Ansichten eines Informatikers

Justizminister Maas, die Vorratsdatenspeicherung und der Richtervorbehalt

Hadmut
15.4.2015 20:49

Sorry, aber als der Maas vorhin im Fernsehen kam, hab ich schon wieder lachen müssen.

Der Maas gab da als tolles Argument für die neue Vorratsdatenspeicherung an, dass die Auskünfte nun dem Richtervorbehalt unterlägen. Richtervorbehalt ist so ein magisches Buzzword, bei dem Juristen immer sofort glauben, dass das dann alles ganz korrekt und heilig vor sich geht. Bei der alten Vorratsdatenspeicherung gab es den Vorbehalt nicht, aber bei der Ausleitung von Telekommunikation war der Richtervorbehalt schon früher gegeben.

Theoretisch ist das auch ne ordentliche Sache, denn § 100b StPO sagt dazu

Maßnahmen nach § 100a dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. […]

Wenn’s nicht gerade ganz eilig pressiert und der Richter nicht erreichbar ist, muss also die Staatsanwaltschaft beantragen und das Gericht anordnen. Das ist eigentlich ein ordentliches Vier-Augen-Prinzip, denn keiner von beiden kann so etwas ohne den Anderen. Im Gegensatz übrigens zur Verurteilung in einem Strafprozess, da kann das Gericht auch eine höhere Strafe verhängen als von der Staatsanwaltschaft beantragt. Aber bei solchen Überwachungsanordnungen kann der Richter nicht über den Antrag hinausgehen.

Die Realität sieht aber ganz anders aus. Ich habe das damals, 2009, als ich mal für einige Monate für die Vorratsdatenspeicherung bei einem Provider zuständig war, bei Ausleitungen usw. rund ein Dutzend mal so oder sehr ähnlich erlebt. Ich erlaube mir mal aus dramaturgischen Gründen im Präsenz zu schreiben, das kommt gruseliger rüber:

Ich bekomme einen richterlichen Beschluss auf den Tisch. Das Gericht x ordnet an, die Telekommunikation des Verdächtigen y zu überwachen und aufzuzeichnen oder so in der Art, meistens merkt man da an, dass der Richter gar nicht drüber nachgedacht hat, was er macht, sondern einfach wortwörtlich den Gesetzeslaut abgeschrieben hat, um sich nicht angreifbar zu machen. Würde er nämlich irgendwas anordnen, was nicht exakt dem Gesetzestext entspricht, würde das ein Verteidiger hinterher als unzulässig angreifen.

Dummerweise geht daraus dann aber nicht hervor, was genau sie eigentlich haben wollen. Aber sie wollen es unverzüglich, manchmal gleich mit Strafandrohung.

Also rufe ich dann den Richter an und frage ihn, was es denn bitteschön genau sein soll. Da kommt dann so eine Antwort wie „Wie meinen Sie das? Steht doch da, die Telekommunikation!” Ja, was hätten’s denn gerne? Telefon? Internet? E-Mail? Oder doch eher was Mobiles? „Woher soll ich das wissen? Das müssen Sie die Staatsanwaltschaft fragen! Damit kenne ich mich nicht aus!”

Äh, Moment mal!

Das ist doch Ihre Unterschrift hier auf dem Beschluss und nicht die des Staatsanwaltes. Sie müssen doch wissen, was Sie da unterschreiben und anordnen. Wenn ich als Nichtjurist mir bei jedem Kauf- oder Kreditvertrag vorhalten lassen muss, dass ich wissen müsse, was ich unterschreibe, dann muss man das von einem Richter, der eine heimliche Überwachung anordnet, ja auch verlangen können. Zumal wenn es unter Strafandrohung verlangt wird, dass es unverzüglich geschieht. Sie drohen mir Strafe an, wenn ich etwas nicht sofort tue, aber können nicht sagen, was ich eigentlich tun soll?

Das ist dann so die Stelle, an denen es aus den Leuten herausbricht und ich den Eindruck gewinne, dass so ein Ermittlungsrichter ne arme Sau ist.

Da bekam ich dann eigentlich immer das gleiche Leid geklagt: Er sitzt da 8 Stunden am Tag und bekommt in der Zeit so um die 40 Anträge auf den Tisch. Weil er ja noch andere Sachen zu tun hat, bleiben ihm da keine 10 Minuten pro Fall. Außerdem ist es meist eilig und der Bote holt die Akte nach spätestens 20, oder vielleicht mal 30 Minuten wieder ab. Er hat gar keine Chance, das zu lesen und unterschreibt die Dinger nur der Reihe nach durch. Deshalb müsse ich den Staatsanwalt fragen, der habe die Akte und sei Herr der Ermittlung.

Also rufe ich den Staatsanwalt an. Schwer zu erreichen, weil oft außer Haus (bei Gericht, bei Ermittlungen, im Feierabend, freitags gehen viele gleich früher oder kommen gar nicht erst). Der raunzt mich an, was ich von ihm wolle, das müsse ich doch den Richter fragen, der habe das Ding ja schließlich unterschrieben. Das wisse er doch nicht, was da läuft.

Das ist dann so die Stelle, an der ich klarstelle, dass a) ich mich von denen nicht verarschen lasse und b) nicht ich was von ihnen, sondern sie was von mir wollen und brauchen. Ich kann auch ohne Ausleitung prima leben. Wenn sie also ermitteln wollen, sollten sie verdammt nochmal mit präzisen Angaben rüberkommen.

Sowas wirkte eigentlich immer, wenn man den Leuten mal klar sagt, wer da nun der Bittsteller und wer der Bittenempfänger ist.

Ja, öh, heißt es dann, ich solle mich an den ermittelnden Polizisten wenden, der wüsste das doch am besten. Prima Idee. Aber woher soll ich wissen, wer das ist, wenn das auf dem Beschluss nicht draufsteht? Hellsehen kann ich nicht. (Rein formal gesehen dürfte ich das sowieso nicht, denn solche Vorgänge sind strikt geheim zu halten und dürfen keinem Dritten mitgeteilt werden. Genau genommen dürfte ich darüber also auch mit keinem Polizisten reden, nur weil der da irgendwo sagt, dass er damit was zu tun habe.) Ja, da hätte ich wohl recht, die Geschäftsstelle würde mir das raussuchen.

Irgendwann habe ich dann einen Polizisten in irgendeinem Polizeipräsidium, LKA oder sowas dran, und der weiß dann, was er gerade ermittelt und braucht und will. Mit dem kann man dann vernünftig und normal reden, der kann einem klipp und klar sagen, wonach er sucht. Nur: Damit trifft da jemand die faktische Entscheidung, der sie überhaupt nicht teffen dürfte.

Die beiden, die das eigentlich nach dem 4-Augen-Prinzip in gegenseitiger Kontrolle zu entscheiden hätten, nämlich Staatsanwalt und Ermittlungsrichter, haben beide keinen Plan und winken nur durch.

Und dann stellt sich unser Justizminister Maas vor die Kamera und erklärt, alles ganz toll und sicher, weil jetzt auch die Vorratsdatenspeicherung mit Richtervorbehalt daherkommt.

Hurra.

19 Kommentare (RSS-Feed)

Emil
15.4.2015 21:07
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Bestes Beispiel für diese Praxis ist doch die RedTube-Abmahnung von letztem Jahr. Wer danach immer noch an den Richter-Vorbehalt glaubt, der glaubt auch an den Klapperstorch.


Juri
15.4.2015 21:25
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Verständnisfrage: Könnte man unter “die Telekommunikation!” nicht einfach alles ausleiten, was man als Provider so hat/durchreicht? Oder geht es da eher um die Übertragungsform (alles Ausdrucken und an den Richter/StA schicken – bei einer DSL-Leitung sicher lustig). Oder kann da ein Provider bezüglich der entstehenden Aufwände irgendwelche Grenzen geltend machen?

Ansonsten: Gruselig – in der Tat! Richtervorbehalt hier ist quasi wie die Vertragsstrafe im Gender-Vertragsrecht.


Michael
15.4.2015 21:29
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Kein sachlicher Kommentar von mir, aber Dank fuer die nachvollziehbare Beschreibung solcher Ablaeufe aus praktisch erfahrener Sicht. Immer wieder eine Bereicherung!


Alex Schwarzer
15.4.2015 21:34
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Es ist ja nicht nur die Umsetzung sondern schon der interpretierbare Text. Schwerste Straftaten, schwere Straftaten oder doch Kataloge? Drogen sollen rein, also wird schon mal jeder der mit Eigenbedarf aufgegriffen wird grundsätzlich auch seine Vorratsdaten ausgelesen bekommen.

Terrorismus kennt bis heute keine Definition. Ist das, wenn ein Mohammedaner sich Düngemittel kauft? Oder wenn ein Patriot einen Aufstand plant? Wenn ein Deutscher bei Pegida mitmarschiert?

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass “schwer oder schwerste Straftat” irgendwann doch beim Falschparken beginnt. Zu diesem Zeitpunkt darf man dann sicher auch auf sämtliche Mautdaten zugreifen.

Zudem sprichst du hier völlig korrekt an, dass man die Entscheidung über einen derartigen Grundrechtseingriff nicht Richtern überlassen darf, die nicht fachkundig sind. Mit Schaudern erinnere ich mich noch an die Story 2011 aus Dresden, wo ein Richter mal eben wegen einer Demo eine Funkzellenabfrage genehmigte. Für alle.


Neo
15.4.2015 21:35
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Denn sie wissen nicht was sie tun. Mehr fällt einem da dann beim besten Willen nicht mehr ein.

Allerdings stellt sich dann da eine Frage lästig bohrend im Hintergrund ein. Wenn das alles so stimmt wie es hier beschrieben wurde (und ich habe leider keinen Grund daran zu zweifeln), leben wir dann überhaupt noch in einem Rechtsstaat?

Wenn offensichtlich weder Staatsanwaltschaft noch Richter wissen was da eigentlich los ist und faktisch gesehen die jeweils zuständigen Ermittler selbst entscheiden, wer schützt dann den Bürger vor willkürlich angeordneten Maßnahmen? Natürlich dürften die ganz groben Klopper, jene die wirklich offensichtlich sind, ausgefiltert werden, aber was ist mit den Grenzfällen. Was ist mit den Fällen bei denen der Ermittler einfach nur darauf vertraut, daß seine Anfrage wegen Überlastung und “weil’s ja schon stimmen wird” einfach durchgewunken wird?

Der Ermittler kann sich schließlich immer hinstellen und auf den Richtervorbehalt und das Vier-Augen-Prinzip verweisen, womit er dann fein raus ist. Und so wie es für mich aussieht ist der Bürger den es am Ende getroffen hat der berühmte letzte den dann eben die Hunde beißen.


Bill
15.4.2015 22:15
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ich mmeine, mich erinnern zu können, dass die Richter in den USA zu >>95% zustimmen. Damit ist der Richtervorbehalt eine Farce. Und im Zeeifelsfalle wäre er aufgrund so einer Statistik auch angreifbar. Das ist, als on ein Betriebsrat immer, ohne zu widersprechen, Überstunden durchwinken würde.


Butterbrot
15.4.2015 22:57
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Das beschreibt Udo Vetter immer so schön, wie die Richter alles durch winken. Von Redtube über Hausdurchsuchungen, wobei bei letzteren immer wieder Laptops aus der Asservatenkammer verschwinden.


Benutzername
15.4.2015 23:41
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Müsste man so einen schwammigem Beschluß nicht eigentlich einfach nicht ausführen? Oder soll die dann mit der Vorratsdatenspeicherung beauftragte Firma hellsehen, was gewünscht ist? Kann ja so kaum gedacht sein? Einfach nicht ausführen? Dagegen klagen?


[…] Also rufe ich dann den Richter an und frage ihn, was es denn bitteschön genau sein soll. Da kommt d… […]


Aranxo
16.4.2015 1:54
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Richtervorbehalt ist in der Praxis eine komplette Lachnummer.

Ein Freund von mir wurde direkt nach dem Staatsexamen, also frisch von der Uni gleich in seinem ersten Job im Staatsdienst Ermittlungsrichter. Für diesen Doofjob nimmt man gerne die Frischlinge, die direkt von der Uni kommen, die müssen sich ja erst noch hochdienen, um an die interessanteren Richterstellen zu kommen.

Zum anderen kalkuliert man ganz offen damit, dass ein Jungspund mit knapp 30 Jahren es sich nicht traut, einem gestandenen Staatsanwalt mit 20 oder 30 Dienstjahren auf dem Buckel einen Durchsuchungsantrag abzulehnen. Als mein Freund tatsächlich die Anträge nicht nur durchgewunken, sondern geprüft und auch gelegentlich abgelehnt hat, erntete er auch entsprechende Schnappatmung bei den Staatsanwälten. Das waren die offensichtlich nicht gewöhnt.


Geisterkarle
16.4.2015 6:35
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Du beschreibst es ganz gut!
Richtervorbehalt ist eine reine Nebelkerze!
Mehr ist zu dem Thema eigentlich nicht zu sagen!


Volker
16.4.2015 8:40
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Morgen,

seitdem der Maas mit den Extremisten der Antifa gegen XY ‘demonstrierte’, ist
– mein notdürftiger Glaube an den Rechtsstaat eh dahin
– eine solche Aussage ja ganz klar im Maas-Rahmen

Der trägt auch nur seinen Teil zur Abwicklung Deutschlands bei.

Verständnislosen Gruß


ein anderer Stefan
16.4.2015 9:50
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Es kann durchaus sein, dass ein zu unbestimmter Beschluss, der faktisch nicht ausführbar ist, rechtlich unwirksam ist und daher nicht ausgeführt werden muss. Aber da gleichzeitig eine Strafandrohung im Raum steht, würde ich es da auch nicht drauf ankommen lassen.


TOPCTEH
16.4.2015 12:55
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Das ist doch schon ein Standardsatz im amerikanischen Film: “I know a judge who owes me a favour.” Danach geht dann alles…


dentix07
16.4.2015 19:14
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Bezüglich Richtervorbehalt sehe ich es genau so. Schönes Beispiel sind Hausdurchsuchungen, wo selbst BVerf-Richter (s. hier: http://www.taz.de/Verfassungsrichter-ueber-Durchsuchungen/!80807/%5D viele Durchsuchungen für unrechtmäßig halten, und der Richtervorbehalt da auch nix bringt!

Allerdings habe ich an Hadmut eine Bitte um Erklärung!
Hier schreibst Du, daß Du (manchmal) bis zum ermittelnden Polizisten hinunter durchtelefoniert hast, um genau zu wissen was Du eigentlich überwachen sollst.
Im Beitrag “Die Humboldt-Universität, das Internet und die Vorratsdatenspeicherung” schreibst Du “Und, jawoll, ich hätte einige Fälle von aufgeklärten oder verhinderten Morden gehabt, Drogenhandel, Waffenhandel, Menschenhandel, Bedrohung, Angriff auf ein Passagierflugzeug, und so weiter und so fort.”

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich auf dem völlig falschen Dampfer bin, aber hast Du tatsächlich von den Stellen an die die Ergebnisse gingen Feedback gehabt, also haben Dich z.B. obige Polizisten angerufen und Dir mitgeteilt, daß sie damit z.B. einen Mord aufgeklärt oder verhindert haben, oder Drogenhandel …., oder ging das aus den gespeicherten Überwachungsdaten – die Dir sicher bekannt waren – selbst hervor?


Hadmut
16.4.2015 22:42
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@dentix07:

> Allerdings habe ich an Hadmut eine Bitte um Erklärung!

> Hier schreibst Du, daß Du (manchmal) bis zum ermittelnden Polizisten hinunter durchtelefoniert hast, um genau zu wissen was Du eigentlich überwachen sollst. Im Beitrag “Die Humboldt-Universität, das Internet und die Vorratsdatenspeicherung” schreibst Du …

> aber hast Du tatsächlich von den Stellen an die die Ergebnisse gingen Feedback gehabt, also haben Dich z.B. obige Polizisten angerufen und Dir mitgeteilt, daß sie damit z.B. einen Mord aufgeklärt oder verhindert haben, oder Drogenhandel …., oder ging das aus den gespeicherten Überwachungsdaten – die Dir sicher bekannt waren – selbst hervor?

Zunächst solltest Du zwei Sachen auseinanderhalten, nämlich Vorratsdatenspeicherung und Ausleitung. Bei der Sache mit den Richtern ging es um Ausleitung (Überwachung des Verkehrs), und ich habe das nur erzählt um zu zeigen, wie wenig der Richtervorbehalt wert ist.

Bei der (alten!) Vorratsdatenspeicherung gab es diesen Vorbehalt nicht. Da haben sich die Polizisten direkt an den Provider gewandt. In der Regel natürlich schriftlich. Manchmal steht da gar nichts drin außer „Wer hatte am xxx um yyy Uhr die IP-Adresse zzz?“ (aber selbst da sieht man ja, von welchem Dezernat oder sowas die Sache kam). Manchmal, vor allem in der Anfangszeit oder wenn es sehr eilig war, haben die auch mal die Tatbeschreibung mitgeschickt, oder dazugeschrieben, warum und wofür sie das brauchten. Ich kann mich an einen Fall erinnern, in dem der Kettensägenmörder da war und eine Familie abgeschlachtet hatte, und drin beschrieben war, wie hoch die Blutspritzer in der Küche und im Wohnzimmer an der Wand klebten. Die Kollegin, die das zuerst hatte, konnte das nicht lesen, das habe ich dann übernommen. Gerade in der Anfangszeit hatten viele Polizisten mangels Schulung auch Probleme und wussten nicht, was da überhaupt wie geht und haben angerufen, den Fall geschildert und gefragt, wie man da ermitteln könnte. Manchmal gibt es auch Rückfragen.

Dann gibt es Fälle, in denen sich Polizisten bedanken. Ich hatte damals ein Fax an der Wand hängen, in dem sich ein Polizist bei mir dafür bedankt hatte, dass der Mörder jetzt gefangen wurde.

Es gab auch so ein paar ganz heiße, super-eilige Fälle. Da war mal einer unterwegs, der morgens schon ein Kind umgebracht hatte und wo aus dem Umfeld klar war, dass der an diesem Tag noch mehr vorhatte. Da war richtig schwer Hektik und man hat gemerkt, dass die Polizisten da wirklich voll unter Stress und mitgerissen waren, um das zu verhindern. Ich hatte auch mal einen Fall, in dem es um einen Bombenanschlag ging, den jemand vorhatte. War der einzige Fall, in dem ich – was eigentlich nicht zulässig ist – telefonisch beauskunftet habe. Sie wussten nur das Ziel, den Tag und eine IP-Adresse, weil der Täter in einem Forum gequatscht hatte. Da hatten sie versucht, alle Zufahrsstraßen zum Ziel unauffällig zu sperren. Als wir dann den Nutzer ermittelt und dessen Anschrift mitgeteilt hatte, hat mich die Polizei gleich auf das Handy des Einsatzleiters durchgeschaltet (anscheinend war’s ne Dreierkonferenz), der gerade im Auto mit Blaulicht unterwegs war und die großen Waffen klarmachte. Als ich dem die Anschrift sagte, war ausgerechnet er derjenige, der sich die Straße vom Wohnort zum Ziel rausgesucht hatte. In der Hektik hat er gleichzeitig gefunkt und mit mir telefoniert und ich habe gehört, wie er per Funk die Halterabfrage mit dem KFZ-Kennzeichen bekommen hat. Die haben das dann tatsächlich geschafft, das Auto des Täters auf der Fahrt zum Ziel zu entdecken, abzufangen und den Attacke-mäßig aus dem Auto zu holen. Dann habe ich gerade noch gehört, dass sie was gefunden haben, was nach Bombe aussah und die Entschärfer gerufen haben. Der hat sich sogar noch kurz bedankt. Ob das eine echte Bombe oder Attrappe war, habe ich aber nicht mehr mitbekommen.

Es gab auch mal den Fall einer massiven Erpressung mit der konkreten Androhung, ziemlich viele Leute umzubringen. Da dachte der Täter, es ist schlau, mehrere Internetverbindungen bei verschiedenen Providern zu bestellen und jedesmal einen anderen zu benutzen um zu erpressen. Deshalb haben sie bei drei verschiedenen Providern angefragt, dreimal dieselbe Auskunft bekommen und haben dann die Bude mit dem SEK gestürmt. Dabei haben sie den Täter auch gefunden, diverse eindeutige Beweise, der war auch einschlägig vorbestraft, es gab einen Haftbefehl und den haben sie gleich eingebuchtet. Alle Anschlüsse waren inzwischen auch gesperrt, weil nicht bezahlt. Nur: Das war nicht der Anschlussinhaber. Die Person, auf die die Anschlüsse angemeldet waren, wusste davon gar nichts und war absolut unschuldig. Der Täter stammte es deren Umfeld und hatte quasi deren Identität übernommen, und war durch die Vorfälle zivil praktisch handlungsunfähig geworden. Da hatte mich damals die Polizei angerufen, mir die Vorgänge erklärt, ausdrücklich bestätigt, dass die Auskunft zwar zum Täter geführt hatte, aber die Person, die in der Auskunft als Anschlussinhaber bezeichnet war, absolut unschuldig war und die Sperren der Anschlüsse auf Fehlverhalten des Täters beruhe. Man müsse der Person helfen. Ich habe dann damals die Sperre aufheben, die Kündigung zurücknehmen und ihr eine neue Telefonnummer zuweisen lassen, damit der arme Mensch wieder Telefon und Internet hatte.

Es gab auch mal den Fall eines anderen Serienmörders, drogenabhängiger Junkie, Beschaffungskriminalität. Hat alle zwei Tage Leute abgestochen, um an Bargeld zu kommen. Die wussten sogar genau wer das ist, weil er dabei persönliche Gegenstände und seinen Personalausweis verloren hatte, anhand dessen er durch Zeugen und Bekannte eindeutig identifiziert wurde. Sie wussten nur nicht, wo er ist. Der zog immer nur spätnachts umher. Es hatte sich aber jemand aus seinem Bekanntenkreis bei der Polizei gemeldet, der morgens von dem Täter angerufen worden und selbst auf die Idee gekommen war, dass man den damit lokalisieren könnte. Hat funktioniert, die haben ihn dort gefunden. Das habe ich deshalb erfahren, weil die mit Einverständnis dieser Person nicht nur per VDS nach vergangenen Anrufen gefragt, sondern auch diesen Anschluss überwachen ließen, falls der wieder anruft. Die haben sich dann schon abends wieder gemeldet um zu sagen, dass sie ihn haben und die Überwachung gleich wieder abgeschaltet werden kann.

Es ist zwar eigentlich nicht vorgesehen, aber durch solche Fälle erfährt man doch manchmal ziemlich viel.


PanierTiger
16.4.2015 19:41
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@ Hadmut, @ Aranxo:
Danke, Leute. Dafür les’ ich hier mit: Berichte aus der Wirklichkeit.


Emil
16.4.2015 20:53
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@Aranxo
> … dass ein Jungspund mit knapp 30 Jahren es sich nicht traut, einem gestandenen
> Staatsanwalt mit 20 oder 30 Dienstjahren auf dem Buckel einen Durchsuchungsantrag abzulehnen.

In Bayern kommt noch erschwerend hinzu, dass die staatsbediensteten Juristen zwischen Richterschaft und Staatsanwaltschaft hin- und herwechseln. Kaum ein Richter wird sich deshalb mit einem Staatsanwalt anlegen wollen und umgekehrt, weil man früher oder später in der gleichen Situation ist und mit den Leuten kollegial zusammenarbeiten muss oder ihnen dann womöglich sogar untergeben ist.


Lawblogleser
17.4.2015 12:49
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Das deckt sich eins zu eins mit den langjährigen Erfahrungsberichten von Herrn Vetter. Der Richtervorbehalt ist einfach nur die Ausrede, das Feigenblatt, um Rechtssicherheit zu simulieren.