Ansichten eines Informatikers

Warum wir demnächst IPv6 brauchen (und bekommen werden)

Hadmut
17.6.2010 19:10

Alle reden davon, daß die IPv4-Adressen ausgehen. Aber der wichtigste Grund dürfte ein anderer sein.

Sicherlich, die IPv4-Adressen gehen uns aus. Dem könnte man aber duchaus damit begnen, daß man die Vergeudung einstellt. Warum braucht eine Universität mit 20.000 Studenten und ein paar Tausend Angestellten ein ganzes oder gar zwei Klasse-B-Netze? Die meisten Institute schaffen es ja nicht einmal, einen eigenen Webserver oder ein Mailrelay ordentlich zu betreiben. Würde man da mal unbenutzen Adressspace einsammeln, hätte man wieder reichlich.

Fraglich erscheint aus heutiger Sicht auch, ein achtel des IPv4-Adressraumes für Multicast usw. zu reservieren (also fast 224/3) , und gleich noch 0/8 , 127/8 und 255/8 zu vergeuden, also drei Klasse-A-Netze. Diese Einteilung war frühen Routing-Ansätzen und begrenzten Hardwaremöglichkeiten geschuldet, wäre heute aber nicht mehr nötig.

Geschenkt, es lohnt sich nicht mehr, das zu ändern.

Der wesentliche Auslöser für IPv6 könnte aber an anderer Stelle liegen:

  • Klasse-A-Netze (/8) sind heute praktisch nicht mehr zu bekommen (was zwar in gewisser Weise, aber nicht so richtig mit der Adressnot zusammenhängt)
  • RFC 1918 spezifiziert nur ein einziges /8-Netzwerk, 10.x.x.x, also nur maximal etwa 16 Millionen IP-Adressen.
  • Im Mobilfunkbereich gibt es einen starken quantitativen Anstieg. Schon länger hat jeder Bürger moderner Industrieländer im Schnitt mindestens ein Handy. Wir haben 80 Millionen Bürger, die Zahl aktiver Handys dürfte zumindest grob in derselben Größenordnung liegen. Aufgeteilt auf vier Mobilfunkprovider macht das im Schnitt so ganz grob 20 Millionen Mobilfunk-Nutzer pro Provider, was natürlich nicht ganz stimmt, weil die unterschiedlich groß sind.
  • Der Trend geht zum Smart-Phone (iPhone, Android, usw.).
    Ganz einfache oder ältere Telefone können nur Telefonieren und SMS.

    Dann gab es die Telefone mit einfachem Browser und E-Mail-Client, die dann mal kurz eine GRPS- oder UMTS-Verbindung aufgebauen, sich kurzzeitig eine IP-Adresse zuweisen lassen und mal eben schnell eine Webseite abholen oder den Mailserver pollen. Die brauchen die IP-Adresse nur sehr selten, weshalb sich da viele Handys im Schnitt eine Adresse teilen können. Macht brauch deutlich weniger Adressen als es Handys gibt.

    Nun aber haben wir SmartPhones, die ständig Online sind und ihre IP-Adresse behalten. Weil sie ständig RSS Feeds pollen, den IMAP-Server im Kontakt halten, Twittern, auf Facebook lungern, bei Google die Position ständig übermitteln, als Online-Navi herhalten, als Online-Spielkonsole arbeiten, Geocachen usw. usw. usw. Dazu kommen iPads und andere Tablett-Rechner mit UMTS-Modul, UMTS-USB-Sticks für normale Rechner und immer mehr Automaten und Geräte, die per UMTS erreichbar sind, wie Fahrkartenautomaten, automatische Werbetafeln usw.

    Und damit kommen die Provider über kurz oder lang über die 16 Millionen-Grenze hinaus, wo ihnen also die 10er-Adressen als einheitlicher Adressraum nicht mehr genügen.

  • Freilich wäre das noch kein direktes Problem, denn wer eine 10er-Adresse bekommt, der braucht sie nicht deutschlandweit eindeutig. Man kann ja in unterschiedlichen Sendebereichen die IP-Adressen mehrfach verwenden (was für bewegliche Nutzer durchaus zu Störungen führen kann), aber wen stört es, wenn in Bayern und in Schleswig-Hostein zwei Leute dieselbe 10er-Adresse nutzen?

    Es macht die Sache zumindest kompliziert und fehleranfällig.

    Irgendwann ist einfach der Punkt erreicht, an dem die Einführung von IPv6 einfacher und billiger ist als weiter zu tricksen.

11 Kommentare (RSS-Feed)

buliwyf
17.6.2010 19:35
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Wie ich es einfach nicht mehr lesen kann. Die Klasseneinteilund von Netzwerken ist seit 1993 hinfällig. Seit damals wird CIDR verwendet.
http://de.wikipedia.org/wiki/Netzklasse
Streich doch bitte alle Klasse-* vorkommen in deinem Text.

Wie sollen wir als Admins den Leuten erklären was in Zukunft auf uns zukommt, wenn wir Begriffe aus dem letzten Jahrtausend verwenden.


Hadmut
17.6.2010 20:05
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Das ist mir bekannt, ich bin schon deutlich länger im Netzwerkbereich unterwegs und habe schon lange vor 1993 Firewalls usw. gebaut, und war bei verschiedenen Internet-Providern tätig, und habe sicherlich weit über tausend CIDR-Masken gesetzt. Ich verwende ja auch – wie im Artikel genannt – die /-Schreibweise.

Nichtsdestotrotz ist die Sprechweise von A, B und C-Netzen durchaus nicht unüblich oder falsch und gerade bei Leuten wie mir, die das vor CIDR gelernt haben, einfach “drin”. Ich denke gar nicht daran, mich von solchen gut verständlichen Bezeichnungen zu verabschieden, zumal CIDR auch ein Begriff aus dem letzten Jahrtausend ist. Man muß auch nicht alle Jahre seine Begriffswahl ändern. Ein /8 ist immer noch ein Class-A-Netz, zumal das vielerorts noch so gelehrt wird.

Du kommst mir vor wie einer, der mir die 3,5-Zoll-Platte oder den 20-Zoll-Monitor verbieten will, weil das jetzt alles in metrischen Größen angegeben werden muß.

Im übrigen solltest Du mal bedenken, daß viele dieser Netze, vor allem die /8 und die /16 -Netze von großen Firmen und Universitäten vor 1993 vergeben wurden, und deshalb in so großen Portionen, weil es damals eben so ging. An der Uni Karlsruhe habe ich auch vor 1993 schon 129.13/16 verwendet. Also ist das als Class-B-Netz vergeben, und deshalb die Namenswahl durchaus angemessen.

Übrigens solltest Du dazu mal in RFC 1918 gucken. Der ist von 1996, heute noch gültig, und da werden die Netze auch noch als (in pre-CIDR-Notation) Class-A,B und C bezeichnet.

Ich verstehe auch Dein Problem nicht. Als ob mein Blog-Artikel hier irgendeinen Admin bei irgendwas behindern könnte.


Wolle
17.6.2010 20:08
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@buliwyf: Klar, die Klasseneinteilung ist obsolet, aber versuch mal einen /17, /13, /11, … /5, /4 oder /3 Adressraum zu bekommen. Bis 2003/4 wusste keiner, was Du von denen willst. Die kannten nur 1 Adresse, /8, /16 oder /24. Seit drei, vier Jahren geht das aber meistens. Ich bin 2003 mal mit einem /8 umgezogen, das hieß altes /8 abgeben, neues bekommen und einrichten. Hat ca. eine Woche gedauert, bis alles soweit wieder lief, lag aber nicht an mir. Intern hatte ich das in einen halben Tag gebacken, nicht wirklich fertig, aber es lief.


Hadmut
17.6.2010 20:20
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Zumal auch das Byte und die Dezimal-Schreibweise für IP-Adressen nicht abgeschafft sind und es einfach leichter fällt, auf den ABC-Grenzen ohne Kopfrechnen zu arbeiten. Deshalb werden beispielsweise auch die 192.168-Netze fast immer als Class-C-Netze verwendet, obwohl man sie beliebig unterteilen könnte.


yasar
17.6.2010 21:25
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Auch ich rede immer noch von Class A, B oder C.

Man sollte berücksichtigen, daß die Bezeichnungen einen leichten Bedeutungswandel erlebt haben und daher einige Leute durcheinanderbringen.

Früher war z.B. Class C halt aus dem Bereich 192 bis 223 (höchstes Byte) und hatte als Netzmaske /24, Punkt. Heute bezeichnet man aber auch z.B. 10.0.0.0/8 als Class C und meint damit eher die Größe und nicht den Bereich. Daher kommt bei manchen die Verwirrung.

Natürlich verwendet man heute vorwiegend “ungerade” Netzmasken, aber es vereinfacht in der Kommunikation vieles, wenn man bei den “geraden” Netzmasken /8, /16 und /24 einfach von Class A, B oder C spricht, ohne sich damit auf die entsprechenden klassischen Adressbereiche einzuschränken.


yasar
17.6.2010 21:26
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PS: Ich könnte mir heute noch in den Arsch beißen, daß ich mir Ende der 80er nicht ein Class B geholt hab. Damals waren die recht freizügig damit.


Heavy
17.6.2010 22:29
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Ich denke nach wie vor, dass IPv6 gar nicht kommen wird. Jedenfalls nicht flächendeckend als Ablösung für IPv4.

Statt dessen denke ich, dass sich das Netz stärker segmentieren wird in einen Client- und einen Server-Teil.

Im Bereich der Clients sind die Möglichkeiten zur Adresseinsparung noch lange nicht ausgereizt. Im Prinzip kann ein Provider allen Kunden die gleiche private IP-Adresse zuteilen. Wer schonmal mit KVM, Qemu oder Virtualbox gearbeitet hat, kennt die 10.0.2.15… man könnte sich sogar auf eine bestimmte Adresse festlegen und diese in die Router hart einkonfigurieren. Backbone-seitig braucht ein Zugangsprovider genau eine öffentliche IP-Adresse, über die er alle Kunden NATten kann.

Alles andere wird sich über den Preis regeln. Wem ein geNATteter Zugang nicht reicht, z.B. weil er Peer-to-Peer Netzwerke nutzen möchte, wird eben etwas mehr bezahlen oder sich zu diesem Zweck einen kleinen VServer oder Tunnel mieten müssen. Ich wage mal zu behaupten, dass die allermeisten Privat- und kleingewerblichen Kunden das nicht brauchen.

Auch der Verschwendung von IP-Adressen durch zu großzügig vergebene /16 Netze oder größeres kann leicht Einhalt geboten werden, indem z.B. das RIPE von den ASsen eine kleine jährliche Gebühr für jedes vergebene Netz in Rechnung stellt. Dann werden sich viele Firmen überlegen, ob sie die Adressen wirklich brauchen.


Hadmut
18.6.2010 0:09
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@Heavy:

Da ist durchaus was dran. In vielen Bereichen bringt IPv6 außer Problemen einfach nichts, keinen Fortschritt gegenüber IPv4. Reputationssysteme werden verdammt schwierig, wenn ein Spammer für jede Spam-Mail eine frische IP-Adresse verwenden kann.

Das Mail-System und die Mehrheit der Webseiten wird noch lange auf IPv4 bleiben. Deshalb schreibe ich ja auch, daß nicht die generelle IPv4-Knappheit, sondern eher solche Sonderanwendungen wie Mobilfunk (oder Militär) den Druck liefern werden.


buliwyf
17.6.2010 23:15
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@Hadmut
Die Sprechweise nach Klassen mag nicht unüblich sein, und teilweise auch gelehrt werden.
Sie ist dennoch falsch.
Und das kriegen die Leute so von mir zu hören. Wenn man merkt, dass die Person gegenüber überlegen muss bei Netzbesprechungen oder erst beim Benutzen von Klasseneinteilungen weis wovon man redet, weis man wenigsten wen man vor sich hat.

Ich will dir auch nicht die Verwendung von “3,5-Zoll-Platte oder den 20-Zoll-Monitor”.
Die Maße sind legitim und werden so benutzt.
Klasseneinteilung ist aber eher so als ob man noch Elle, Spanne oder Finger als Längenmass benutzen würde.
Auch das Vorhandensein von Klasseneinteilung in der RFC 1918 zeigt nur das es obwohl es falsch ist noch benutz wird.

@yasar
das 10.0.0.0/8 aus deinem Beispiel wäre auch ein Class A.

Doch was sagt man zu einem 10.0.0.0/24 ? Der Größe nach wäre es ein Class C, welches aber in diesem Adressbereich nicht angesiedelt ist.

/x ist immer eindeutig.


Hadmut
18.6.2010 0:05
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Ich vermag das Problem nicht nachzuvollziehen.

ich habe fast nur mit Profis zu tun, und die wissen alle genau, was gemeint ist, und daß seit CIDR das nicht mehr notwendigerweise in den besagten Ranges vorkommen muß.

Und auch Laien oder Schülern habe ich das Ruckzuck erklärt bekommen. Wenn Du mit der Sprechweise Probleme hast, oder Dich nicht verständigen kannst, könnte das ja auch an dir liegen.

Weißt Du, man kann sich auch einfach Probleme machen, wenn man nicht genug hat.

Und bei den RFC1918-Adressen stimmt A,B und C auch immer noch.

Aber wenn Du das so pingelig sehen willst:

Sag mir doch mal, wo das überhaupt verbindlich definiert und verbindlich wieder abgeschafft worden sein soll. RFCs sind nicht letztverbindlich.

Wenn Du hier meckern willst, was richtig und was falsch ist, und das nicht auf technische Aussagen sondern auf eine Nomenklatur beziehst, dann mußt Du erst einmal angeben können, was da überhaupt die maßgebliche Instanz sein soll und wo die das konkret definiert und abdefiniert haben soll.

Ich hab so den Eindruck, daß Du gerade “falsch” und “richtig” mit Deiner persönlichen Meinung verwechselst.

Also: Gib mal Quellen an.


yasar
18.6.2010 12:20
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@bulywf

10.0.0.0/8 war ein Tippfehler sollte natürlich ein 10.0.0.0/24 heißen und würde nach neuerer Bedeutung ein Class C sein. 10.0.0.0/8 ist nach alter und neuer Bedeutung ein Class A.

Die 8 kam daher, weil ich aus Gewohnheit die 8 zum 10-er Netz hingeschrieben habe, aber eigentlich die 24 nehmen wollte, um den Bedeutungswandel zu unterstreichen.