Ansichten eines Informatikers

Flughafensicherheit: “Trust me!”

Hadmut
15.12.2015 21:35

Endlich wieder mal eine neue schreckliche Folge aus dem nie enden wollenden Drama „Ich und die Flughafensicherheit”.

Heute: Ich muss mal pinkeln. Oder: Neulich am Ibrahim Nasir International Airport [Nachtrag 2]

Ja, ja, ich weiß, ich bin bei den Reiseberichten von den Malediven schwer hintendran, hab die alle noch in der Warteschlage abzuarbeiten und komme auch nicht mehr dazu, dies in der richtigen Reihenfolge zu machen. Ist mir aber egal, ich mach’s jetzt so, wie es gerade geht.

Ich war ja vor ein paar Tagen auf den Malediven. Und wie das Urlaubsreisen meistens so an sich haben, bin ich da auch wieder abgereist.

Aber ach.

Der Abflug war abends um 23 Uhr. Man sollte laut Emirates zum Einchecken 3 Stunden vorher dort sein, wenn man Gepäck hat. Also hätte ich um 20 Uhr dort sein sollen, wenn der Check-In öffnet.

Das ging aber nicht. Die Malediven sind Inseln, da fährt man nicht mal eben mit dem Bus oder der S-Bahn zum Flughafen, sondern mit dem Boot.

Es gäbe da die offizielle Fähre, die zwar spottbillig ist, aber nur einmal am Tag (außer freitags, da gar nicht) fährt, und mit der hätte ich schon morgens um 9 am Flughafen gesessen. Die im Hotel meinten, da fährt man natürlich Speedboat, was anderes käme da gar nicht in Frage. Sie könnten mir da einen Platz buchen, die kommen dann von den anderen Inseln an Gulhi vorbei und sammeln mich da auf. Kostenpunkt 25 US$. Allerdings müsste ich da schon um kurz nach 16 Uhr fahren, aus zwei Gründen: Der erste Grund war, dass sie ja nicht nur wegen mir fahren, sondern da noch andere Passagiere an Bord sind, die nach Male oder zum Flughafen wollen, und nach denen sie sich auch richten müssten (wobei: Doch, sie fahren mich auch alleine, aber dann kostet’s 150 US$, für reiche Leute, die alles exklusiv wollen. Der zweite Grund ist, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein wollen, denn sie fahren nur im Notfall bei Dunkelheit, zu gefährlich. Deshalb bringt einem auch eine Einzelfahrt für 150 US$ nicht wirklich was.

Deshalb war ich also schon um 17 Uhr am Flughafen. Boah, 6 Stunden totschlagen. Naja, für solche Fälle habe ich immer ein paar Videos auf meinem Rechner, und auch sonst genug zu lesen.

Nur: Nach dem Bootsgeschaukel musste ich mal dringend pinkeln.

Was mich in ein enormes Dilemma stürzte.

Ich hatte nämlich mein Gepäck auf einem dieser flughafentypischen Gepäckwägen, aber der passte nicht durch die Eingangstür zu den Toiletten.

Das Problem ist aber, dass auch an diesem Flughafen, wie an fast jedem anderen auch, darauf hingewiesen wird, man möge sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen. Mein Bordgepäck (Rucksack) kann ich zwar mitnehmen, aber was mach ich mit dem Koffer?

Es einfach drauf ankommen lassen? Drauf hoffen, dass meinen auffälligen Koffer kleiner klaut (deshalb habe ich immer auffällige Koffer)?

Hilft nichts. Denn man kann sich ja schon ordentlich Ärger machen, indem man einen Koffer am Flughafen unbeaufsichtigt rumstehen lässt oder weggeht. Dass die wegen mir den Flughafen evakuieren oder meinen Koffer sprengen wollte ich nun auch nicht.

Ich habe mich da nach einem Checkin-Schalter der Emirates umgeschaut um zu fragen, ob ich meinen Koffer nicht schon früher einchecken könnte.

Keine Chance. Denn weil es auf den Malediven schon mehrfach Unruhen und Anschläge gab, sind die Sicherheitsvorkehrungen sogar noch eine Stufe höher. Man kommt gar nicht erst an die Checkin-Schalter, ohne vorher noch durch eine zusätzliche Sicherheitssperre mit Durchleuchtung aller Gepäckstücke zu gehen, aber durch die lassen sie einen auch erst, wenn der Checkin-Schalter auf den Anzeige-Displays als offen gekennzeichnet ist. Und da stand, dass die erst um 20 Uhr öffnen, ich konnte sogar sehen, dass da keiner war.

Ein Teufelskreis.

Ich kenne keinen einzigen Flughafen der Welt, der sicherheitsmäßig gebaut ist. Überall verlangen sie, man solle sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen, aber ich habe noch nicht ein einziges Flughafenklo gesehen, in das man das Gepäck mit reinnehmen kann. Irgendwie glauben die immer, dass man immer mit Familie reist, die währenddessen auf das Gepäck aufpasst. Der Gedanke, dass Architekten Prügel verdient haben, ist mir schon öfters gekommen.

Was also tun?

Man kann ja da auch nicht ewig nach einer Lösung suchen, will sagen, das Problem drängt, es drückt, der Druck steigt. Ich denke drüber nach, den Gepäckwagen aufzugeben und meinen Koffer so mit reinzunehmen, passt mir aber auch nicht, weil davor Baustellenzeugs rumlag, und es zuging wie im Taubenschlag, und ich außerdem noch Beutel mit Proviant dabeihatte. Es gibt zwar einen Gepäcklagerservice, aber die nehmen gleich richtig teure Gebühren.

Wie ich also vor dieser Sicherheitsschleuse stehe und mich etwas ratlos umsehe, spricht mich einer an. Ob ich ein Problem hätte. In Zivil, aber macht so auf offiziellen Tonfall. Oh ja, hab ich.

Wo man hier denn mit Gepäck pinkeln gehen könnte.

„No Problem!” meinte der, ich solle mein Gepäck einfach bei ihm lassen und so pinkeln gehen. Och jo, die Masche kenn ich. Als ich darauf nicht reagierte, sondern anscheinend meinen besonders misstrauisch-verdachtschöpfenden Blick drauf hatte, legte er nach:

„Trust me!” So mit Autoverkäufer-Dackel-Blick.

Ich glaube, das ist so ziemlich das Schlimmste, was man zu einem Security-Heini wie mir in so einer Situation sagen kann.

„Who are you?” meine Gegenfrage. Das wollte ich jetzt wissen, wer mir da ans Gepäck wollte. Da ging ihm ein Licht auf, dass es da wohl an einer Vertrauenskette fehlt. Vor besagter Sicherheitssperre stand aber nun ein Sicherheitsbeamter in Uniform herum, der da für Ordnung sorgte. Mir fiel auf, dass man Gesprächsgegenüber in gleichen Farben gekleidet war, Hemd im gleichen Blau, Hose im gleichen Grau. Aber eben nicht Uniform, wie der Sicherheitsbeamte an der Sperre, sondern zivil. Geschickt gemacht, dachte ich mir, läuft in zivil rum, suggeriert aber irgendwie doch, dass er zum Sicherheitspersonal gehört. Ein echter Sicherheitsmensch in zivil würde die Farbkombination ja gerade vermeiden, um nicht erkannt zu werden. Er sprach aber diesen Sicherheitsbeamten da an, ob ich mein Gepäck mal eben schnell bei dem stehen lassen könnte, was der bestätigte.

Na gut, dachte ich mir, wenn der offizielle Sicherheitsbeamte von der Sicherheitssperre das so sagt, dann können sie mir zumindest keinen Strick draus drehen. Zumindest meinen Fotorucksack hab ich aufgesetzt, was mir der Zivile als vermindertes Vertrauen offenbar übel nahm, und sprintete damit zum Klo. Ah, endlich, ach ist das schön, wenn der Druck nachlässt. Pfoten gespült, wieder zurückgesprintet. Wagen mit Koffer noch da. Aber der Sicherheitsbeamte steht mit dem Rücken zum Wagen. Nun, dachte ich mir, das probiere ich jetzt mal aus, ob der das überhaupt merkt, wenn jemand den Wagen wegfährt, und habe mir möglichst geräuschlos und beiläufig meinen Wagen geschnappt.

Er hat es nicht gemerkt.

Dafür kam der Zivile wieder an und gibt an wie Tier. Mein Wagen, so verkündet er großspurig, sei absolut sicher gewesen, denn – großmäuliger Angeberton – er könne etwas, was ich nicht kann. Er könne nämlich auch nach hinten schauen. Er sehe in alle Richtungen.

Und das hat mich echt Selbstbeherrschung gekostet, darauf nur freundlich-dankbar zu lächeln und die Antwort runterzuschlucken, die ich ihm dafür entgegenfeuern wollte. Ich wollte ihm nämlich genauso grinsend sagen, dass ich auch was könne, was er nicht kann. Ich könnte zwar leider nur nach vorne gucken, dafür aber könnte ich damit Schilder lesen. Zum Beispiel die, die da rumhängen:

  • Please keep your luggage and personal belongings with you all the times.
  • Do not let anyone else look after your luggage as we cannot be responsible for your loss.

Ich wollte jetzt aber auch keinen Streit vom Zaun brechen, und sein Auftreten war zwar höchst dubios, schlussendlich hat er mir aber geholfen, also muss man jetzt auch nicht gleich die große Rhetorik-Flak auspacken. Deshalb habe ich es dabei belassen, mich einfach zu bedanken und mir meinen Teil zu denken.

Er legte aber nach.

Mein Misstrauen sei ja auch zutiefst beleidigend gegenüber dem Gastland. Sie seien ein muslimisches Land, und, das müsse ich einfach wissen, Muslime würden niemals und unter keinen Umständen stehlen.

Naja, wandte ich da so ein, denn dann wurde mir das doch etwas zu albern, erstens seien an einem Flughafen ja nicht nur einheimische Muslime unterwegs, sondern ein Flughafen hätte das ja so an sich, dass das auch andere Leute rumliefen, für die das nicht gälte. Außerdem würde ich ihm gerne mal ein Gespräch mit der Taschendiebabteilung der Berliner Polizei vermitteln, gerade erst vor ein paar Tagen hatte ich nämlich am Kottbusser Tor gesehen, wie eine Zivilstreife arabische Taschendiebe festgenommen habe.

Wischte er so pauschal weg. Das seien eben keine echten Muslime.

So macht man es sich natürlich ganz einfach. Wenn man einfach definiert, dass jemand, der stiehlt, kein „echter” Muslim ist, kommt man natürlich – typischer Zirkelschluss – ganz leicht zu der tautologischen Aussage, dass Muslime nicht stehlen. (Mir ging da durch den Kopf, dass ich noch am Morgen dieses Tages, des 7.12., darüber gelesen hatte, dass es in London in der U-Bahn ein Messerattentat als Rache für Syrien gegeben habe, und der Ausruf eines Passanten „You ain’t no Muslim, bruv! You ain’t no Muslim!”, der auf einem Video zu hören war, zum geflügelten Wort und Twitter-Brüller geworden sei.

So eine spezifische Art von Selbstbetrug. Wenn man einfach immer definiert, dass jeder, der Kriminelles tut, einfach kein Muslim sei, ist es einfach, sich einzureden, dass alle Muslime gute Menschen wären. Hinterher ist das immer leicht. Zumal viele ja nicht freiwillig und aus Überzeugung Muslim sind. Vielleicht legen Kriminelle ja gar keine Wert darauf, ein echter Muslim zu sein? Und wie sieht man ihnen das an? Und selbst, wenn man es ihnen ansähe: Woher weiß ich, dass in der Zeit, die ich zum Pinkeln (oder mal hypothetisch gedacht: für scherwiegendere Transaktionen) brauche, nur »echte« und keine »falschen« Muslime oder gar andere Leute vorbeikommen?

Die Argumentation überzeugte mich also gar nicht. Die Frage, was ein echter Muslim nun tut oder nicht, trägt vielleicht dessen subjektives Beleidigtseinsgefühl, beantwortet aber überhaupt nicht die Frage, wie man aufs Klo geht, ohne sein Gepäck unbeaufsichtigt zu lassen.

Irgendwie hat man mir meine Zweifel angesehen. Er lagte weiter nach.

Seit 12 Jahren arbeite er nun für den Flughafen und sei für die Sicherheit zuständig. Nie sei etwas in seiner Anwesenheit geklaut worden.

Der hat das Problem nicht verstanden. Auch nach 12 Jahren nicht. Das größte Problem am Flughafen ist nämlich nicht der Diebstahl des Gepäcks, also dass jemand was wegnimmt, sondern dass einem jemand was reinsteckt. Drogen oder Sprengstoff. In vielen islamischen Ländern stehen auf Drogen lebenslange Haft oder Todesstrafe. Und Anschläge auf Flugzeuge hatten wir ja gerade weider ein paar. Es geht also nicht primär darum, dass nichts geklaut wird, sondern darum, dass einem keiner was in den Koffer reinsteckt. Den Verlust getragener Unterhosen könnte ich verkraften. Um den Koffer wär’s schade.

Irgendwie hat mich dieses Gespräch nicht überzeugt. Aber dafür einen schönen Zirkelschluss aufgezeigt, mit dem sich die islamische Welt dieselbige gerne schönredet. So ähnlich wie die künstliche Trennung in Islam und Islamismus. Einfach unterschiedliche Bezeichnungen für erwünschte und unerwünschte Ausprägungen. Hier dasselbe mit der Auftrennung in echte und falsche Muslime.

Und was mich daran noch viel mehr frappiert, was man aber immer wieder, auch in Deutschland, bei jeder Gelegenheit beobachtet: Weil sich irgendwer missverstanden, auf den Schlips getreten oder in seiner Ideologoie nicht als heilig genug angesehen fühlt, wird das eignetlich Problem völlig ignoriert und durch ein objektiv irrelevantes, aber subjektiv höher priorisiertes ersetzt. Was hat die Frage, was einen guten Muslim ausmacht, damit zu tun, wie man aufs Klo geht, ohne sein Gepäck unbeaufsichtigt zu lassen? Nichts. Gar nichts. Trotzdem findet eine komplette Verschiebung statt, weil einfach die subjektive Priorität auf dem anderen Thema liegt und man stets meint, im anderen Thema wichtigere Dinge zu tun zu haben. Läuft auch bei Feministinnen so. Ganz großes Problem. Und herrlicher Ansatzpunkt für Social Engineering. Finde das Thema, auf das der andere anspringt, und er vergisst alles außenrum, sogar seinen Security-Job. Und hier habe ich das Thema ja nicht mal angesprochen – auf einen Zusammenhang mit dem Islam wäre ich da nie gekommen – sondern der springt von selbst und ohne triftigen Grund von Security auf dieses Thema. Themenfixiert.

Aber: Der Druck war weg und der Koffer noch da. Und nichts drin, was nicht reingehört.

Nachtrag: Ein Leser hat mich gerade (Danke!) darauf hingewiesen, dass das Phänomen auch als „No True Scotsman” bekannt ist. Jetzt, als der mir das schreibt, dämmert mir, dass ich davon irgendwo schon mal gelesen habe. Aber ich wäre von selbst nicht mehr drauf gekommen und hätte mich nicht mal mehr erinnern können, was es ist, wenn man mir nur den Titel genannt hätte.

Nachtrag 2: Ein anderer Leser fand das gar nicht gut, was ich da geschrieben habe, und hat mich dafür böse kritisiert. Allerdings ist mir nicht ganz klar, womit ich mir die Kritik eingefangen habe.

  1. Das Thema Islam wurde von mir da überhaupt nicht reingebracht, ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, das damit in einen Zusammenhang zu stellen. Das kam von dem Flughafenmitarbeiter, der mir vorwarf, dass jemand, der auf seinen Koffer achtet, damit automatisch missachtet, dass es ein muslimisches Land sei.
  2. Frauen und Türken kommen in meinem Artikel auch nicht vor.
  3. Ich habe auch nichts über „die Maldivier” geschrieben, sondern über einen Vorfall am Flughafen mit einem ihrer Mitarbeiter, von dem ich noch nicht mal wusste, ob er Maldivier ist. Ich habe nicht mal „Malediven” in die Überschrift geschrieben, sondern „Flughafensicherheit”.
  4. Ich verstehe auch den Vorwurf, „deutsche Standards” an Maldivier anzulegen, nicht. Denn was hat das mit deutsche Standards anzulegen zu tun, wenn ich mich an deren Schilder und Vorgaben halte? Das Schild habei ich ja nicht in Deutschland, sondern gleich nach dem Gespräch dort 20 Meter weiter fotografiert. Ihre erhöhten Sicherheitsmaßnahmen beruhen auf den Unruhen dort, und haben mit Deutschland nichts zu tun.

    Warum hängen sie denn dann überhaupt solche Schilder auf und bauen eine zweite Sicherheitsschleuse noch vor dem Check-In, wenn es doch angeblich keinerlei Gefahr eines Diebstahls oder einer untergejubelten Bombe gibt?

  5. Wieso soll ich mich überhaupt falsch verhalten haben, wenn ich mich an die örtlichen Vorgaben halte?

Komische Sache.