paar Kommentare findet man auch auf Reddit und in diesem Blog.

Irgendwo stand, dass Leute sich darum kümmern, die Sache zu überprüfen, und der Meinung sind, dass das alles stimmen könnte, aber nicht stimmen muss, man es also nachprüfen muss. Als wesentlichen Dreh- und Angelpunkt sehen sie die Sache mit der Kaution von $25,000, um vorläufig aus dem Knast wieder rauszukommen, an, denn damit steht und fällt die ganze Story. Stimmt sie nicht, ist auch der Rest fraglich. Stimmt sie, ergibt sich der Rest durch Plausibilität. Und es ist vor allem ein Umstand, der nicht von Zeugenaussagen und subjektiven Eindrücken und Wertungen abhängig ist, sondern objektiv nachprüfbar. Ob jemand verhaftet und gegen eine Zahlung von fünfundzwanzigtausend Dollar auf Kaution rauskam, ist ja ein Gerichts- und Zahlungsvorgang, und damit aktenkundig. Wenn es so wäre, wie er behauptete, dann würde er ziemliche Angst davor gehabt haben, was das dortige Polizei- und Rechtssystem mit ihm anstellt.

Angeblich hat die Polizei bisher jede Stellungnahme zu dieser Frage verweigert.

Man wird verfolgen müssen, was da noch herauskommt.

Nachtrag:

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr drängt sich mir die Frage auf, ob es da vielleicht einen Zusammenhang mit den neuen Bestrebungen geben könnte, Backdoors in Crypto-Software reinzudrücken. Wäre es denkbar, dass man den irgendwie unter Druck setzen oder kalststellen wollte? War er überhaupt noch im Debian-Projekt aktiv?

Nachtrag 2/Update: Ein Leser schrieb mir, dass man unter https://vinelink.com/ folgende Information finden könne:

Name: MURDOCK, IAN ASHLEY
Custody Status: Out of Custody
Age: 42
Reason: Bonded out
Race: White
Registration for notification is not currently available for this
offender.

Offender ID/CDCR: 608067
Gender: Male
Date of Birth: 04/28/1973
Date: 12/27/2015
Aliases MURDOCK, TAN ASHLEY

Murdock ist also anscheinend wirklich in Haft genommen und auf Kaution freigelassen worden. Damit scheint der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Story belegt zu sein. Mal sehen, was da noch kommt.