Ansichten eines Informatikers

Religion als Druckmittel

Hadmut
30.5.2010 13:58

Religion geht mir inzwischen ziemlich auf den Wecker.

Ich habe ja nichts dagegen, wenn jeder seinem Glauben nachgeht. Aber Religion hat heute (wieder) nichts mehr damit zu tun, was man selbst glaubt, sondern das tun zu müssen, was andere glauben. Das Wort „Religion” – und damit meine ich bewußt nicht einmal die Religion, sondern tatsächlich das Nennen der sinnentleerten Vokabel – scheint zum Universaldruckmittel zu werden um jegliche Vernunft und jegliche anderen Regeln zu brechen. So wie bei uns „Religionsfreiheit” als magic word für alles und jedes herhalten muß.

Ich habe mittlerweile den Eindruck, daß da inzwischen jeder macht und anderen aufzwingen will, was ihm gerade paßt, indem er einfach „Religion” dazu sagt.

Was mir da gerade aktuell wieder auffällt:

  • In Bangladesh werden einfach Facebook, Youtube, Wikipedia und Flickr gesperrt. Weil sie angeblich religöse Gefühle verletzen. Klar, wenn etwas nur groß und heterogen genug ist, und weil Religion so elastisch ist, findet sich immer ein 2-Tupel (x,y) mit der Eigenschaft „x verletzt das Gefühl y”.
  • Da wollte einer einklagen, daß ihm die staatliche Schule einen Gebetsraum und Gebetszeiten einräumen müßte. Das OVG hat das abgewiesen. Weil ja sonst jeder kommen könnte und sagen, ich glaube dies und das, also will ich einen Raum und Zeit und überhaupt. Was ich für richtig halte. Denn Religionsfreiheit bedeutet ja nicht, daß man jeden Quadratmeter religionskompatibel ausbauen müßte. Zumal es ja auch eine ganze Menge Leute gibt, die auf der Trennung von Religion und Schule bestehen und sich durch sowas – wie auch durch Kreuze in Klassenzimmern – gestört fühlen. Nur weil man eine Religion toleriert, heißt das noch lange nicht, daß man alles und jedes von ihr durchtränken lassen muß.

    Außerdem muß man auch mal daran denken, daß wir Finanzprobleme haben. Es gibt in Deutschland leider eine ganze Menge Schulen, die in keinem guten Zustand sind, weil das Geld fehlt, wenigstens die Dächer und Fenster dicht zu bekommen. An nicht wenigen Orten müssen die Eltern die Pinsel schwingen, weil nicht mal Geld für einen neuen Anstrich da ist. Und dann soll plötzlich an jeder Schule jeder Religion ein eigener Raum eingerichtet werden. Wo soll denn das Geld herkommen? Religionsfreiheit heißt nicht, daß der Steuerzahler das zu finanzieren hätte. (Obwohl es mir in diesem Land inzwischen schwer fällt etwas zu finden, was der Steuerzahler nicht zu finanzieren hätte.)

    Gleich kommen aber wieder solche Gutmenschen daher, die das angreifen und die Religion des Einzelnen als Handlungsverpflichtung der Allgemeinheit begreifen (Christian Rath und Kirsten Wiese).

    Behaupten diese Leute nicht, daß Religionsfreiheit auch Gleichbehandlung bedeute? Wann bekomme ich denn für meine Weltauffassung die Sonderrechte – eigene Räume, eigene Kleiderordnung, eigene Symbole in den Klassenräumen – die man den ideologisch bevorzugten Religionen einräumt? Bin ich weniger wert?

    Oder hält man die Gleichbehandlungen der Religionen hier nach dem Orwell’schen Gleichheitsprinzip: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher als andere?

Gut. Ziehen wir die Konsequenzen daraus. Ich werde demnächst eine neue Religion gründen, mich in seltsame Gewänder hüllen, und unter dem Schlagwort der Religionsfreiheit eigene Forderungen aufstellen. Mir schwebt da schon das ein oder andere vor.

Nehmt Euch mal nichts für September vor. Mir ist gerade so, als würden mir da von einer höheren Gewalt irgendwelche Dinge verkündet. Ich werde dann in Sandalen auf irgendeinen Berg steigen, erleuchtet wieder herunterkommen und der Welt mitteilen (wie praktisch, daß es jetzt das Internet gibt), was die neuen Regeln sind, an die sich alle zu halten haben. Und dann werd ich den Botschaftern einiger Staaten mal Bescheid geben, worin ich mich durch sie in meinen religiösen Gefühlen verletzt sehe. Mal sehen, ob sie das als Argument akzeptieren.

Weiß jemand, was die rechtlichen Anforderungen für die Anerkennung als Religion sind?

3 Kommentare (RSS-Feed)

Sleeper
30.5.2010 16:45
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Im Prinzip musst du Körperschaft öffentlichen Rechts werden. Das ganze ergibt sich aus §140 GG, der wiederum einige entsprechende Artikel aus der Weimarer Verfassung in Kraft setzt.

Das Entscheidende: “Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.”

“Gewähr der Dauer” dürfte erstmal schwierig zu erreichen sein.

http://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_140_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland



Stefan W.
1.6.2010 6:08
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Ich habe keinerlei rechtliche Vorbildung, aber könnte mir eine Rolle als Prophet oder Täufer vorstellen, wenn mir Dein Kult gefällt.

Ich sage einfach voraus, das Du kommen wirst, also vom Berg, und segne, salbe, taufe Dich. Bißchen originell sollte der Kult schon sein. Nach den ganzen Buchreligionen könnte man eine USB-Stick-Religion gründen. Mit Zölibat und Keuchheit hast Du hoffentlich nix am Hut – obwohl wir die Tradition des Wasser-predigen-Wein-trinkens auch übernehmen könnten – das scheint sich ja Kultübergreifend bewährt zu haben.

Mir gefällt, dass es inzwischen einen Zentralrat der Ex-Muslime gibt, der sich überall einzumischen versucht. Sowas ähnliches könnte ich mir auch vorstellen.